Proteste und Interventionen prominenter Autoren gegen die Schließung der Central European University
Die Zeit von Illusionen ist vorbei: Trotz massiver Proteste und Interventionen prominenter Autoren hat der ungarische Präsident János Ader am 10. April ein Gesetz unterzeichnet, das es der Regierung Orban erlaubt, die von George Soros gegründete Central European University zu schließen – mehr dazu etwa in der NZZ oder bei politico.eu.
Gerade hatten noch 80.000 Ungarn gegen die Schließung demonstriert, die Proteste gehen weiter.
Einige Stimmen ungarischer Autoren zu diesem für ein EU-Land beispiellosen Vorgang. Unter anderem wandte sich Peter Nadas in einem offenen Brief an Ader: „Selten konnte ein Staatsoberhaupt durch den bloßen Verzicht auf einen Federstrich so viel für jene politische Gemeinschaft tun, deren Einheit er repräsentieren soll.“ Zu spät! Auch György Konrad hatte sich in einem (Original:) offenen Brief (dt. Übersetzung nächster Beitrag) an Victor Orban gewandt: „Wer die Zentraleuropäische Universität nicht braucht, der will auch das vielfältige Zentraleuropa nicht, geschweige denn das noch vielfältigere Europa. (…) Niemand schaffte es so viele unbegründete Behauptungen und Verleumdungen aufzuhäufen wie Sie. Sie sind der Champion. Ihre ehrenwerteste patriotische Handlung wäre – mein Herr – wenn Sie von ihrem Amt zurücktreten würden.“
In der Wochenzeitschrift HVG warnt der Philosoph und Hochchullehrer (CEU) Gáspár Miklós Tamás: „Die CEU ist zwar eine äußerst wichtige ungarische und ost-mittel-europäische Institution (…), doch der ‚Fall Soros‘ steht hier vor allem für das Ableben des letzten kleinen Elements im System der ungarischen Grundfreiheiten. Darum war die Empörung so groß (und wird es weiter sein), denn alle wissen, dass dies nicht mehr irgendeine interne Angelegenheit der ungarischen (und osteuropäischen) Intellektuellen ist, sondern das Ende des zivilisierten ungarischen Staates.“
Der Mathematiker und Psychologe László Mérő (ELTE Budapest) hofft in der Online-Ausgabe der Wochenzeitschrift HVG, dass „das Opfer, die CEU, aus eigener Kraft und Dank der heimischen und internationalen Solidarität den gegen sie gerichteten Mordanschlag überleben wird (…) und vielleicht hat auch Ungarn noch Chancen die zur Zeit hier auffindbaren Perle auf der Wissenskarte der Welt nicht zu verlieren. Die ungarische und ausländische Lehrer und Studenten der CEU leben gerne hier. Die ausländischen vor allem aus dem Grunde, weil sie auch die besseren Seiten der Ungarn erfahren konnten, nicht nur die mörderische Affekte des Ministerpräsidenten. Wegen letzterer schäme ich mich – hoffentlich mit vielen anderen zusammen.“
„Wiederholt heißt es über diese Regierung, dass sie in das dunkle Mittelalter führe, doch das ist ein Irrtum“, schreibt die Journalistin und Aktivistin der Initiative „Studentennetzwerk“ Réka Kinga Papp in HVG. „Kaiser Friedrich Barbarossa ging nicht wirklich als liberaler Baumumarmer in die Geschichte ein, aber das ‚Privilegium Scholasticum‘ war eines seiner ersten Dekrete nach seiner Thronbesteigung 1155. Von hier aus datieren wir den Begriff der universitären Autonomie, der sich dann in den folgenden Jahrhunderten immer weiter parallel mit den politischen Begriffen der menschlichen Gleich- und Freiheiten entwickelte. (…) Hochschulgeschichte ist auch die Geschichte vom Kampf um Autonomie. Heute wird in Ungarn gegen einen neunhundertjährigen europäischen Grundwert gekämpft. Die CEU könnte lediglich ein Opfer sein, wenn auch ein sehr prominentes.“
Der Politologe und Chefredakteur der Wochenzeitschrift 168 óra, Zoltán Lakner, fürchtet: „Die Angelegenheit der CEU ist kein Nebenereignis, sondern der Hauptstrang. Die Attacke gegen die CEU ist kein Schreckspiel, keine Entgleisung, keine Ablenkung, keine Provokation und nicht das Ausprobieren von Grenzen, sondern ein nachhaltiger Grenzübertritt und noch mehr: die Vernichtung der Regeln.“
Im Interview mit 168 óra wundert sich der französische Politologe Jacques Rupnik (gegenwärtig CEU) nicht, dass Orban die Universität angreift: „Ich denke, dass die Fidesz einfach weiter marschiert, nachdem es ihr gelungen ist, die Opposition zu spalten, zu schwächen und in Verwirrung zu treiben. Sie wendete sich erst in Richtung der zivilen Sphären, besetzte die Kultureinrichtungen und jetzt die Hochschulen. Warum? Wenn in einer Gesellschaft die autoritären Erscheinungen Oberhand gewinnen – und das kennen wir aus der Zeit vor 1989 – zieht sich die Opposition in die Welt der Kultur und Wissenschaft zurück. Dort soll jetzt jeglicher Widerstand gebrochenwerden.“
Und der Soziologe István Hegedűs rechnet im Interview mit dem Nachrichten-Portal Index mit der „liberalen Naivität“ seiner Kollegen ab: „Es haben sich diejenigen geirrt, die sich dem Dilemma rein realistisch näherten. Die Frage lautet nämlich nicht: Was lohnt sich für Orban und was nicht. Seine Frage lautete: warum sollte ich die CEU nicht angreifen, wenn niemand mich daran hindern kann? Warum sollte ich die NGOs nicht als ausländische Agenten bezeichnen? Es lohnt sich mit der liberalen Naivität abzurechnen. Während der Französischen Revolution glaubte Danton bis zur letzte Minute über Robespierre, dass ‚er es nicht wagen wird‘, ihn köpfen zu lassen. Die Heftigkeit der ungarischen und internationalen Proteste gegen den Angriff auf die CEU zeigt wohl, dass es gegenüber des Orbán-Systems keine Illusionen mehr gibt.“