„Der deutsche Charakter zeichnet sich aus durch gemütsbetonte Veranlagung, durch Fleiß und Zähigkeit, Sinn für Zucht und Ordnung und bs. durch eine auf alle Kulturzweige sich ertsreckende Begabung.“
Der Neue Brockhaus, 1938)
Wozu es Nationen gibt, habe ich nie recht verstanden. Und nun aber genau diejenigen, die am liebsten von den Nationen, von zumal der, am liebsten sprechen, konnten es mir am allerwenigsten erklären. Nicht einmal versucht haben sie´s, all die engagierten Nationalisten und ihre Widersacher, die engagierten Anti-Nationalisten.
Alleweil höre ich um mich herum die einen wie die anderen sagen, dass ich ein Deutscher sei. Jedoch verstehe ich ihre Emphase nicht so ganz: Was sie mir nämlich versichern, das bezweifle ich doch gar nicht; will es gern glauben, es ist mir seit geraumer Zeit auch recht geläufig. Jedoch werden es die Leute nicht müde, mir diese bescheidene Tatsache – in welcher Absicht auch immer – häufig vorzubringen. Ich spüre es aus den von ihnen verwendeten Worten, dass sie das Gefühl haben, als würden sie damit etwas bewiesen haben, als hätten sie mich über meine eigene Natur aufgeklärt. Und nun hätte ich mich von Stund an entsprechend – als Deutscher nämlich – zu verhalten. Wie verhält man sich nun aber als rechter Deutscher?
Richtiges Rollenverhalten seit 1848
So hab´ ich es nach langen Jahren
Zu diesen Posten noch gebracht
Und leider nur zu oft erfahren,
Wer hier im Land das Wetter macht.
Du sollst, vedammte Freiheit ! mir
Die Ruhe fürder nicht gefährden;
Lisette, noch ein Gläschen Bier !
Ich will ein guter Bürger werden.
Auch ich sprach einst vom Vaterland
Und solchen sonderbaren Dingen,
Ich trug das schwarzrotgoldne Band
Und ließ die Sporen furchtbar klingen:
Doch selig, wer im Gleise geht
Und still im Joche zieht auf Erden –
Was hilft die Genialität ?
Ich will ein guter Bürger werden.
Diogenes vor seiner Tonne –
Vortrefflich, wie beneid´ ich ihn !
Es war noch keine Julisonne,
Die jenen Glücklichen beschien.
Was Monarchie ? was Republik ?
Wie sich die Leute toll gebärden !
Zum Teufel mit der Politik !
Ich will ein guter Bürger werden.
Gewiß, man tobt sich einmal aus –
Es wär ja um die Jugend schade –
Doch, führt man erst sein eigen Haus,
So werden Fünfe plötzlich grade.
In welcher Mühle man uns mahlt,
Das macht uns nimmer viel Beschwerden.
Der ist mein Herr, der mich bezahlt –
Ich will ein guter Bürger werden.
Jedwedem Umtrieb bleib ich fern,
Der Henker mag das Volk beglücken !
Ein Orden ist ein eigner Stern,
Wer einen hat, der soll sich bücken.
Bück dich, mein Herz ! bald fahren wir
Zur Residenz mit eignen Pferden
Lisette, noch ein Gläschen Bier !
Ich will ein guter Bürger werden.
Georg Herwegh (1817 – 1875)
Soll dafür ein rechter richtiger Deutscher stolz sein: Dass es „Kameraden“ gibt, die die Fahnen hoch halten in mehr oder weniger fest geschlossenen Reihen? Soll ich stolz sein ? Soll ich mich genieren ? Soll ich die Verantwortung übernehmen? Und wenn ja, wofür? Soll ich mich verteidigen? Und wenn ja, wogegen? Ich weiß es nicht, wenn ich aber das Gesicht meines Gegenübers aufmerksam betrachte, kann ich erraten, welche Rolle er mir zugedacht hat, ich kann diese Rolle ausschlagen oder akzeptieren. Aber selbst, indem ich sie ausschlage, werde ich sie nicht los; vielmehr zeichnet sich in der Miene meines Gegenübers die Reaktion auf meine Reaktion ab: Empörung oder Genugtuung, Billigung oder Wut, darüber nämlich, dass ich mich als Deutscher so oder anders verhalte.
Meine Nationalität ist also keine Qualität, sondern eine Erwartung, die andere in mich setzen. Natürlich nicht nur eine unter vielen derartigen „Rollenerwartungen“. Auch hinsichtlich meines sozialen Status als Journalist (zwar: überall dabei, aber: nirgendwo dazugehören – schluchz), meines le(i)digen Familienstandes oder meines Alters wegen treten mir in dieser wie in jeder Gesellschaft gewisse Ideen gegenüber, die mich zu dem formieren oder deformieren sollen, was ich in den Augen der Gesellschaft zu sein hätte: also etwa der Bewohner einer Stadt, in der ausschließlich Geistesriesen leben, die alleweil recht haben, ein Spätachtundsechsiger, kein Familienvater und so weiter. Jedoch sind alle diese Bestimmungen um so leichter abzuschütteln, desto handgreiflicher sie sind. Die Nationalität aber – die abstraktest-illusionärste unter ihnen – ist die mit Abstand hartnäckigste.
Geschichtsbüchern vertrauen?
Traute ich ausnahmsweise den Geschichtsbüchern ganz – so hat es, vielleicht vor dem Ersten Weltkrieg, eine Zeit gegeben, in welcher Nationalität mehr bedeutete und war, denn psychologische Größe; und erkläre es mir also: Auf dem Weg von der steinzeitlichen Urhorde über andere mehr oder minder merkwürdige solche hin zur planetarischen Industriegesellschaft scheint die Entfaltung der Produktivkräfte irgendwann im neunzehnten Jahrhundert einen Punkt erreicht zu haben, in welchem souveräne Nation ihnen ein optimales Organisationsprinzip bot – aus dieser fernen Zeit stammen vermutlich Beschwörungsformeln wie „Buy British“, sowie „Deutschland, Deutschland über alles“: „Grande Nation“ oder „Deutsche Wertarbeit“.
Seither haben sich die produktiven – gleichermaßen wie die destruktiven – Kräfte, über welche die Menschheit verfügt solcherweise weiterentwickelt, dass die Nation als Form ihrer Organisation nicht nur zumindest etwas meschugge, sondern zu einem lebensgefährlichen Hindernis geworden ist. Nur am Biertisch und von tumben Glatzen auf der Straße (wie auch von rechten Rechtsanwälten) – wird sie noch buchstäblich oder sonstwie ernst genommen.
Nationale Identität ?
Wir haben es sehr spät zu einer nationalstaatlichen Identität gebracht, und wir haben uns nie sehr sicher in ihr gefühlt. Daher mag der hysterische Überschwang rühren, mit dem in diesem unserem Land seit 1870 der sogenannte „nationale Gedanke“ genährt wurde und seitdem wird. 1945 ist uns diese Identität abhanden gekommen, und zwar so gründlich, dass man sich muss fragen dürfen, ob von einer deutschen Nation überhaupt noch die Rede sein kann. Für einen Frankfurter – mittlerweile sogar für einen an der Oder – liegt doch, zum Beispiel, New York vor der Tür. Aber, natürlich, macht uns dies nicht gleichzeitig zu Kosmopoliten. Und das Scheinbild der Nation stellt dazu allenfalls eine seelische Möblierung
„Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist“, ließ Goethe im „Faust“ den gelehrten Bakkalaureus noch sagen, wogegen Herder bereits vor 200 Jahren, als die Fürsten, deren Höflinge und Minister sowie die meisten „Gebildeten“ Deutschlands sich noch des Französischen als neuer Herrensprache bedienten, der studentischen Jugend riet: „Lernt Deutsch, ihr Jünglinge, denn ihr seid Deutsche!“
Gott mit uns !
Angefacht von aufkommendem Nationalismus des von der Französischen Revolution aufgeweckten, selbstbewussten Bürgertums, wurden dem Begriff „deutsch“ im 19. Jahrhundert immer positivere Bedeutungen angedichtet. Zunächst war es nur die „Gemütlichkeit und Herzlichkeit“ (Görres), dann, nach dem Sieg über das napoleonische Frankreich, auch das Fehlen jeglicher Furcht, das schon die Dichter der Freiheitskriege behaupteten. Bismarck machte einige Jahrzehnte später daraus: „Wir Deutschen fürchten Gott, aber sonst nichts auf der Welt!“ – eine scheinbare Abschwächung, aber der angeblich als einzige Ausnahme gefürchtete Gott war längst zu einem Landsmann, zu einem deutschen Gott gemacht und als solcher zu einem Helden geworden! Ernst Moritz Arndt hatte ihn bereits einvernamt, sein „Deutscher Trost“ zählt zunächst zwei ausführlich beschriebene, angeblich deutsche Tugenden auf, die sich verkürzt als Treue und Freiheitsdrang bezeichnen lassen, und schließt dann knapp:
„ … deutscher Gott und deutscher Stahl, sind vier Helden allemal“. Folgerichtig war dieser Anspruch, auf die Kurzformel „Gott mit uns!“ gebracht, noch bis ins 20. Jahrhundert hinein den Koppelschlössern und Köpfen deutscher Soldaten eingeprägt, die dann aber damit letztlich keine guten Erfahrungen machten.
Zwischen Minderwertigkeitsgefühl und Größenwahn
Bekanntlich schwanken wir Deutschen zwischen Minderwertigkeitsgefühlen und Größenwahn. Uns von Nachbarn angediente Kollektivbeschimpfungen tun uns gut, wir dürfen kollektiv beleidigt sein, unser Selbstmitleid wird gestärkt, unsere zerüttete Identität richtet sich auf. Gott oder wem immer sei Dank, niemand kann uns leiden!
Beschimpfungen ? Aber richtig !
Unglücklicherweise zeigt dieses Schutzschild der Rundum-Beleidigungen neuerdings Risse. So musste eine um das Ansehen der Deutschen im Ausland stets besorgte Tageszeitung gerade melden, dass in Frankreich der gute alte „Boche“ nahezu außer Gebrauch geraten sei. Gut hundert Jahre tat das Schimpfwort, dessen Herkunft je nach wissenschaftlicher Laune entweder auf „tête de boche“ = „Holzkopf“ oder, noch älter, auf „caboche/cabos“ = „Dickschädel“ zurückgeführt wurde, gute Dienste. Jetzt ist kein Ersatz in Sicht. Denn das von Carrère im Auftrag der Pariser Polizei herausgegebene Wörterbuch des Argot verzeichnet nur matte Synonyme: „haricot verde“ (=grüne Bohne), „Fridolin, frisé“ (=gekräuselt) und das unvermeidliche, gemeineuropäische „Fritz“.
Schwächlich auch, was die Italiener anbieten. „Crauti“ ist angloamerikanischer Abklatsch, „crucchi“ beleidigt möglicherweise nur die Behinderten. Die Dänen haben rein gar nichts vorzuweisen, außer den „Polse-Tysker“ (=Wurst-Deutschen), eine schwache Replik auf – längst aus der Mode – die Bezeichnung „Speck-Dänen“.
Im Westen schwenken nur noch die Holländer das aufrechte antideutsche Fähnlein. „Moffen“, etymologisch mit Muffel verwandt bezeichnete es ursprünglich einen ungehobelten Klotz.
Gut im Kurs liegt auch das Schweizer „Schwab“, ein schlimmes Schimpfwort, das die bekannten schlechten Eigenschaften dieses Volksstammes (als da etwa sind Belehrungssucht, Geiz, Auftreten in Rudeln) umstandslos auf die Deutschen in toto überträgt. Hingegen verfügen die Österreicher nur über das matte „Piefke“, dessen preußischer Adressat sich längst aus der Geschichte abgemeldet hat.
Den Tschechen darf bescheinigt werden, dass sie treu an „skopçák“ festhalten, was wörtlich die „Leute von den Hügeln“ heißt, konkret aber lediglich auf die hinterwäldlerischen Sudeten und Böhmerwald-Deutschen gemünzt ist. Bleiben uns als zuverlässigste Beschimpfer die Polen, deren „Swab“ eine ähnliche Funktion erfüllt, wie sein Schweizer Pendant. „Hitlerowcy“, Synonym für Nazis ist auf die ältere Generation beschränkt. Sprachschöpferisch, wie es die Polen sind, haben sie ein neues, dem alten „Fryc“ (=Fritz) nachgebildetes Schimpfwort hervorgebracht. Es lautet „Helmut“ – in der weiblichen Form aparterweise „Helmutka“, und stammt aus dem Milieu des freien, hauptsächlich mit Autohandel beschäftigten Unternehmertums.
Aber, sind wir schöpferischer?
Aus „Spaghetti“, „Polaken“, aus „Fidschis“, „Iwan“, „Tommy“, oder „Ami“ – läßt sich aus diesem Material wirklich eine zeitgemäße, euro-atlantische Beschimpfungsfront aufbauen? Wir befürchten, dass nein!
Ernstlich besorgt: Jürgen Gottschling, der – nota bene – sich der Retourkutsche eines „farbigen“ deutschen Schülers gegenüber einen ihn („es wird dunkel in Deutschland“) bedrohenden Deutschen Manne, den er nicht nur drum als Nazi-Sau beschimpfte, ausschließlich deshalb nicht anzuschließen vermag, weil damit die Sau in Verbindung mit rechtem Dreck gebracht wird. Sauen nämlich, deutsche zumal, die, die sind sauber! Und klug! Und, zu guter Letzt zudem auch meist, – wie so richtig freiwillig auch immer – reichlich (naja) lustig. Aber Nazis – oder haben wir jeh von einer Rasse „Pegida“ gehört?, das sind deutsche Sauen nicht, die heißen ja schließlich auch anders …
02.Juli.2016, 13:34
Das „eigentlich“ Erstaunliche, denken wir über den deutschen Nationalstolz, ist das gemeinhin gebräuchliche „aber“. Da wollen sie einen stark pigmentierten Verteidiger des EM-Kaders (sic) nicht als Nachbarn sehen; kaum rettet er mittels seiner Glanztaten die deutsche Fussballehre, strahlt der Zauber der Vergesslichkeit über das ganze Land, denn „aber so war das doch nicht gemeint“. Wehe,ein Eigentor oder gar ein verschossener Elfmeter des Idols macht die Meisterträume zunichte – „aber ich habe ja schon immer…“. Die Nation gerät nicht ins Wanken; die Tragik ist, dass immer noch falschen Schw…mit dem Applaus ihres stinkenden Stalles das Land verpesten, igitt. Diese werden meine Nachbarn nicht, eher ziehe ich fort.
03.Juli.2016, 07:41
Hallo Sven,
das ist doch, was die wollen. Zuzeiten hieß es wider Aufmüpfige: „Geh´doch rüber“ – aber: w i r sind nicht gegangen, auf deren Verlangen! Und heute schreibst Du: „Diese werden meine Nachbarn nicht, eher ziehe ich fort“ – an einen andren Ort?
Wir, gerade wir müssen bleiben, dürfen nicht das Feld räumen (das ist doch, wovon die träumen), machen wir deren Träume zu ihren Albträumen! Und Du: Bleib dort und geh nicht fort!
Seien wir intolerant gegen Intolerante. Nehmen wir deren stumpf-dumpf-rhetorischen Waffen und richten wir sie – von uns geschärft – gegen sie. Vielleicht ziehen dann die fort …
Karl K
03.Juli.2016, 17:33
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Brad
03.Juli.2016, 17:37
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04.Juli.2016, 14:17
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sobas hunju