Staatspräsident Erdogan

Staatspräsident Erdogan

Justizminister Bozdag

Justizminister Bozdag

Maas: „Abstrus und abwegig“

Nach der Absage einer Veranstaltung in Gaggenau hat der türkische Justizminister Bekir Bozdag und gerade auch Erdogan Deutschland „Faschismus“ vorgeworfen. In freien Ländern mit freier Meinungs-äußerung kann man das wohl machen. Man kann es aber auch sein lassen. Man muss das in jedem Fall sein lassen, kommt man aus einem Land, in dem die meisten Journalisten inhaftiert sind,

in dem selbst Demonstrationen zum Internationalen Frauentag verboten werden, in dem selbst Kinder dem Haftrichter vorgeführt werden wegen Witzen auf Social Media. Einem Land, in dem es keine freie Justiz oder Presse gibt. Einem Land, das jeglichen Bezug zur Verhältnismäßigkeit oder Realität verloren hat, das unter Repressalien leidet und dessen Volk sich nicht dagegen wehren kann.

Ein Justizminister, der aus solch einem Land kommt, kann Deutschland zwar „Faschismus“ vorwerfen, weil es hier das Recht auf freie Meinungsäußerung gibt. Aber von solch einem Justizminister muss erwartet werden dürfen, dass er zunächst dafür sorgt, rechtsstaatliche Prinzipien im eigenen Land einzuhalten. Möglicherweise erwarten wir zu viel von einem Justizminister, der selbst eigene Richter verhaften lässt, weil sie ihren Job ernst nehmen.

Wir haben in der Rundschau bereits 2013 geschrieben, dass Bundeskanzlerin Merkel eine Partnerschaft hätte suchen müssen, um so die liberalen Kräfte in der Türkei zu stärken. Angela Merkel tat das nicht.
Das haben jetzt die Liberalen in der Türkei, das haben jetzt wir davon.

Hierzulande werden auch deutsche und kurdische Veranstaltungen nach geltendem Recht untersagt

Andere Länder, andere Sitten. Schrauben wir mal unsere westlichen Erwartungen zurück, benehmen uns politisch korrekt und formulieren es diplomatisch: Lieber Herr Bozdag, es mag sein, dass Sie schlechte Berater haben oder nicht auf Berater hören. Deshalb gebe ich Ihnen einen Tip: Sie können hier wirklich viel machen, aber Sie können uns nicht für dumm verkaufen. Dazu ist die Allgemeinbildung in Deutschland viel zu hoch und sind die Menschen viel zu aufgeklärt.

Hallen für Theateraufführungen anmieten, aber eigentlich Wahlkampf für politische Zwecke machen, das mögen wir hier nicht. Nur, damit Sie keinen falschen Eindruck bekommen: Hier werden auch deutsche Veranstaltungen untersagt oder kurdische, falls Sie das beruhigt, allerdings nur, wenn die Sicherheitslage als unsicher eingestuft wird.
Niemand hat etwas gegen Türken. Aber, wir haben hier etwas gegen Lügen, Gewalt, Faschismus und Extremismus – egal wo. Wir schätzen es, wenn Frauenrechte und Minderheitenrechte eingehalten werden. Wir mögen zwar keine anderen Meinungen, aber wir dulden sie. Und, wir diskutieren offen darüber in Medien, ohne dass Journalisten verhaftet werden.
Wir beschimpfen natürlich auch politische Gegner, aber meist in einem flätigen Ton. Schrille Aggression und Gewalt mögen wir hier nicht.

Ja, wir haben Probleme mit Autokraten – unserer Geschichte wegen

Jetzt können Sie uns natürlich wieder die Zeit zwischen 1933 und 1945 vorhalten, wie es das Ausland in Bezug auf Deutschland immer macht. Aber ich sage Ihnen mal was – und alle anderen ausländischen Staaten sollen jetzt bitte auch zuhören: Wir rühmen uns nicht für unsere schlechten Taten, im Gegenteil. Wir – die meisten von uns jedenfalls – schämen uns dafür und wir arbeiten unsere Geschichte auf. Seit 1945 haben wir uns verdammt nochmal weiterentwickelt. Und wir entwickeln uns noch weiter. Das ist hier möglich, weil es hier Bürger- und Freiheitsrechte gibt.

Uns machen die Entwicklungen in der Türkei, aber auch anderswo Angst. Wir hören täglich schlechte Nachrichten aus der Türkei, und das gefällt uns nicht. Nur daher rührt die Ablehnung türkischer Politik in Deutschland. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir gerade aufgrund unserer Geschichte ein Problem mit Autokraten haben. Diese können heißen, wie sie wollen. Sie können auch aus anderen Ländern kommen. Es geht hier nicht gegen die Türkei. Es geht hier gegen Faschismus, denn wir mögen keinen Faschismus. Und genau deshalb ist Ihr Vorwurf in unsere Richtung einfach nur jenseits von Gut und Böse, „abwegig“ wie von unserer Bundesregierung zu Vorwürfen „diplomatisch“ dagegengehalten wird.

März 2017 | Allgemein, Essay, Gesundheit, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik | 1 Kommentar