Ich stehe bei herrlichem Sommerwetter auf einem der zentralen Plätze meiner Heimatstadt und warte, wie immer zu früh, auf einen Freund, der immer verspätet kommt. Und fast niemals gelingt es mir, ihn zu orten, bevor er bereits ganz nahe an mich herangetreten ist oder gar schon mit verschmitztem Blick neben mir steht. Diesmal ist der Treffpunkt die sogenannte Spaghetti-Säule, ein steil getriebenes, verwickeltes, eben säulenartiges Etwas an Kunstwerk aus Aluminium, das nun in der Sonne glitzert.
Ich vertreibe mir die Zeit des Wartens damit, anderen Passanten und Passantinnen bei ihren zumeist hektischen Besorgungsgängen zuzusehen. Das im Süden Europas bekannte, gemächliche und bisweilen laszive Schlendern scheint sich trotz der gleißenden Hitze nicht durchzusetzen. Plötzlich kommt eine kleine Gruppe dreier junger Männer ganz nah an mir vorbei. Sie mögen so um die 16 sein. Knaben in der Pubertät und doch schon mannsstark in Figur und Gestus. Aus ein paar Wortfetzen bekomme ich in Sekundenschnelle mit, dass sich diese Schüler über Zahlen, über das Rechnen unterhalten. Als die Truppe schon fast an mir vorbei ist, höre ich den aufgeregten Hinweis des einen Jungen an die anderen: Nee, hey Alder, 12×12 ist nie und nimmer 144. Plötzlich klopft mir von hinten jemand auf die Schulter. Es ist, na klar, mein Freund. Er ist nie und nimmer pünktlich, aber diesmal bloß circa 144 schlappe Sekunden zu spät.
Aus: Die Tücken des Alltags oder: Der Teufel steckt im Detail von Fritz Feder