Wird Europa an Trump wachsen?
EU-Ratspräsident Donald Tusk hat die neue US-Administration als Unsicherheitsfaktor für die EU bezeichnet und sie in einer Reihe mit Russland, dem Nahen Osten und China genannt.
Europa kann nicht länger auf ein gutes Verhältnis zu den USA bauen, sind sich Kommentatoren einig und mahnen zum Zusammenhalt und zur Verteidigung der westlichen Werte.
DE STANDAARD (BE)
Heilsamer Schock für EU
Endlich erwacht Europa aus seinem Dornröschenschlaf, freut sich De Standaard über Tusks Kritik an Trump:
„Europa hat die Wahl, diese verbale und ökonomische Gewalt zu erleiden oder sein eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. Tusk steht mit seinem Ton gegenüber einer befreundeten Nation nicht allein da. Angela Merkel ließ ebenfalls von sich hören. Und auch der [belgische] König Filip und Premier Charles Michel sprachen eine undiplomatische Sprache. … Die Samthandschuhe sind ausgezogen. Für Europa, das in den vergangenen Jahren von Krise zu Krise stolperte und den Glauben in das eigene Können verloren hat, ist der Druck von Trump ein weiterer Schlag. Es ist quälend, mit der eigenen Schwäche konfrontiert zu werden, aber diese Züchtigung kann auch heilsam sein. Wir müssen künftig nicht mehr auf einen anderen hoffen, wenn es um die Verteidigung unserer Sicherheit, unseres Wohlstandes und unserer offenen Gesellschaft geht.“
Bart Sturtewagen
EL PERIÓDICO DE CATALUNYA (ES)
Neue Partner suchen
Für Europa ist es dringend an der Zeit, die internationale Vorreiterrolle der USA in Frage zu stellen, fordert die Politologin Sonia Andolz in El Periódico de Catalunya:
„Die US-Amerikaner haben ihren Präsidenten demokratisch und souverän gewählt. Aber durch die hegemoniale Rolle der USA wirkt sich die Wahl in vielen Bereichen über die Grenzen der USA hinweg aus, was uns zum Kommentieren und Handeln berechtigt. Wir müssen die Einhaltung des internationalen Rechts einfordern, sowohl in den USA als auch auf dem Gebiet der EU. … Wenn die internationale Politik und deren Normen oft von Washington vorgegeben werden, sollten wir uns vielleicht jetzt fragen, ob wir wollen, dass das so bleibt. Europa muss seine Gründungsprinzipien wieder für sich reklamieren und zusammen mit anderen Weltregionen auf ein gerechteres System hinarbeiten, das auf den gemeinsamen Prinzipien und Werten der Zusammenarbeit beruht.“
Sonia Andolz
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG (DE)
Nicht an Verteidigung und Zusammenhalt sparen
Deutschland muss nun seine Sparmentalität aufgeben und in EU und Nato investieren, fordert der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer in der Süddeutschen Zeitung:
„Es gibt keine deutsche Sicherheit ohne Polen, keine französische ohne Deutschland. Ganz im Gegenteil wird Europa (und mit ihm Deutschland) alles tun müssen, um diese kollektive Sicherheit und seinen Beitrag dazu erheblich zu stärken. Das gilt für Nato und EU gleichermaßen. Deutschlands Stärke liegt in seiner finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, und diese Stärke wird es jetzt für EU und Nato in einem Maße einsetzen müssen, wie das in den Jahrzehnten der sogenannten Friedensdividende und den Jahren der Euro-Krise nicht der Fall war. Sparsamkeit ist ohne jeden Zweifel eine Tugend, aber wenn das Haus brennt und einzustürzen droht, gelten andere Prioritäten.“
Joschka Fischer
VEČERNJI LIST (HR)
Washington ablösen
Es ist nun entscheidend, dass die EU die Rolle der Hüterin westlicher Werte übernimmt, meint Večernji list:
„In nur 10 Regierungstagen hat Präsident Trump die USA von einer vorbildlichen Demokratie in einen düsteren autokratischen Staat verwandelt. … Nun muss die Europäische Union die westlichen Werte schützen und vertreten, während sie in Washington verloren gehen. Das ist allerdings leichter gesagt als getan, da die EU gleichzeitig durch mehrere Krisen geschwächt ist. Zudem scheint Trump die EU als Zielobjekt zu betrachten, das zerstört werden muss. Damit sie überhaupt noch irgendetwas in der Welt vertreten kann, muss die EU stark bleiben. Sonst wird der Zusammenbruch der westlichen Werte auf beiden Seiten des Atlantiks uns noch viele düstere Augenblicke der Geschichte bescheren.“
Tomislav Krasnec