„Auch Dummheit ist eine Gabe Gottes, die man nicht ungestraft missbrauchen kann.“
Durch dieses Motto wurde 1951 der junge Psychiater Manfred in der Beeck auf den eigenwilligen Humor von Erich Spiessbach (1901–1956) aufmerksam.
Mit einem Illustrationsauftrag entfesselte der Arzt die Kreativität seines Patienten für eine kurze, sehr intensive Zeit von wenigen Monaten.
20 Werke voller Humor und Sarkasmus geben im Kabinett der Sammlung Prinzhorn einen (noch bis zum 15. Januar 2017 verlängerten) Einblick in das Werk Spiessbachs, von dem mehr als 300 Zeichnungen als Dauerleihgabe in der Heidelberger Sammlung Prinzhorn bewahrt werden.
Erich Spiessbach hatte als archäologischer Hilfsarbeiter zunächst in Gotha, dann in Münster für Grabungsberichte gezeichnet und Fundstücke restauriert. 1936 führte ein Streit mit seinem Vorgesetzten in Münster zur fristlosen Entlassung und zum ersten Gerichtsverfahren, das er gewann. Doch in der Folge eskalierte die Auseinandersetzung, und Spiessbach machte immer mehr gerichtliche Eingaben mit immer weniger nachvollziehbaren Beschwerden. Offenbar ging es ihm darum feststellen zu lassen, dass er anderen an Einsicht und Intelligenz überlegen sei.
Doch er bewirkte das Gegenteil: Dreimal wurde ein Gutachten über seine geistige Verfassung angefertigt, die er selbst „Idiotendiplome“ nannte. Sechs Jahre versuchte er zu prozessieren und ging dabei insofern bis zum Äußersten, als er den Vorsitzenden des Münsteraner Arbeitsgerichts wegen „offensichtlicher Geisteskrankheit“ zu entlassen beantragte. Daraufhin – was Wunder – wurde seine Entmündigung in die Wege geleitet, und er kam 1943 mit der Diagnose „querulierender Paranoiker“ in die psychiatrische Anstalt Münster.
Da die Anstalt im Krieg schwer beschädigt wurde, verlegte man ihn mit den anderen Patienten nach Marsberg, wo er 1951 an Tuberkulose erkrankte und deshalb in eine Einzelzelle verlegt wurde. Dort gibt ihm Manfred in der Beeck aus Mitleid Zeichenmaterial und, nachdem er auf seinen Humor aufmerksam geworden ist, auch einen Ausspruch der Frankfurter Zeitung zur Illustration: „Alles ist möglich, das Dümmste aber am wahrscheinlichsten“ (Bild links oben).
Mit diesem Auftrag war das Eis gebrochen, und Spiessbach fertigte nun eine Flut von kleinen humoristischen bis sarkastischen Zeichnungen an, die sich über die Dummheit und Gemeinheit anderer lustig machten und für den jungen Arzt bestimmt waren. Eine alternative Art der Kommunikation war etabliert. Bald sah sich Spiessbach ermutigt, auf diesem Wege auch seinen Wunsch nach Entlassung zu formulieren. Er wollte zurück in den Osten Deutschlands und beschäftigte sich deshalb mehr und mehr mit Sowjet-Symbolen. Als er entsprechende Entwürfe mit Spruchbändern auf Leinentücher malte und diese aus dem Fenster hängte, schritt in der Beeck ein. Spiessbach brach daraufhin sofort jegliche Zeichentätigkeit ab. Nur zwei Blätter entstanden noch in den folgenden Jahren. Am 12. Oktober 1956 stürzte der Patient bei einem Fluchtversuch ab und starb noch am selben Tag an seiner Kopfverletzung.
In den Blättern Spiessbachs lässt sich der spezifische Humor eines langjährigen Anstaltsinsassen erkennen, der zu Unrecht als paranoid diagnostiziert und eingesperrt zu sein glaubt. Mit seinem Lachen reagiert er auf die außergewöhnliche Situation, in der er sich befindet – und auf den Arzt, der sich um ihn kümmert.
2012-2014 waren die Werke in der Ausstellung „Der dreifach diplomierte Idiot – Das Phänomen Erich Spießbach“ in Gotha, Münster und Bremen zu sehen. Aus dem Nachlass des Psychiaters kam das Konvolut 2015 zunächst als Dauerleihgabe in die Sammlung Prinzhorn, die nun in Erwerbungsverhandlungen mit den Besitzern steht.
Die Kabinettausstellung ist dabei nur ein „Appetithäppchen“ für das Jahr 2020. Dann will sich die Sammlung Prinzhorn dem Humor zwischen Anstaltsmauern im größeren Rahmen widmen – unter dem Titel „Wahnsinnig komisch“.
Der Katalog „Der dreifach diplomierte Idiot“, Das Phänomen Erich Spießbach, der die Ausstellungen in Gotha, Münster und Bremen begleitet hat, ist auch im Museumsshop der Sammlung Prinzhorn erhältlich. Er gibt einen tieferen Einblick in Leben und Werk des Künstlers:
„Der dreifach diplomierte Idiot“, Das Phänomen Erich Spießbach, hrsg. von der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Ausstellungskatalog, Edition Kunst, Gotha 2012. 14,80 Euro. ISBN: 978-3-940998-15-6
Erich Spiessbach – der „dreifach diplomierte Idiot“
Die neue Kabinettausstellung der Sammlung Prinzhorn
20.9.2016 – 15.1.2017
Bildrechtrechte
„Alles ist möglich“ © Stefan in der Beeck
„Diplom“ © Stefan in der Beeck