Konrad

Das „Antwortschreiben“ György Konrads an den Ministerpräsidenten Ungarns“, ein Dokument des kalten Zorns auf den „schädlichsten ungarischen Politiker“ seit der Wende, der sich erfrecht, die Central European University zu schließen, und sich nicht scheut, aus dem Phrasenarsenal des politischen Antisemitismus zu schöpfen;
Lesen sie hier die deutsche Überstzung des Schreibens:

 

Herr Ministerpräsident!

Dank einem rasanten Aufschwung hat die mit Bewunderung einhergehende Entdeckung der Vielfalt eines sich erweiternden Mitteleuropas im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts vielen von uns in den immer bunter werdenden Heimatländern ein Gefühl fröhlicher Behaglichkeit gegeben.

Wir haben begriffen, dass wir voneinander lernen müssen. Überall in Europa und auf dem Erdenrund horchten junge Menschen auf, bekamen Lust, uns zu studieren.

Dafür, dass George Soros einen beträchtlichen Teil seines durch Begabung und Fleiß angehäuften Vermögens einem solchen Studium zur Verfügung gestellt hat, gebührt ihm Hochachtung und Dank.

In seiner ungarischen Heimat, die sich 1944 derart sträubte, auch seine Heimat zu sein, die ihn fast getötet hätte, hat er unter Einsatz des eigenen, nicht staatlichen, Vermögens viele hervorragende Institutionen gegründet. Doch nachdem Gyuri oder George die Mordvorbereitungen, ähnlich wie ich, überlebt hatte, beschloss er als junger Mensch, nicht in einem Land leben zu wollen, wo Derartiges vorkommen kann, wo einer ausgeliefert ist und nicht frei über sich selbst verfügen kann.

Um 1948, als die nationalsozialistischen jungen Männer in Ledermänteln von kommunistisch-sozialistischen jungen Männern in Ledermänteln abgelöst worden waren, um mit den Andersdenkenden fertig zu werden, brach er, ausgestattet mit zehn Dollar, die er vom Vater bekommen hatte, in die Welt auf.

Dass nun Ihr Propagandaapparat in Göbbels-Manier am Beispiel des Juden Soros den Verursacher allen Übels für die Nation und die Welt vorführt, ähnlich der nazistischen Losung von 1933 (die Juden sind unser Unglück), das erinnert traurig an das verabscheuenswürdige Vorbild.

Ein nur gelegentlicher Verweis auf Soros hätte noch mit einer nachsichtigen Erklärung rechnen können. Doch dass Sie aus dem Namen dieses Menschen eine ständig geschwungene Keule fabriziert haben, eines Mannes, der ungarischen und von anderswoher kommenden, wissbegierigen Jugendlichen mehr Gutes gegeben hat als Sie und Ihr Freundeskreis zusammen genommen, hat mich davon überzeugt, dass Sie im Interesse einer willkürlichen Verlängerung Ihrer Macht mit vollen Händen aus dem Phrasenarsenal schlauen und heuchlerischen politischen Antisemitismus schöpfen.

Wer eine Mitteleuropäische Universität nicht braucht, der braucht auch kein mannigfaltiges Mitteleuropa, ja, auch kein vielgestaltigeres Europa.

Ebenso wie Magyarországs englischer Name Hungary lautet, so heißt die Mitteleuropäische Universität Central-European University. Was ist daran schlimm? Wer oder was ist Brüssel? Hauptstadt Belgiens und der EU sowie Sitz der Natozentrale? Oder Hauptstadt einer feindlichen Besatzungsmacht? Sind nicht Sie es, der Ungarn in der dort residierenden Europäischen Kommission repräsentiert?

„Von ausländischem Geld ausgehaltene Netzwerke?“ Das steht in Ihrem uns  Staatsbürgern geschickten Brief zu lesen.

An wen und woran denken Sie? An Ungarn, dessen Investitionen zu neun Zehnteln durch Geld aus Brüssel, die Unterstützung der Steuerzahler anderer europäischer Länder, gedeckt wird? Welche Investitionen ermöglichen den in verblüffendem Tempo wachsenden Reichtum des Bürgermeisters ihres Heimatdorfes und Ihres Freundeskreises? Oder wandern die vielen Milliarden etwa allesamt in die Taschen des Bürgermeisters?

Weil er ein so geschickter und kluger Geschäftsmann ist, sein Erfolg nichts damit zu tun hat, dass er im Dorf Spielkamerad des Ministerpräsidenten war?

Ist Ihnen Transparenz auch in diesem Fall eine Herzensangelegenheit?

Warum grollt Ungarns Ministerpräsident der Europäischen Union? Weil von dort das Geld kommt? Weil man sich dafür bedanken und darüber  Rechenschaft ablegen müsste?

Wieviel hat das böse Brüssel gegeben? Und wieviel das gute Russland?

Wieviel der teuflische Soros und wieviel der engelsgleiche Orbán?

Ausländisches Geld stinkt, wenn es zu den „Zivilen“ geht, riecht gut, wenn es zur Familie des Regierungschefs wandert.

Erstere werden „ausgehalten“ wie Huren? Letzterer dagegen steht es zu?

Werden unsere nationale Unabhängigkeit und Sicherheit tatsächlich durch Brüssel und nicht etwa durch Sie gefährdet, dem es gelungen ist, unserem Land auf der Rangliste der „neuen Demokratien“ einen unteren Platz zu bescheren?

Vor zwanzig Jahren sind Sie erstmals Regierungschef geworden, sind seither immer in der Nähe, insgesamt elf Jahre an der Macht gewesen. Reicht Ihnen das nicht?

Ich bin überzeugt davon, dass Sie seit der Wende der schädlichste ungarische Politiker sind. Niemandem außer Ihnen ist es gelungen, so viele Verleumdungen und unbegründete Behauptungen anzuhäufen. Sie sind der Champion.

Die rechtschaffenste patriotische Handlung, mein Herr, bestünde im Verzicht auf Ihren Posten. Als Rentner könnten Sie sich mit Ihrem Stadionwinzling und der dorthin führenden Spielzeugeisenbahn vergnügen. Und den Ball allein ins leere Tor kicken.

Mit freundlichen Grüßen,

György Konrád

Übersetzung: Henning Paetzke.

Ursprünglich am 7. April in Népszava. Dank an György Konrád und Henning Paetzke für die Genehmigung zur Veröffentlichung!

György Konrád: „Europa und die Nationalstaaten“ im Suhrkamp Verlag – Blick ins Buch

Apr 2017 | Allgemein, Buchempfehlungen, Politik, Sapere aude | Kommentieren