geld_wir_doch_nichtIst ja nicht neu, jetzt aber zusammengefasst hier: 71.000 Ärzte erhalten Geld von der Pharmaindustrie. Und nochmal aber: Erstmals werden diese Interessenkonflikte nun öffentlich. Pharmakonzerne zeigen sich gern großzügig gegenüber Ärzten: Sie bezahlen sie für Vorträge, laden sie zu Kongressen ein, erstatten ihnen Hotelübernachtungen, honorieren sie für Anwendungsbeobachtungen. 575 Millionen Euro flossen auf diese Weise im vergangenen Jahr an mehr als 71.000 Ärzte und medizinische Einrichtungen in Deutschland. Nur 20.000 Ärzte sind aber einverstanden, dass ihr Name veröffentlicht wird.

Spitzenreiter unter den namentlich bekannten Geldempfängern war ein Arzt in Essen: Dr. Hans Christoph Diener hat im vergangenen Jahr mehr als 200.000 Euro für Vorträge, Fortbildungen, Beratungshonorar und Spesen erhalten. Auf Platz zwei folgt der Bonner Mediziner Dr. Jürgen Rockstroh mit 148.000 Euro, auf Platz drei der Diabetologe Dr. Michael Albrecht Nauck aus Bochum mit 128.000 Euro und auf Platz vier der Diabetologe Dr. Thomas Forst aus Mainz mit 100.000 Euro.

Dass diese Ärzte an der Spitze stehen, heißt nicht, dass sie deutschlandweit auch die meisten Zuwendungen bekommen haben. Sie sind nur die Ranglistenführer jener Ärzte, die sich freiwillig an der Initiative beteiligen.

Der Internist Jens Schreiber aus Magdeburg, erhielt Zuwendungen von elf verschiedenen Pharmaunternehmen im vergangenen Jahr, auch dies ein Rekord. Am meisten erhielt Schneider von Novartis: 24.000 Euro.

Überhaupt ist Novartis Spitzenreiter bei den Zuwendungen an Ärzte: Insgesamt 12,2 Millionen Euro zahlte der Konzern im Jahr 2015 an Ärzte allein für Vorträge, Fortbildungen, Spesen oder als Beratungshonorar.

Das Transparenzprojekt hat einen Haken

„Die Veröffentlichung wird das Verständnis für die Zusammenarbeit zwischen Arzneimittelherstellern und Ärzten und ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit erhöhen“, lobte Birgit Fischer anlässlich der Vorstellung der Daten. Sie ist Hauptgeschäftsführerin der Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), der Lobby von Big Pharma in Berlin. „Auf Basis allgemein zugänglicher Zahlen kann die Öffentlichkeit nun nachvollziehen, wie Ärzte und Pharmaunternehmen im Gesundheitssystem zusammen arbeiten.“

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VfA-Chefin Birgit Fischer und FSA-Geschäfsfüher Holger Diener (li.): „Mehr Vertrauen in die Pharmaindustrie”

Dies Transparenzprojekt hat allerdings einen Haken: Die Daten sind für Patienten nahezu unlesbar. Die 54 Unternehmen stellten die Dokumente mit zum Teil mehreren tausend Ärztenamen einfach irgendwo auf ihre Websites. In vielen Fällen waren die PDFs nicht computerlesbar, waren die Ärzte nur nach Vornamen sortiert, wurden die Orte ohne Postleitzahlen angegeben. Zusammengeführt wurden die Daten nirgends, durchsuchbar sollten sie nicht sein. „Eine solche Datenbank ist nicht geplant“, bestätigte FSA-Geschäftsführer Holger Diener.

Manche Firmen verbieten sogar ausdrücklich, die Daten zu nutzen. Das Pharmaunternehmen Grünenthal etwa, einst Hersteller des schädlichen Contergan, schreibt auf seiner Webseite: „Die Veröffentlichung dieser Daten stellt keine Erlaubnis für Sie als Leser dar, diese Daten zu verarbeiten oder zu nutzen.“ Auch UCB Pharma warnt: „Die Veröffentlichung stellt unsererseits keine Erlaubnis für den Besucher der Website dar, die Daten weiterzuverarbeiten.”

Eine Datenbank mit 20.000 Namen

CORRECTIV und „Spiegel Online“ haben sich davon nicht abschrecken lassen – und die Daten der 54 Pharmaunternehmen aufbereitet, eingelesen und in eine frei durchsuchbare Datenbank überführt. Es ist die erste derartige Datenbank in Deutschland, die Zahlungen der Pharmaindustrie an mehr als 20.000 Ärzte mit Namen und genauen Summen auflistet.

119 Millionen Euro haben die Pharmafirmen im vergangenen Jahr für Vortragshonorare, Fortbildungen und Reisespesen an Ärzte bezahlt. Allein aus diesem Topf flossen im Schnitt 1646 Euro an jeden der Ärzte.

Dazu kommen insgesamt 366 Millionen Euro als Honorar für Anwendungsbeobachtungen und andere medizinische Studien, zu denen die Firmen aber alle detaillierten Angaben verweigern. „Man differenziert nicht weiter im Forschungsblock“, rechtfertig Birgit Fischer vom VfA auf Nachfrage die bestehende Intransparenz bei Anwendungsbeobachtungen. „Das ist eine Entscheidung, die gemeinsam getroffen wurde.“

Die Pharmaindustrie argumentiert immer wieder, dass es sich bei AWBs um Forschung handelt. Doch Arzneimittelprüfer wie Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) können darüber nur milde lächeln. „Diese Studien sind wissenschaftlich wertlos“, sagt der IQWiG-Chef. „Sie liefern uns keinerlei Informationen über den Nutzen und die Wirksamkeit eines Medikaments. Deshalb schauen wir sie uns auch gar nicht an.“

Die Zahlungen beeinflussen Ärzte

Seit Jahren streiten Experten darüber, welchen Einfluss die Zahlungen der Pharmaindustrie auf die Mediziner haben. Die meisten Ärzte glauben, dass sie unbestechlich seien, auch wenn sie sich von der Industrie sponsern lassen. Legendär ist mittlerweile eine Studie aus einem Krankenhaus in Kalifornien. Dort wurden die Ärzte gefragt, ob sie bei der Auswahl von Medikamenten durch Pharmareferenten beeinflusst werden. 61 Prozent gaben an, sie ließen sich „gar nicht“ beeinflussen. Dann wurden die gleichen Ärzte gefragt, ob sich ihre Kollegen durch Pharmavertreter beeinflussen lassen. Diesmal waren 84 Prozent der Ansicht, dass sich die anderen gelegentlich bis häufig beeinflussen lassen.

In Deutschland untersucht unter anderem Klaus Lieb den Einfluss der Zahlungen. Er ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Uni Mainz und sagt: „Wir Ärzte haben bezüglich Interessenskonflikten einen blinden Fleck. Wir lassen uns von der Pharmaindustrie einladen und glauben dennoch, wir seien unabhängig.“

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Klaus Lieb, Uniklinik Mainz: „Ärzte, die auf pharma-gesponserte Fortbildungen gehen, verordnen im Schnitt höherpreisige Präparate.“

Peter Pulkowski

In der Fachzeitschrift „Plos One“ hat Lieb eine Untersuchung veröffentlicht, die zeigt, dass Ärzte, die häufig Pharmareferenten empfangen, auch mehr Medikamente verschreiben. „Dazu kommt, dass Ärzte, die auf pharma-gesponserte Fortbildungen gehen, im Schnitt höherpreisige Präparate verordnen.“ Zudem betonten industrienahe Ärzte die Vorteile von Medikamenten und neigten dazu, Risiken herunterzuspielen. „Für all diese Erkenntnisse gibt es mittlerweile eine ganz gute Datenbasis“, sagt Lieb.

Vorbild: ein Gesetz aus den USA

Nach Berechnungen von CORRECTIV und „Spiegel Online“ haben nur 29 Prozent der Ärzte einer Veröffentlichung ihres Namens zugestimmt. Lieb bedauert diese geringe Zahl. „Transparenz sieht anders aus“, sagt er. „Damit kann man auf der individuellen Ebene im Vergleich zum Sunshine Act nicht viel anfangen.“

Der „Physician Payments Sunshine Act” ist ein Gesetz der US-Regierung unter Barack Obama aus dem Jahr 2010. Es verpflichtet alle Pharmaunternehmen, Summe und Namen der Ärzte zu veröffentlichen, an die sie im vergangenen Jahr Geld gezahlt hatten – und zwar ohne, dass die Ärzte zustimmen müssen.

„Keine Gesetze geplant“

Auf die Frage, ob der geringe Anteil von offenlegungswilligen Ärzten in Deutschland irgendwelche Konsequenzen haben sollte, lässt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) mitteilen: „Neben den bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Transparenz und Korruptionsbekämpfung sind zurzeit keine weiteren Gesetze geplant.“ Obamas Sunshine-Act lehnt Gröhe für Deutschland ab: „Die Regelungen in den USA stoßen teilweise auf Kritik. Es wird angeführt, dass sie geeignet seien, aufgrund der kontextlosen Darstellung der Zahlungen, Ärzte und Unternehmen grundsätzlich unter den Verdacht der Korruption zu stellen“, teilt das Ministerium auf Anfrage mit.

Klaus Lieb von der Uniklinik Mainz sieht in der Veröffentlichung der Geldströme an die Ärzte immerhin einen Fortschritt. „Wenn man diese Zahlungen öffentlich macht, nimmt der Arzt seine eigenen Interessenskonflikte plötzlich wahr, er blickt auf sie drauf und hat dann eine gewisse Distanz. Das hilft ihm, aus dem Blinden-Fleck-Problem heraus zu kommen.“

Peter Sawicki, als Leiter des IQWiG viele Jahre lang Deutschlands oberster Arzneimittelprüfer, widerspricht. Er hält den Transparenzkodex der Pharmaindustrie für puren Aktionismus. „Das ist eine weitere Maßnahme, um sich der Öffentlichkeit als sauber zu präsentieren.“ Auch er betont, dass die Zahlungen der Pharmaindustrie die Ärzte massiv beeinflussten. Das sei durch eine Vielzahl von Studien erwiesen. „Es wird endlich Zeit, dass wir aus dieser Erkenntnis die Konsequenzen ziehen und eine pharma-unabhängige Fortbildung für Ärzte begründen“, sagt er. „Aber dazu fehlt der politische Wille.“

Mitarbeit:  Hristio Boytchev, Ariel Hauptmeier, Christoph Henrichs, Simon Jockers, Ivo Mayr, Philipp Seibt, Patrick Stotz, Achim Tack.

Sep. 2016 | Heidelberg, Allgemein, Gesundheit, Politik, Sapere aude, Senioren | Kommentieren

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