burkiniDie Kronen und Süddeutsche Zeitung geben die Lage besonders bedrohlich wieder: „Vier mit Schlagstöcken und Pfefferspray ausgestattete Polizisten marschierten auf den Strandabschnitt Anglais Beach und stellten die auf einem Handtuch ruhende Muslima zur Rede …“ oder „Vier bewaffnete Männer umringen eine Frau und zwingen sie, sich auszuziehen – das ist die höchstens geringfügig zugespitzte Geschichte, die die Bilder eines Fotografen der Nachrichtenagentur AFP aus Nizza erzählen“, heißt es in den Artikeln.

Keines der berichtenden Medien nennt Belege, zitiert Zeugenaussagen oder hat bei der Polizei nachgefragt. Viele nennen nicht einmal die Quelle, auf die sie sich beziehen. Die meisten Artikel gehen zurück auf Veröffentlichungen der Daily Mail, auch der Guardian wird als eines der zuerst berichtenden Medien genannt. Woher die Einordnung, dass die Frau unter Zwang stand, kommt, ist unklar. Bild bleibt gar bei der Darstellung, dass die Frau einen Burkini getragen habe.

Deutsche Welle fragt als einziges Medium nach

Dabei gibt es Zweifel an der Nizza-Geschichte. Als einziges deutsches Medium ist die Deutsche Welle den offenen Fragen nachgegangen. Sie hat Stellungnahmen der Stadtverwaltung von Nizza sowie der Polizeibehörde eingeholt. „Die Frau wollte zeigen, dass sie einen Badeanzug trägt – aber keiner hat sie dazu gezwungen, ihr Oberteil auszuziehen“, zitiert die DW Le Hô, Sprecher der Stadt Nizza. Seitens der Polizei heißt es: „Die Polizisten haben ihr gesagt, dass sie nur ohne die Tunika am Strand bleiben darf. Aber sie hat sie wieder angezogen. Also musste sie eine Strafe von 38 Euro zahlen. Kurze Zeit später hat sie den Strand verlassen – friedlich.“ Man hat also einen Bußgeldbescheid ausgestellt und der Frau das Verbot mitgeteilt. Sie gezwungen, sich in der Öffentlichkeit auszuziehen, habe man nicht. Darüber hinaus thematisiert die Deutsche Welle den Verdacht, dass die Szene möglicherweise gestellt gewesen sein könnte und die Identität der Frau  unbekannt sei.

Auf ihre Berichterstattung angesprochen reagieren die deutschen Seitenbetreiber unterschiedlich. Auf Nachfrage antwortet SZ-Digital-Chef Stefan Plöchinger, dass er grundsätzlich kein Problem in der Berichterstattung sieht. Man weise im ersten Absatz darauf hin, dass nicht klar sei, wie die Szene hinter den Bildern genau abgelaufen ist. Wörtlich steht dort geschrieben:

Bildschirmfoto (1)„Was die Polizisten der Frau sagen, ob es eine Diskussion gibt, einen Streit, verraten die Bilder nicht. Aber sie zeigen das Ergebnis des Polizeieinsatzes: Die Frau zieht ihr Oberteil aus, streng überwacht von den Polizisten, neugierig beäugt von den umliegenden Badegästen“.

Darüber hinaus habe man „ausdrücklich nicht“ geschrieben, dass die Frau gezwungen worden sei. Im (oben) zitierten Absatz („Vier bewaffnete Männer umringen eine Frau…“), in dem die Szene beschrieben wird, habe man nicht geschrieben, was passiert ist, sondern was die Bilder zeigen.

„Im Bewusstsein der mangelhaften Quellenlage haben wir diese also erstens im Text benannt (und im Gegensatz zu anderen Medien unter anderem klargestellt, dass es nicht um einen Burkini geht) und zweitens im Text nie behauptet, die Polizisten hätten die Frau gezwungen“, erklärt Plöchinger. Allerdings geschah das in der Headline. Diese wurde am Freitagvormittag, nach erscheinen des Deutsche-Welle-Artikels und der Anfrage von MEEDIA, geändert. „Wir haben den Titel inzwischen korrigiert und dies am Ende des Textes auch angemerkt. Außerdem recherchieren wir der Geschichte seit Erscheinen weiter hinterher, weil uns natürlich auch interessiert, was bei diesem viel diskutierten Bild wirklich passiert ist.“

Weniger einsichtig zeigt sich Bild-Online-Chef Julian Reichelt. Man wolle die Recherchen der Deutschen Welle erst einmal überprüfen. „Sollten wir – auch nach eigenen Recherchen – zu dem Ergebnis kommen, dass sich der Hergang belastbar anders darstellt als bisher, werden wir das natürlich in unseren Artikeln abbilden“, so Reichelt. So sei man auch bisher vorgegangen. Informationen seien nicht einfach übernommen worden, sondern wurden „natürlich abgeglichen mit allen anderen Berichten von vor Ort, Agenturberichten, großen Networks wie CNN, BBC. Dazu gehört auch, die Social-Media-Kanäle örtlicher Behörden/Institutionen/Medien/Journalisten auszuwerten, auf denen dem Sachverhalt zu keinem Zeitpunkt widersprochen wurde. Auch jetzt sehe ich noch kein belastbar neues Lagebild“, so Reichelt.

MEEDIA hat auch in der Chefredaktion von Spiegel Online nachgefragt. Diese erklärt: „In unserer Berichterstattung über den Fall in Nizza haben wir uns vor allem auf die Beschreibung jener Szenen fokussiert, die auf den Fotos zu sehen sind. Ob sich hieraus eine Zwangssituation herleiten lässt ist tatsächlich nicht eindeutig. Wir haben den Text entsprechend angepasst und mit einem Vermerk versehen. Inwieweit hier eine Zwangssituation vorlag werden die weiteren Recherchen zeigen.“

Anmerkung der Redaktion:

Die Erklärung von Spiegel Online wurde nach Veröffentlichung des Artikels geliefert, sie wurde nachträglich eingefügt.

Aug. 2016 | Allgemein, Junge Rundschau, Kirche & Bodenpersonal, Zeitgeschehen | Kommentieren