Mord überschattet Wahlkampf vor Brexit-Referendum

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Nach der Ermordung der Labour-Abgeordneten und Brexit-Gegnerin Jo Cox am Donnerstag ist das Motiv des Täters noch unklar.

Er soll „Britain first“ gerufen haben, als er sie angriff, möglicherweise ist er psychisch krank. Welche Auswirkungen hat das Attentat so kurz vor dem Brexit-Referendum?

 


PRÁVO (CZ)

Die Tragödie ändert womöglich alles

Dass der Mordanschlag auf die proeuropäische Labour-Politikerin den Sieg der Brexit-Befürworter zunichtemachen könnte, hält Právo für denkbar:

„Bis zum gestrigen Donnerstag waren die Gegner der Union in Großbritannien obenauf. Die Umfragen sagten ihnen für das Referendum kommende Woche einen klaren Sieg voraus. Doch der tragische Tod der proeuropäischen Abgeordneten Jo Cox könnte alles ändern. … Zeugen zufolge rief der Angreifer ‚Britain first‘. … Brachte der Mörder damit seine Abscheu gegenüber der EU zum Ausdruck? Wenn ja, dann haben die Anhänger des Brexit ein großes Problem. Sie müssen sich dem Vorwurf stellen, dass ihre Politik die Wähler radikalisiert und letztlich zu einem Mord geführt hat. … Womöglich finden sie keinerlei Möglichkeit, sich gegen diese Beschuldigung zu wehren. Die Umfragen, die ihnen den Sieg verhießen, könnten so zur Makulatur werden.“

Michal Mocek    zur Homepage

 

PÚBLICO (PT)

Ein Moment des Innehaltens

Dass das Attentat dazu beiträgt, die starke Polarisierung in Großbritannien zu überwinden, hofft die Zeitung Público:

„Die britische Gesellschaft ist zersplittert. Auch bei den beiden großen Parteien sind die Brüche offensichtlich, vor allem bei den Konservativen, wo fast die halbe Regierung gegen ihren eigenen politischen Führer handelt. … Zu einer Zeit, da die Umfragen einheitlich einen Trend zugunsten des Brexit offenbaren, geschieht nun diese Tragödie. Als Reaktion darauf haben beide Seiten ihre Auseinandersetzungen zumindest für den Moment beendet. Extreme Ereignisse wie dieses haben in der Politik normalerweise Folgen. Erleben wir in dieser Kampagne doch noch einen Wendepunkt?“

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KURIER (AT)

Tun wir uns zusammen gegen den Hass

Großbritannien muss sich nach der Ermordung von Jo Cox umso stärker für ein europäisches Miteinander einsetzen, mahnt der liberale Kurier:

„Churchill glaubte noch an das britische Empire und sah den Commonwealth als eigenen Machtblock, aber das war nur mehr Illusion. Das erkannte schon Premierminister Harold Macmillan, der 1961 zur EWG wollte. Nach langem Widerstand De Gaulles klappte der britische Beitritt erst 1973. Eigenbrötlerei und Thatchers heftiges Schwingen ihrer Handtasche – ‚I want my money back‘ – bestimmten das Europabewusstsein der Briten ebenso wie das Zusammenwachsen der Insel mit dem Kontinent. Der Eurotunnel ist nur ein Symbol dafür. Die Briten profitierten von der EU ebenso wie die Europäer, aber wenn sie austreten, werden sie einsam sein und das wirtschaftlich stärker spüren als die EU-Mitglieder. Tun wir uns zusammen gegen den Hass, der die Abgeordnete getötet hat – vielleicht hilft dieser Appell des Ehemannes von Jo Cox.“

Helmut Brandstätter    Zum Originalartikel

 

THE DAILY TELEGRAPH (GB)

Politik nicht hinter Sicherheitsglas verbannen

Der Mord an Cox darf nicht dazu führen, dass Volksvertreter vor ihren Wählern abgeschirmt werden, warnt The Daily Telegraph:

„Ein wichtiger Faktor für das Funktionieren unserer Demokratie ist die Bereitschaft der Volksvertreter, ihre Wähler in der Öffentlichkeit zu treffen. Würde man die Demokratie hinter dickes Sicherheitsglas verlegen, würde diese verkümmern und verarmen. Nein, stattdessen finden Politikersprechstunden in der Öffentlichkeit statt, etwa in Bibliotheken und Gemeindezentren. Als die Königin am vergangenen Wochenende [anlässlich der Feiern zu ihrem 90. Geburtstag] in einem offenen Auto über die [Londoner Prachtstraße] The Mall gefahren wurde, erinnerte uns dies daran, was eines der Markenzeichen einer freien und friedlichen Gesellschaft ist: Dass Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens keine Angst vor ihrem Volk haben müssen. Hoffentlich wird das trotz dieser Tragödie so bleiben.“

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Ein Brexit ist durchaus möglich, das wird wenige Tage vor der Abstimmung laut Umfrageergebnissen immer deutlicher. In der Presse sind angesichts dieses Szenarios viele besorgte Kommentare zu finden.

 

KRISTELIGT DAGBLADET (DK)

Europa braucht Großbritannien

Ohne Großbritannien ist Europa nicht viel wert, erklärt Kristeligt Dagbladet:

„Eines der belastbaren Pro-EU-Argumente ist die Feststellung, dass die EU in den Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg ein Friedensprojekt ist. Und kann man sich ernsthaft heute ein Europa vorstellen, ohne die eine oder andere Art der Zusammenarbeit? Nein, natürlich nicht. … Die Wahrheit, mit der wir mit Blick auf den 23. Juni konfrontiert werden, ist die, dass das Europa auf dem Kontinent die Briten ebenso stark braucht, wie die Briten uns. Die tiefe britische Skepsis gegenüber Zentralismus, sozialen Unionsträumen d dem Europrojekt ist unverzichtbar für das Ganze. Dabei ist nämlich das Ganze bei näherer Betrachtung nur das, worauf sich die Regierungschefs der einzelnen Länder geeinigt haben. In diesem Zusammenhang brauchen wir die Briten.“

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LE SOIR (BE)

Überall nur Angstmache

David Cameron warnt in seiner Kampagne vor den wirtschaftlichen Konsequenzen eines Brexit. Eine politisch ungeschickte Entscheidung, kritisiert Le Soir:

„Cameron und seine Anhänger haben nun ihr eigenes Angstargument entwickelt, und zwar das eines wirtschaftlichen Niedergangs. Finanzminister George Osborne hat noch eins drauf gesetzt, indem er eine sofortige Rezession im Fall eines Brexit angekündigt hat, die Haushaltskürzungen und Steuererhöhungen erforderlich machen würde. Angesichts dieser Drohung, die einer Erpressung gleichkommt, hegen die Briten zurecht Zweifel: Wie kann man glauben, dass David Cameron seinen Mitbürgern ein Referendum versprechen konnte, wenn er auch nur einen Augenblick erwägt hätte, dass eines der beiden möglichen Resultate ein wirtschaftlicher Zusammenbruch wäre? Den armen Briten, die als so vernünftig angesehen werden, wird nur ein Argument für einen Verbleib in oder einen Austritt aus der Europäischen Union offeriert: Angst.“

Jurek Kuczkiewicz    Zum Originalartikel

 

Juni 2016 | Allgemein, Junge Rundschau, Politik, Zeitgeschehen | Kommentieren