Dr. Khouloud Daibes – Botschafterin Palästinas in der Bundesrepublik Deutschland
Das Jahr 2017 ist ein wichtiges Jahr für das palästinensische Volk. Es markiert den 50. Jahrestag der israelischen Besatzung. Gestützt auf die UN-Res. 242 v. 1967, der völkerrechtlichen Verpflichtung der Zwei-Staaten-Lösung, erhofften wir uns, dass dieser historische, schwierige und sehr schmerzhafte Kompromiss mit nur 22% des historischen Palästinas zu einem Leben in Sicherheit und Frieden im eigenen Staat führen wird. Ein halbes Jahrhundert später besteht noch immer internationaler Konsens hinsichtlich zweier Staaten, auch wenn die Chancen weiter schwinden. Denn die Wirklichkeit ist für das palästinensische Volk längst eine andere: Heute leben Generationen von Palästinensern unter israelischer Militärherrschaft. Kinder, Jugendliche und Menschen mittleren Alters haben nichts anderes kennengelernt als schwer bewaffnete Besatzungssoldaten und gewalttätige Siedler.
Fortwährende Landannexionen und Häuserzerstörungen, Siedlergewalt und nächtliche Razzien gehören zum Alltag der palästinensischen Bevölkerung. Mauer und rund 500 Checkpoints und Hindernisse schränken ihre Bewegungsfreiheit stark ein oder verhindern sie. Nahezu tagtäglich sind Palästinenser seit Jahrzehnten demütigender Behandlung und Besatzergewalt ausgesetzt.
Drei Kriege in nur sechs Jahren haben die palästinensische Bevölkerung im Gaza-Streifen in Not und Hoffnungslosigkeit getrieben, von der die meisten sich bis heute nicht erholen konnten. Abriegelung, Güter- und Warenknappheit und keinerlei Perspektiven auf Sicherheit und Frieden lassen vor allem junge Menschen verzweifeln. Schon im August 2012 bescheinigten die Vereinten Nationen der Küstenregion und ihren Bewohnern, dass ihre Heimat im Jahr 2020 unbewohnbar werde.
Obwohl mehr als 20% der Gesamtbevölkerung in Israel Palästinenser sind, stehen lediglich 2,5% des Landes arabischen (palästinensischen) Gemeinden zur Verfügung. Mehr als 50 Gesetze sind in Kraft, die sie diskriminieren und benachteiligen.
Im Exil ausharrenden Palästinensern, darunter auch jene in den Flüchtlingslagern, wird ihr verbrieftes und unveräußerliches Recht auf Rückkehr verweigert. Sie dürfen nicht in ihre Häuser und auf ihr Land zurückkehren. Instabilität und Kriege in der Region führten dazu, dass viele bereits mehrfach Vertriebene erneut flüchten mussten. Völlig zu Recht sprechen wir von der andauernden Nakba, dem Leid und Elend der mehr als sechs Millionen palästinensischen Flüchtlinge.
In den mehr als zwei Jahrzehnten hat Israel keinen Willen zu ernsthaften Verhandlungen mit dem Ziel einer Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung gezeigt. Heute zögern israelische Regierungsvertreter nicht einmal mehr, ihren Unwillen öffentlich zu äußern. Seit 1994 setzen alle israelischen Regierungen unserer Verhandlungsbereitschaft rassistische Rhetorik und schwere Völkerrechtsverletzungen unter eklatanter Missachtung bestehender Rechtsnormen entgegen. Selbst Verhandlungsrunden wurde von israelischen Verbrechen, Verletzungen und insb. Siedlungstätigkeiten begleitet: Während der letzten Gespräche zwischen Juli 2013 und April 2014 wurden 61 Palästinenser getötet, mehr als 1.000 verletzt, fanden 650 Siedlerangriffe statt und wurden mehr als 55.000 neue Siedlungseinheiten erweitert bzw. neugebaut. Das Team um US-Außenminister John Kerry brach die Gespräche ab, kritisierte den Siedlungsbau als „primäre Sabotage“ und warnte Israel vor dem Schritt in die Apartheid. Solche Entwicklungen sind manifest, sind sichtbar und sie bedrohen ernsthaft die Zwei-Staaten-Lösung.
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Jerusalem: Statusveränderung ist ein extremer Akt der Provokation
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Von besonderer Brisanz sind die Drohungen gegen das politische, spirituelle und administrative Herz Palästinas – die Heilige Stadt Jerusalem. Doch warum ist die Ankündigung des neuen US-Präsidenten Donald Trump, die amerikanische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, ein solch extremer Akt der Provokation? Gem. Völkerrecht gilt Ost-Jerusalem, wie auch die restliche Westbank und der Gaza-Streifen als besetztes Territorium. Kein Staat der Welt erkennt Israels Annexion von Ost-Jerusalem an. Und auch mehrere Res. des UN-Sicherheitsrates erklärten alle Versuche den Charakter von Jerusalem zu verändern als „null und nichtig“.
Die Äußerungen zur Botschaftsverlegung von Präsident Donald Trump verstehen sich als Abkehr von fünf Jahrzehnten US-Außenpolitik und signalisieren Israel, dass die völkerrechtswidrigen Siedlungen nicht länger als solche von ihm betrachtet werden. Die Auswirkungen dieses Schrittes wären daher katastrophal.
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Siedlungen als Fundament israelischer Expansionspolitik
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Trotz internationaler Proteste und Verurteilungen beginnt Israel im Schatten des neuen US-Präsidenten das Jahr mit dem größten Siedlungsausbau in der Westbank, die Ost-Jerusalem einschließt, in jüngster Zeit. Der globale Konsens hinsichtlich der Forderung nach Einstellung aller völkerrechtswidrigen Siedlungsaktivitäten auf palästinensischem Land , der sich keine vier Wochen zuvor in der Res. 2334 des UN-Sicherheitsrates spiegelte, wird von Israel missachtet. Und kann die israelische Regierung auf keine Gesetzesgrundlage zur Legalisierung sog. Außenposten zurückgreifen, werden solche geschaffen: Mit dem am 08. Februar von der Knesset verabschiedeten Gesetz werden die auch nach israelischer Rechtsauffassung illegalen Außenposten rückwirkend einfach für rechtens erklärt. Wann wird die Internationale Gemeinschaft dem völkerrechtswidrigen Siedlungsbau endlich Einhalt gebieten?
Jede Koalition des Ministerpräsidenten Netanjahu ist extremistischer, rechtsgerichteter und von Siedlerinteressen geprägter als die vorherige. So widersetzen sich viele Mitglieder seiner aktuellen Koalition jeder Form einer palästinensischen Staatlichkeit. Der israelische Verteidigungsminister Liebermann, der Knesset-Sprecher Edelstein und der Abteilungsleiter für Planungs- und Baugesetze im Finanzministerium Avi Cohen, die allesamt wichtige Ämter begleiten, sind Siedler und leben völkerrechtswidrig auf palästinensischem Land. Präsident Trumps Äußerungen stärken nun zusätzlich diejenigen Regierungsmitglieder, die für eine unterdrückende, auf Landexpansion setzende Politik zielen und glauben, sich auch zukünftig über bestehende Rechtsnormen einfach hinwegsetzen zu können.
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Verhandlungslösung erfordert Druck der Internationalen Gemeinschaft
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Mit diesen Entwicklungen ist eine große Unbestimmtheit verbunden, wie der politische Prozess weitergehen wird. Wer jedoch glaubt, man könne am Status Quo festhalten und abwarten, der irrt. Nicht nur die territoriale und demographische Einheit des Staates Palästina ist bedroht, sondern es besteht die reale Gefahr eines hochexplosiven Flächenbrandes für die gesamte instabile Region. Die Pariser Konferenz, die im Januar einen politischen Horizont zur Lösung aller Endstatusfragen eröffnen wollte, sendete die letzten Warnsignale an alle Beteiligten. Im Hinblick auf die jüngsten Äußerungen des US-Präsidenten, die eine Abkehr von der Zwei-Staaten-Lösung signalisieren und zugleich Israel grünes Licht für die völkerrechtswidrige Siedlungspolitik geben, verweisen diese auf die Ein-Staaten-Lösung, d.h. mit gleichen Rechten für alle Palästinenser und Israelis – oder es bleibt nur der Weg in die Apartheid.
Ein gerechter und dauerhafter Frieden kann nur im Kontext von Freiheit und Gleichheit für alle, für Palästinenser und Israelis, geschaffen werden. Die Internationale Gemeinschaft hat die rechtliche und politische Verpflichtung Israel unverzüglich, zur Einhaltung von Völkerrecht und internationalen Standards zu zwingen. Ziel bleibt daher eine robuste internationale Unterstützung, die verlässliche Rahmenbedingungen und einen klar definierten Zeitrahmen schafft.
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Wir wünschen uns von Deutschland eine aktivere Rolle.
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Es ist ein größerer politischer Einsatz erforderlich, um diesen asymmetrischen Konflikt einer gerechten Lösung zuzuführen. Dabei setzt das besetzte palästinensische Volk als Mittel gegen die stärkere Militärmacht Israel auf die Stärke des Rechts. Deutschland weiß, wie wichtig es ist, für Menschenrechte einzutreten und für eine Perspektive, die niemanden ausschließt. Verbale Verurteilungen der Besatzung und Kritik am völkerrechtswidrigen Siedlungsbau, und kommen sie noch so verlässlich, reichen bei der aktuellen Dynamik längst nicht mehr aus.
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Die fehlende Handlungsbereitschaft aller Akteure korrespondiert seit langer Zeit mit der gefährlichen Zuspitzung der Entwicklungen. Noch besteht die Vision der Zwei-Staaten-Lösung, die Sicherheit und Frieden für Palästinenser und Israelis bringen soll. Ob nun die Zwei-Staaten-Lösung umsetzen oder neue Wege, die zu einer Lösung führen, ausloten – eine politische Kraft mit historischer Verantwortung und dem Willen zum Eingreifen ist in jedem Fall erforderlich.
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