Max Mannheimer

Max Mannheimer

Die jüdische Familie Mannheimer aus Mähren im heutigen Tschechien geriet trotz Flucht in die Hände der Hitler-Schergen. Sie wurde ins Konzentrationslager Theresienstadt und von dort nach Auschwitz-Birkenau gebracht.
Max Mannheimer verlor fast seine ganze Familie. Er selbst war mehr als zwei Jahre in Konzentrationslagern gefangen, ehe er wenige Tage vor Ende des Zweiten Weltkrieges von US-Soldaten befreit wurde.

 

Kampf gegen Rechtsradikalismus

Es wurde Max Mannheimers Lebensaufgabe, öffentlich gegen Rechtsradikalismus und Antisemitismus zu kämpfen. Unermüdlich war er seit den 1980er Jahren als Zeitzeuge für die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus unterwegs, zudem engagierte er sich in der Lagergemeinschaft Dachau und war seit 1988 deren Vorsitzender.
Jetzt ist Mannheimer, einer der prominentesten Holocaust-Überlebenden und Repräsentant der Juden in Deutschland, im Alter von 96 Jahren verstorben. Dass er so alt werden durfte, grenzt an ein Wunder.
Theresienstadt, Auschwitz, Warschau, Dachau, die Außenlager Karlsfeld und Mühldorf: Über Jahre wurde Mannheimer von den Nationalsozialisten gequält, erniedrigt, ausgebeutet – und entrann immer wieder dem Tod.

Häftling mit der Nummer 99728

1920 in Neutischein, Nordmähren geboren, erlebte der Älteste von fünf Geschwistern schon als Kind am eigenen Leib, wie schmerzhaft Worte sich in die Seele einbrennen können. „Du Saujude“, brüllte ein Mitschüler Max mal hinterher, da stopfte sein Bruder Erich dem Jungen entschlossen einen Pferdeapfel in den Mund.

Doch die antisemitische Hetze nahm zu, die Familie floh nach Südmähren. Vergeblich. Im Januar 1943 wurde sie zunächst nach Theresienstadt und dann nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort, an der Rampe, sah Mannheimer seine Eltern, seine junge Ehefrau Eva und seine Schwester Käte am 2. Februar 1943 das letzte Mal: Sie wurden noch in der gleichen Nacht vergast.

Max Mannheimer – der Unermüdliche

Auch den Rest seiner Familie ermordeten die Nationalsozialisten. Übrig blieben Max, dem man die Nummer 99728 auf den linken Unterarm eingebrannt hatte, und sein Bruder Edgar. Als US-Soldaten den an Fleckfieber erkrankten Max am 30. April 1945 befreiten, wog er noch 47 Kilogramm.

Wer einmal das Glück hatte, Max Mannheimer kennenzulernen, der staunte, mit welcher Ruhe, mit welcher Präzision er von all den Stationen seines unfassbaren Martyriums erzählte. Wie die SS-Männer mit Schuhleisten auf ihn eingeprügelt hatten. Wie sie ihn gezwungen hatten, zur Marschmusik an den aufgeschlitzten Leibern der Mithäftlinge vorbeizugehen, die zur Warnung auf schräg gestellte Holzleisten gelegt worden waren.

Wie ein Kapo zum Spaß seinen Hund auf ihn gehetzt hatte. Und ein anderer versuchte, ihn in einem Bottich mit brauner Brühe zu ertränken, in dem Häute gegerbt wurden. Wieder und wieder trat der Sadist mit dem Stiefel auf den Kopf Mannheimers. Doch der junge Jude überlebte: Folter um Folter, Selektion um Selektion, Demütigung um Demütigung.

Erinnern als Lebenselixier

Eigentlich wollte er nie wieder das Land seiner einstigen Peiniger betreten. Und zog 1946 dennoch nach Deutschland, der Liebe zu seiner zweiten Frau Elfriede wegen. Nachdem Mannheimer in den ersten Jahrzehnten niemandem von seinem Schicksal erzählt hatte, schrieb er 1964 in einer tiefen Lebenskrise seine bewegende Geschichte auf, die er „Spätes Tagebuch“ nennt. Noch einmal 20 Jahre dauerte es, bis das Tagebuch erstmals in den „Dachauer Heften“ publiziert wurde. Von nun an begann Mannheimer, öffentlich über sein Martyrium zu sprechen.

Tor im Jourhaus, dem Eingangsgebäude des KZ Dachau

Tor im Jourhaus, dem Eingangsgebäude des KZ Dachau

Bis zuletzt sollte er nicht damit aufhören: Unermüdlich kämpfte Mannheimer, seit 1990 Vorsitzender der von ehemaligen Häftlingen gegründeten Lagergemeinschaft Dachau und seit 1995 Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees, gegen das Vergessen. Rastlos zog er von Schule zu Schule, sprach an Universitäten, auf Kirchentagen, Kongressen, Seminaren. Der Drang, an den millionenfachen Judenmord zu erinnern und gegen das Vergessen zu kämpfen, geriet zu Mannheimers Lebensaufgabe. Ebenso gab ihm die Malerei Kraft:

Seit den Fünfzigerjahren war Mannheimer künstlerisch tätig, seine Werke signierte er mit „ben jakov“ (Hebräisch für Sohn des Jakob“) – zu Ehren seines in Auschwitz ermordeten Vaters. Zudem liebte es der hochbetagte, humorvolle Charmeur zu flirten, Komplimente zu verteilen, Pralinen in die Post zu legen.

Auch im hohen Alter quoll Mannheimers Kalender über vor Terminen. Nicht uneitel, genoss er die eigene Popularität und klagte doch darüber: „Eines steht fest: Nie wieder 95!“, schrieb der vierfache Urgroßvater im März 2015 in einem Brief. Und entschuldigte sich, ganz Kavalier, dass er ihn nicht von Hand geschrieben habe.

Max Mannheimer, unter anderem Träger des Bundesverdienstkreuzes sowie des Großen Verdienstkreuzes mit Stern der Bundesrepublik Deutschland, starb am Freitagnachmittag (23. September 2016) in München nach einer Operation am Bein. Wie sein Sohn Ernst Mannheimer berichtet, hatte er einen leichten, schnellen Tod.

Max Mannheimer und Bundeskanzlerin Merkel in Dachau

Max Mannheimer und Bundeskanzlerin Merkel in Dachau

„Wir schulden ihm Dank“, twitterte Regierungssprecher Steffen Seibert im Namen von Kanzlerin Merkel, die den verstorbenen Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer als Mahner gegen das Vergessen und großen Versöhner würdigte. „Die Gedenkstätte und ihre Mitarbeiter trauern um einen guten Freund“, sagte die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Gabriele Hammermann. „Der Tod Max Mannheimers ist ein schmerzlicher Verlust. Er wird uns allen fehlen“, teilte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer am Sonnabend in einer schriftlichen Erklärung mit.
„Ihr seid“ – war eine von Max Mannheimer immer wieder unter die Leute gebrachte Forderung –  „nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.“

Sep. 2016 | Allgemein, Junge Rundschau, Senioren, Zeitgeschehen | Kommentieren