Gehen wir einmal davon aus, dass folgender Leitsatz für jede Begegnung mit anderen gilt:

coverMenschen verhalten sich völlig logisch –
vor dem Hintergrund ihrer Wahrnehmung und Beurteilung der Realität und
vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Ziele, Werte und Interessen.

Oder – eingängiger –
dieselbe Aussage in anderer sprachlicher Form:

Jeder Mensch
handelt in jeder Situation
stets optimal –
unter Berücksichtigung
der ihm zur Verfügung stehenden Informationen.

Dann hat das für kollektives Verhalten in (nicht nur) Gruppen dramatische Folgen:

1    Jeder hat Angst vor Gesichtsverlust.
2    Deshalb bemüht sich jeder darum,
3    das Gesicht des anderen
4    nicht zu beschädigen.
5    Um den anderen so zu verpflichten,
6    einem selbst keinen Gesichtsverlust zuzufügen.

„Der“ Psychiater bzw. Anti-Psychiater des letzten Jahrhunderts,
Ronald D. Laing hat das in seinem Buch “Knoten” so formuliert:

Sie spielen ein Spiel.
Sie spielen damit, kein Spiel zu spielen.
Zeige ich ihnen, dass ich sie spielen sehe, dann breche ich die Regeln,
und sie werden mich bestrafen.
Ich muss ihr Spiel,
nicht zu sehen, dass ich das Spiel sehe,
spielen.

Nach diesem Prinzip der Kollusion entstehen mithin im zwischenmenschlichen Bereich „Tabus“.

Die Lösung?

Das Tabu aussprechen und gleichzeitig als solches kennzeichnen und den Ärger des anderen über das Ansprechen explizit erlauben. Oder kurz und knapp: double-bind-Botschaften senden.

Wie? So:

Wahrscheinlich spreche ich jetzt ein Tabu an und verärgere Sie, wenn ich für mich sage: Ich halte die Situation XYZ aus den Beobachtungen und Interpretationen A, B und C für dringend lösungsbedürftig.

Mit dem ersten Satz oben erlaube ich einerseits den Widerstand („verärgere Sie”), damit muss der andere diesen aber nicht mehr zwingend aufrechterhalten, da ich den Widerstand ja schon wahrgenommen habe.

Oder der Widerstand und Ärger wird beibehalten, dann ist gleichzeitig klar, dass nicht ich, sonder nur mein Gesprächspartner etwas für eine konstruktive Wendung tun kann. Es „ist“ ja sein Ärger.

Oder es ist kein Widerstand vorhanden und wir können (ggfls. telefonierend) uns sofort der Lösung von Situation XYZ zuwenden.

Egal wie also, in jedem Fall geht es im Dialog voran.

Jill:     Mich ärgert, daß du verärgert bist
Jack:  Ich bin nicht verärgert
Jill:     Mich ärgert, daß dich nicht ärgert, daß mich ärgert, daß du verärgert bist
Jack:  Mich ärgert daß dich ärgert, daß mich nicht ärgert, daß Dich ärgert, daß ich
verärgert bin, wenn ich es nicht bin.

Jill:     Du setzt mich ins Unrecht
Jack:  Ich setze Dich nicht ins Unrecht
Jill:     Du setzt mich ins Unrecht, weil ich dachte, du setzt mich ins Unrecht.

Jack:  Verzeih mir
Jill:     Nein
Jack:  Ich werde Dir nie verzeihen, daß du mir nicht verzeihst.

 

Aus „Knoten“ von R.D. Laing (1972)
Der englische Psychiater und Psychoanalytiker zeichnet in diesem Buch die lautlosen Dialoge auf, die nahezu unbemerkt unsere Beziehungen zum anderen zugrunde richten.

Apr 2017 | Heidelberg, Allgemein, Buchempfehlungen | Kommentieren