Ich stehe im Badezimmer vor dem Spiegel und betrachte mich aufmerksam zu Beginn des Wasch- und Rasiervorgangs. Der Spiegel ist brauchbar und klar. Mein Gesicht strahlt gebremstes Altern, wenngleich nicht ein jünger Werden, aus. Wie denn auch? Ein paar Gesichtslinien, die sich mir im Laufe der letzten Jahre markant eingezeichnet haben, deute ich genügsam als Beleg für den Zuwachs an Denkfähigkeit und Weisheit, ja mitunter gar Glück. Glück kann anstrengend sein, heißt es. Zufrieden drehe ich den Wasserhahn auf. Das sofort einsetzende Rauschen bewirkt jedoch wieder mal einen Effekt, den ich nun schon aus täglicher Verrichtung kenne. Ich drehe den Hahn rasch ab und laufe in Richtung Toilette. Der Gang zum stillen Örtchen, das auf der anderen Seite meiner großen Wohnung liegt, wird zur kleinen Qual. Der Spiegel, der im Bad geblieben ist, würde mir die Wirkung in meinem Gesicht sichtbar machen, denke ich. Vor allem daran, dass bestimmte Wege in der Wohnung immer länger werden, merke ich, dass ich in die Jahre gekommen bin.
Aus: Die Tücken des Alltags oder: Der Teufel steckt im Detail von Fritz Feder