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Europäische Presse

EU sucht Antworten auf den Brexit

gefaltet (1) [1]27 EU-Staaten treffen sich am heutigen Dienstag ohne Großbritannien, um die Umsetzung des Brexit zu besprechen. Am Wochenende hatten bereits die Außenminister der EU-Gründungsstaaten in Berlin über ein Europa der zwei Geschwindigkeiten beraten.

Wie sieht die Union der Zukunft aus?

REVISTA 22 (RO)

Es wird einen harten Kern geben

Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten ist unvermeidbar, fürchtet die Wochenzeitung Revista 22:

„Wir werden in naher Zukunft eine Institutionalisierung des harten Kerns Europas erleben, mit einem Parlament für diese Region, einer gemeinsamen Haushalts- und Fiskalpolitik und einem Superfinanzministerium. Vermutlich wird diese Region aus jenen sechs EU-Gründungsstaaten bestehen, zu denen sich Österreich, Finnland, Dänemark, Schweden und Slowenien dazugesellen werden. Die Visegrád-Staaten [Ungarn, Tschechien, Slowakei, Polen] werden dabei das Vorzimmer bilden, das integriert wird, sobald es die wirtschaftlichen Daten zulassen. Die Rolle von Institutionen wie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung wird beträchtlich steigen, um Programme zu steuern, die den Abstand zum Zentrum der EU verringern helfen sollen. … Die Folgen des Brexit wird man am stärksten an der Peripherie der Union spüren, in so schwach entwickelten Staaten wie Rumänien und Bulgarien.“

Stefan Popescu    Zum Originalartikel [2]


LE VIF / L’EXPRESS (BE)

Europa muss für die Völker da sein

Der Jurist Etienne Dujardin listet in Le Vif/L’Express die nötigen Schritte auf, die zur Neuausrichtung der EU nötig sind:

„Die Bürger sind nicht gegen Europa, sondern sie wollen ein anderes Europa: ein Europa, das sowohl in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht, als auch in Sachen Migration Schutz bietet und keine Angst hat, seine Wurzeln und seine Identität zu verteidigen. Ein Europa, das neue kulturelle Impulse gibt, das die Hindernisse im Bereich Bildung beseitigt, das Energien für Forschung und Entwicklung bündelt. … Die Engländer haben einen letzten Warnschuss abgegeben. Das europäische Projekt kann gerettet werden; allerdings braucht es ein neues Governance-Modell und darf nicht vergessen, dass es für die Völker da ist.“

Etienne Dujardin    Zum Originalartikel [3]


AVVENIRE (IT)

Die Mächtigen entmachten

Die EU als politisches Projekt kann nur überleben, wenn sie demokratisiert wird, prophezeit die katholische Tageszeitung Avvenire:

„Sicher, ein politisches Projekt in der Tradition der westlichen Demokratie, doch ist nur wenigen Teilen diese Demokratie vorbehalten. … Hinter diesem engen politischen Kreis steht keine breite soziale Basis: Die Hegemonie lässt die Verlierer der Globalisierung außen vor, sie bietet nur denen Anerkennung, die ihre radikalen Werte verinnerlicht haben. … Die Krise Europas kann überwunden werden, indem man dieses Hegemonialprojekt neu strukturiert und erweitert. Es ist sicher nicht autoritär, doch hat es finstere und invasive Züge angenommen. Es muss den nationalen Unterschieden gegenüber offen werden, indem es die nationalen und lokalen Patriotismen als eine Bereicherung und nicht als eine Bedrohung sieht und den Beitrag der großen idealen Geistesströmungen aufwertet, die Europa geschaffen haben.“

Marco Olivetti   zur Homepage [4]


LES ECHOS (FR)

Paris könnte neues Finanzzentrum werden

Für eine prosperierende Wirtschaft ist es unerlässlich, dass die europäischen Finanzinstitute aus London zurückgeholt werden, betont der Ökonom und Essayist Édouard Tétreau in Les Echos:

„Kontinentaleuropa kann nicht als effizienter Markt, als florierende Wirtschaft und Gemeinschaft souveräner Nationen existieren, wenn es hinnimmt, sich wie ein Mafioso offshore zu finanzieren. Das Finanzzentrum der USA ist in New York, nicht in Nassau auf den Bahamas. Ebenso wird sich die neue Europäische Union die Mittel verleihen, ihr Finanzzentrum auf ihr Territorium zurück zu verlagern. … Bei dieser Rückverlagerung haben Frankreich, Italien und Deutschland mit Paris, Mailand und Frankfurt besonders gute Karten. Es kommt [der Präsidentin der Region Île-de-France] Valérie Pécresse, [der Pariser Bürgermeisterin] Anne Hidalgo und dem künftigen Staatspräsidenten ab 2017 zu, in Paris bessere steuerliche Bedingungen als in London zu schaffen, damit solch eine Rückverlagerung erfolgt.“

Edouard Tétreau    Zum Originalartikel [5]


EU sucht Antworten auf den Brexit –
 Wie der Brexit Großbritannien verändert

Müssen EU-Migranten jetzt die Insel verlassen? Bricht das Vereinigte Königreich wirtschaftlich zusammen? Und wie wirkt sich der Brexit auf die transatlantischen Beziehungen aus? Nach dem Votum der britischen Bürger haben Europas Kommentatoren viele Fragen zu klären.


THE NEW YORK TIMES (US)

Wichtiger Partner der USA verliert an Gewicht

Der Brexit schwächt den wichtigsten Partner der USA und macht deren globale Anliegen damit schwerer umsetzbar, fürchtet die New York Times:

„Kein Land teilt Washingtons Weltsicht so sehr wie Großbritannien. Es ist seit langem der willigste Verbündete in Sachen Sicherheit, der effektivste Partner für die Geheimdienste und der größte Enthusiast des Freihandelmantras, das für Amerikas internationalen Ansatz eine Schlüsselrolle spielte. … Selbst wenn Großbritannien seinen Einfluss auf dem Kontinent zurückgewinnen kann – was fraglich bleibt – wird es über Jahre abgelenkt sein. Der Verlust von Großbritanniens starker Stimme in Europa kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Gerade wenn die USA und seine Verbündeten diskutieren, wie man mit einem revanchistischen Russland umgeht, die Nato wiederbelebt, ein sich dahinschleppendes amerikanisch-europäisches Handelsabkommen vorantreibt und an einer diplomatischen Lösung für Syrien arbeitet, die eine Entlastung für die Flüchtlingskrise in Europa sein könnte.“

David E. Sanger    Zum Originalartikel [6]


NÉPSZABADSÁG (HU)

Arbeitsmigranten brauchen keine Angst haben

Unter Arbeitnehmern aus osteuropäischen EU-Ländern in Großbritannien geht dieser Tage die Angst um, dass sie mit dem Brexit ihre Jobs verlieren könnten. Die ungarische Népszabadság gibt diesbezüglich jedoch Entwarnung:

„Als Ausgangspunkt gilt, dass die Magyaren ebenso wie andere Osteuropäer vor allem wegen der Arbeit in Großbritannien sind. Da sie legal arbeiten, zahlen sie auch Steuern und Abgaben. Mithin ist es ein Irrglaube, dass sie das britische Sozialsystem belasten. Egal, wie groß die Feindseligkeit gegenüber Einwanderern im Vereinigten Königreich auch ist, diejenigen, die dort arbeiten, werden sicher nicht abgeschoben, nur weil sie Ungarn, Polen, Rumänen oder Bulgaren sind. Die ausländischen Arbeitskräfte in Großbritannien sind diesbezüglich also nicht in Gefahr. … Was außerdem beruhigt: Viele britische Firmen, Lokalverwaltungen und Universitäten haben nach der Abstimmung signalisiert, dass sie alles unternehmen werden, um die Gastarbeiter im Land zu halten.“

Zum Originalartikel [7]

 

KAUPPALEHTI (FI)

Großbritannien wird kein neues Norwegen

In den letzten Tagen haben finnische Politiker die Hoffnung geäußert, dass Großbritannien denselben Status bekommen könnte, wie das EWR-Land Norwegen. Die Wirtschaftszeitung Kauppalehti hält dies für ausgeschlossen:

„Leider wird Großbritannien kein neues Norwegen, auch wenn die Finnen sich dies wünschen. Die Briten wollen alle Vorteile des EU-Binnenmarktes, aber keine Verpflichtungen. Als EWR-Mitglieder müssten sie einen großen Teil der EU-Gesetzgebung schlucken, ohne diese selbst beeinflussen zu können. Die Briten würden weiterhin zum EU-Haushalt beitragen müssen, was seit der Zeit, als Margaret Thatcher ihre Handtasche geschwungen hat, stets Grund zur Klage war. Als EWR-Mitglied würde in Großbritannien auch weiterhin die Arbeitnehmerfreizügigkeit gelten. Die Einwanderung war aber einer der wichtigsten Gründe, warum die Briten für den Brexit gestimmt haben. Es wäre sehr seltsam, wenn nach dem Votum der Wille des Volkes vollständig vergessen würde.“

Päivi Isotalus    Zum Originalartikel [8]


JUTARNJI LIST (HR)

Briten wollen die EU zerstören

Hinter dem Brexit-Referendum steckt in Wahrheit ein teuflischer Plan Großbritanniens, mit dem es sich wieder mehr globalen Einfluss sichern will, mutmaßt Jutarnji List:

„Der Austritt Großbritanniens ist ein strategischer Schritt, um den Zerfallsprozess der EU zu beschleunigen. Gleichzeitig plant Britannien sich als Führer einer neuen politisch-gesellschaftlichen Initiative zu positionieren, die nach dem Zusammenbruch der EU entstehen soll. Einfach gesagt: es ist vollkommen klar, dass Großbritannien keine Chance hat, sich eigenständig als strategischer Führer auf dem Kontinent zu etablieren, so lange die Union funktional, homogen und erfolgreich ist. Von daher ist es vollkommen logisch, dass Großbritannien während der zweijährigen Austrittsphase mit allen legitimen Mitteln versuchen wird, weitere desintegrative Prozesse in der EU in Gang zu setzen. Der Brexit ist nichts anderes, als eine Wette auf den baldigen Zusammenbruch der EU.“

Marko Biočina    zur Homepage [9]

 

Wie der Brexit Großbritannien verändert

 Millionen Briten fordern neues Referendum

Das Volk hat gesprochen – doch will ein Teil von ihm das Brexit-Votum jetzt wieder rückgängig machen. In einer Petition fordern mehr als drei Millionen Menschen eine zweite Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft. Kommentatoren diskutieren darüber, ob das möglich ist und ob man von Referenden zu EU-Themen nicht generell die Finger lassen sollte.

 

ZEIT ONLINE (DE)

Basisdemokratie wird diskreditiert

Das Referendum wird von vielen jetzt als Argument benutzt werden, um demokratische Graswurzelbewegungen von vornherein schlecht zu machen, fürchtet Zeit Online:

„Alles, was von unten kommt, wird uns als Mob erscheinen. Die Eliten werden sich mehr denn je abschotten und zu schützen versuchen und Defensivpositionen einnehmen, anstatt konsequent die Fragen zu stellen und die Konfrontationen zu suchen, die es jetzt braucht – auch und gerade die Fragen an sich selbst. … Während die Kluft zwischen arm und reich immer abgründiger wird, während die Ausbeutung und Zerstörung unserer Erde immer bedrohlichere Ausmaße annimmt, während diejenigen, die sich verantwortungslos die Ressourcen unter den Nagel gerissen haben, … nur noch sich selbst bedienen und sich selbst in Sicherheit bringen wollen, werden die ‚einfachen‘ Bürgerinnen und Bürger, die die Missstände vor Ort erkennen und basisdemokratisch bekämpfen wollen, dem Misstrauen und der Marginalisierung preisgegeben.“

Marion Detjen  Zum Originalartikel [10]


FINANCIAL TIMES (GB)

Ein Happy End ist noch möglich

Das letzte Wort in Sachen Brexit ist noch nicht gesprochen, glaubt die Financial Times und hofft, wie bei einer guten Fernsehserie, auf eine Fortsetzung des Dramas mit einer erneuten Abstimmung:

„Jeder langfristige Beobachter der EU sollte mit dem Schock eines Referendums vertraut sein. Im Jahr 1992 lehnten die Dänen den Vertrag von Maastricht ab. Die Iren stimmten 2001 gegen den Vertrag von Nizza und im Jahr 2008 gegen den Vertrag von Lissabon. Und was ist jeweils passiert? Das EU-Rad drehte sich einfach weiter. Den Dänen und Iren wurden von ihren EU-Partnern Zugeständnisse gemacht. Es gab ein zweites Referendum. Und beim zweiten Mal akzeptierten die Wähler die Verträge. … Es gibt eine moderate Mitte in Großbritannien und Europa, die in der Lage sein sollte, ein Abkommen zu verhandeln, das Großbritanniens Verbleib in der EU ermöglicht. Wie bei allen guten Dramen war die Brexit-Geschichte schockierend, dramatisch und erschütternd. Aber das Ende steht noch nicht fest.“

Gideon Rachman    zur Homepage [11]

MEHR MEINUNGEN:

L’EXPRESS (FR)

Direkte Demokratie bringt nur egoistische Entscheidungen hervor (auf Französisch) [12]