katholische-kirche-kondomverbotWill die katholische Kirche überleben, wird sie – wenngleich das widersinnig zu sein scheint – über kurz oder lang Verhütung akzeptieren müssen. Besser: Über kurz … Was jetzt zunächst einmal wie ein großer Schritt der katholischen Kirche zu sein vorgab, mit dem sie sich an die Moderne anzunähern schien, erweist sich nun als Strohfeuer. Die Mitteilung des spanischen Episkopats durch seinen damaligen Sprecher Martínez Camino, in der erklärt worden war, das Kondom könne den Gläubigen erlaubt werden „im Zusammenhang mit der zuverlässigen Verhütung von Aids“, wurde gleich am nächsten Tag von der pontifikalen Autorität zurückgenommen.

Papst Franziskus: Katholiken müssten sich trotz Verboten nicht „wie Karnickel vermehren“ – und kritisiert eine „ideologische Kolonialisierung“ in Sachen Sexualmoral.

o_jesusEs scheint kaum vorstellbar, dass damals die katholische Hierarchie Spaniens, orthodox und loyal gegenüber Rom wie sonst kaum eine, sich mit einer solchen Position hervorgewagt haben könnte ohne eine vorherige Absprache mit dem Vatikan. Hat die Kirche hier einen Versuchsballon gestartet, in diesem für sie so kompliziert gewordenen Spanien – wo eine sozialistische Regierung, mit breitester Unterstützung, Homo-Ehen sanktioniert, die Religion aus den Schulen verdrängt und Safer-Sex-Kampagnen startet? Und dies in einer Frage, bei der die Unnachgiebigkeit der Kirche die meiste Kritik hervorruft und in der sie sich am allerweitesten von der gegenwärtigen Realität entfernt hat, nur um sich dann sofort zurückzuziehen, als sie sah, welche Erschütterung diese Verkündung in ihren fossilsten Schichten hervorgerufen hat? Trotz der Richtigstellung scheint diese kleine Episode doch einen Riß in der festen Wand der Intoleranz des Vatikans darzustellen. Durch ihn wird, früher oder später, dieser hartnäckige Widerstand zusammenbrechen, und der Vatikan wird kaum noch anders können als zuzugeben, daß das durchsichtige, unbequeme Kondom eine wichtige Rolle im Leben von Paaren spielt. Es wird sie nicht nur vom Risiko der Ansteckung befreien, sondern auch von ungewollten Schwangerschaften.

ja-undUnd hier liegt der Kern des Problems. Denn für die Kirche hat der sexuelle Akt keinen anderen Sinn als den, die Frau zu schwängern und diesem Tal der Tränen neue Seelen zuzuführen, die dem Herrn dienen werden. Es kann auch gar nicht anders sein. Das Überleben der Art, die Aufrechterhaltung menschlichen Lebens, ist es, was die Familie heiligt und den Liebesakt rechtfertigt.

Schon die bloße Idee der Lust wurde von der katholischen Moral von jeher mit Mißtrauen betrachtet und mit Verdammnis belegt, wenn es sich um sexuelle Lust handelte. Sie ist nur als Nebenprodukt der Empfängnis akzeptabel. Wenn das Kondom dazwischenkommt, verliert der sexuelle Akt jede Spur der Spiritualität, ist kein Akt für das Leben mehr, sondern nach Ratzinger und Co. eine animalische Zuckung, eine Sünde. Diese Vorstellung des Sexuallebens hat die Kirche von Millionen Männern und Frauen entfremdet und die Anhänglichkeit vieler Gläubigen zur Heuchelei verdammt, inhaltsleer und ohne Überzeugung; man geht sonntags zur Kirche und heiratet oder begräbt seine Toten nach katholischem Ritus.

geht_dochWenn der Vatikan das Kondom zuließe, müsste er etwas einräumen, was er immer bestritten hat: daß nämlich der Hauptantrieb der Sexualität, von den Höhlenmenschen bis zu den komplizierten Liaisons der Moderne, die Suche nach Lust ist, nicht die Erzeugung von Nachkommen. Als die Menschen entdeckten, daß da Ursache und Wirkung im Spiel sind, hatten sie sich schon jahrhundertelang geliebt, und es existiert keine menschliche Spezies, die eine Erektion oder einen Orgasmus hervorbringt, indem sie an die evangelikale Idee der Schwängerung und Zeugung denkt.

Die Weigerung der Kirche, das anzuerkennen, stand immer im Gegensatz zu ihrem Verständnis für die Schwächen von Männern und Frauen (speziell ersterer), wenn es um Macht oder Reichtum ging. Sie hat in ihrer Geschichte unendliche Brutalitäten von Tyrannen geduldet. Trotz oder gerade wegen der Verdammnis von Sex und fleischlichen Begehren ist ihre Geschichte voller Rückschläge,  so daß gerade die katholische  Kirche mit ihren Zeremonien, Kostümen, Theatern, Prinzen, Priestern, Mitren und Pastoren vielleicht am meisten zur Bereicherung der erotischen Imagination beigetragen hat.

Ich bin absolut überzeugt, daß das Kondom und andere Methoden irgendwann einmal die Zustimmung dieser alten Institution finden werden, und zwar bald. Niemand hat etwas davon, wenn sie aus bloßer seniler Halsstarrigkeit als leere Hülle endet, ohne Publikum. Die Religion ist wichtig für die Menschen, um ihre Ängste vor der Sterblichkeit und dem Jenseits zu kanalisieren. Sie bremst die Instinkte, die, ließe man sie frei, uns wieder zu den primitivsten Formen der Barbarei zurückführen würden.

minderheitNur eine Minderheit kann ohne Religion leben und sie durch Kultur ersetzen. Für die meisten Sterblichen ist Moralität auch nur in der Form von Religion akzeptabel. Aber um so weiterzumachen wie in ihren Anfängen in der Antike, als sie einen intellektuellen, kulturellen, wissenschaftlichen, politischen und moralischen Fortschritt gegenüber den Kulten darstellte, oder im Mittelalter, als die Kirche die einzige Institution war, die einer Gemeinschaft in Angst, Verwirrung und Anarchie eine Ordnung geben konnte, muß sie sich den Realitäten des Lebens stellen. Sie kann von ihren Gläubigen nicht das Unmögliche verlangen. Vielleicht ist das Überleben der katholischen Kirche ein Kondom wert. gott

Dez. 2016 | Heidelberg, Allgemein, Essay, Junge Rundschau, Kirche & Bodenpersonal, Sapere aude | Kommentieren