koproduzierte_stadtGemeinsam mit der Hans Sauer Stiftung veranstaltete die IBA Heidelberg am 11. und 12. Oktober 2016 unter dem Titel »Die koproduzierte Stadt« eine internationale Fachtagung. Mit dabei waren Experten aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden und den USA, aus Architektur, Stadtplanung, Wirtschaft und Wissenschaft mit neuen Strategiekonzepten. Schnell wurde klar: Koproduktion von Stadt umfasst heute weit mehr als „nur“ klassische Bürgerbeteiligung.

Mit Beispielen von digitalen Stadtmodellen über Social Design Projekte mit Geflüchteten bis hin zu Stadtmöbeln, die zum Mitmachen einladen, wurde Heidelberg für zwei Tage zum Diskussionsraum über diese Haltungswende.

Bürger leisten in Planungsprozessen mehr als „nur“ Meinungsbildung    

Zum Auftakt des IBA_LAB N°4 am Dienstag, 11. Oktober hielt Klaus Selle, Professor für Planungstheorie und Stadtentwicklung an der RWTH Aachen, einen Vortrag. Selle betonte, Städte sind und waren schon immer koproduziert und stets eine Kulturleistung vieler. Doch wie kann das Zusammenspiel der diversen Akteure in den heutigen Wirklichkeiten – etwa bei der Entwicklung neuer Quartiere – gelingen? „Alle Beteiligten, die privat-wirtschaftlichen, stadtgesellschaftlichen und kommunalen, müssen sich zu Beginn auf gemeinsame Ziele und Eckpunkte verständigen. Dann gilt es, diese in den oft jahrelangen Prozessen der Quartiersentwicklung in einzelnen Projekten zu konkretisieren.“ Selle illustrierte an verschiedenen Beispielen, wie solche Verständigungen zustande kommen und zu welchen Ergebnissen sie führen können. Dabei wurde zweierlei deutlich: Wenn Qualitäten angestrebt werden, die über das Gewohnte hinausgehen, ist es wichtig, Partner zu finden, die bereit sind, daran mitzuwirken. Und: Bürger sind in solchen Prozessen nicht „nur“ Beteiligte an der Meinungsbildung zu ersten Plänen, sondern können auf vielfache Weise mitwirken – als Initiativen, die sich für umweltpolitische Ziele im neuen Quartier einsetzen, als Gemeinschaften, die selbst bauen, als Initiatoren der Nachbarschaftsbildung und so weiter. „Auf diese Weise kann die Entwicklung eines neuen Stadtteils zu einer echten ‚Gemeinschaftsaufgabe’ werden“, so Selle.

Neue Verantwortungsgemeinschaften für unsere Städte

image_manager__slider-full_1009_platz1_860x484Zum Konferenztag am Mittwoch, 12. Oktober begrüßte Baubürgermeister Jürgen Odszuck die Gäste mit einem Blick auf Heidelberg: „Die zivilgesellschaftlichen Belange liefen in der Koproduktion von Stadt in der jüngeren Vergangenheit Gefahr, zu kurz zu kommen. Daher hat sich die Stadt Heidelberg seit 2012 Leitlinien zur Bürgerbeteiligung gegeben und setzt diese mit großem Engagement um. Beteiligung bedeutet jedoch nicht nur Mitspracherecht, sondern auch die Übernahme von Verantwortung. Das IBA_LAB hilft uns zu erforschen, was die Voraussetzungen für die gelungene Zusammenarbeit vieler verschiedener Akteure sein können. Wir freuen uns aber auch, mit der IBA in Heidelberg neue Methoden und Strategien der Koproduktion ganz konkret zu testen – wie auf der US-Konversionsfläche Patrick Henry Village oder bei dem bundesgeförderten Freiraumprojekt ‚Grünes Band des Wissens’.“

Masterplan Cambridge – Analoge Methoden setzen auf Begegnung

stadtlebenUm ganz konkrete Beispiele ging es dann auch in den vier folgenden Panels des Tages: Tobias Armborst von Interboro Partners aus New York berichtete von analogen Ansätzen der Koproduktion im Rahmen des neuen Masterplans für die Stadt Cambridge. Hier experimentiert das Büro mit einem wandernden, 3D-gedruckten Stadtmodell. Der Tisch in Form einer Stadtkarte erinnert an ein Spielzeug und lädt die Menschen ein, über ihre Stadt nachzudenken und Informationen beizusteuern. Die Vorteile in den analogen Formaten sieht Armborst in der unmittelbaren Erlebbarkeit: Sie bieten mehr Raum zum Experimentieren und die Parameter sind weniger vorgegeben als bei digitalen Formaten. „Unsere Rolle als Architekten ist es, Räume zu entwickeln, in denen die Stimmen gehört werden, die nicht typischerweise an der Koproduktion von Stadt beteiligt sind. Mit unseren Aktionen im öffentlichen Raum erreichen wir auch Gruppen wie Jugendliche, die nicht unbedingt zu einer Versammlung ins Rathaus kommen würden.“

Stadtmodell der HCU testet digitale Partizipation

digitale_kompetenzGesa Ziemer vom „Digital City Science Lab“ der HCU in Hamburg wählte den umgekehrten Weg: Sie entwickelt digitale Werkzeuge auf deren Grundlage die Bürger über ihre Stadt diskutieren können. „Mit unseren digitalen Stadtmodellen lässt sich über verschiedenste Aspekte von Wohnungsbau über Mobilität bis Flüchtlingsunterbringung anschaulich diskutieren. Dies eröffnet die Chance, gemeinsam auf Grundlage quantitativer Daten Zukunftsszenarien der Stadt zu modellieren.“ Ziemer sieht in der digitalen Datenaufbereitung klare Vorteile: Zum einen würden Veränderungen bestimmter Parameter aufgrund der Programmierung für den Bürger unmittelbar sichtbar. Zum anderen können die aufbereiteten Daten in emotional aufgeladenen Debatten helfen, für Objekti-vierung zu sorgen.

Koproduktion – Scheinbar selbstverständlich, jedoch viel Forschungsbedarfe

zukunftAuch wenn die Referenten sich eingangs einig schienen, dass die Koproduktion von Stadt eine „Binsenweisheit“ sei, wurde doch schnell klar, dass die verstärkten Bedarfe von Partizipation und Teilhabe an der Produktion unserer Städte noch nicht auf angemessen erprobte Prototypen zurückgreifen können und dass in der Theoriebildung und Begriffsdefinition noch große Forschungsbedarfe bestehen. Carl Zillich, Kuratorischer Leiter der IBA Heidelberg, zog positive Bilanz: „Mit der Vielfalt der im IBA_LAB N°4 versammelten Perspektiven haben wir zeigen können, dass es auch hier noch Innovationspotenziale gibt. Die Beispiele motivieren uns als IBA, die koproduzierte Stadt des 21. Jahrhunderts mitzuentwickeln.“ Ralph Boch, Vorstand der Hans Sauer Stiftung, freute sich über die Kooperation zum IBA_LAB: „Mit der Frage nach der Koproduktion von Stadt haben die IBA-Verantwortlichen ein wichtiges und sehr grundsätzliches Thema des aktuellen urbanen Diskurses aufgegriffen: Es ist eine hochrelevante und in jüngster Zeit zunehmend kritisch diskutierte Frage, ob zum Beispiel Immobilienentwicklung und Verwertungsinteressen, politischer Wille oder aber die Bedürfnisse der Bewohner über die Zukunft unserer Städte bestimmen werden. Diesen inhaltlichen Impuls der IBA hat die Hans Sauer Stiftung gerne aufgenommen.“

Das IBA_LAB N°4 wurde realisiert mit freundlicher Unterstützung der Hans Sauer Stiftung.

Okt. 2016 | Heidelberg, Allgemein, Feuilleton, Junge Rundschau, Rhein-Neckar.Region | Kommentieren