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Paul Goesch – Zwischen Avantgarde und Anstalt

index.php [1]bc072dc628c833ffa0c1feed4b1dfc65 [2]Auch wenn der Begriff „Grenzgänger“ in den letzten Jahren geradezu in Mode gekommen ist – auf Paul Goesch trifft er ohne Frage zu: Er war ein angesehener expressionistischer Maler und Zeichner sowie aktives Mitglied der Avantgarde, verbrachte aber auch 20 Jahre seine Lebens in psychiatrischen Anstalten – bis er 1940 von den Nationalsozialisten ermordet wurde.

Die Sammlung Prinzhorn, seit 2015 durch eine Schenkung der Familie im Besitz von mehr als 350 Werken, zeigt jetzt in „Paul Goesch – Zwischen Avantgarde und Anstalt“ eine Auswahl von 120 Zeichnungen und Gouachen. Viele davon sind erstmals in der Öffentlichkeit zu sehen.

Das Spektrum der Arbeiten von Paul Goesch ist breitgefächert: Sie zeigen Porträts und Gesichter, christliche und mythologische Szenen sowie gegenstandslose Kompositionen und phantastische Architektur. Mal zeichnen sich seine Werke durch die für den Expressionismus typisch flächige und farbkräftige Malerei aus, mal durch eine äußert feingliedrige Ornamentik, die vor allem in den Architekturzeichnungen sichtbar wird .

Die ersten Jahre 

goesch [3]Diese verweisen auf die professionelle Ausbildung, die Goesch absolvierte. Ab 1903 hatte er Architektur studiert, 1914 sein Diplom als „Regierungsbaumeister“ erhalten und war als solcher von 1915 bis 1917 im westpreußischen Kulm (heute polnisch Chełmno) bei der Post angestellt. Die ersten zeitlich gesicherten Zeichnungen und Malereien sind nach 1917 entstanden. In diesem Jahr erlitt er einen Zusammenbruch, in dessen Folge er in die Pflegeanstalt Schwetz (heute polnisch Świecie) kam. Schon früher hatte er in einem Sanatorium Erholung von seiner „Nervosität“ gesucht, doch dieses Mal begann er ausgiebig zu zeichnen und zu malen.

 Die Avantgarde 

Im Oktober 1919 wurde Goesch aus der Anstalt entlassen und zog nach Berlin, da man ihn ein Jahr zuvor als Staatbediensteten pensioniert hatte. Dort wurde er Teil der künstlerischen Avantgarde nach dem Ersten Weltkrieg, trat der Novembergruppe und dem Arbeitsrat für Kunst bei und stellte mit diesen Gruppierungen aus. Außerdem nahm er unter dem Namen „Tancred“ an der Gläsernen Kette teil, einer Briefgemeinschaft utopisch gesinnter Architekten um Bruno Taut. Wahrgenommen wurde er auch außerhalb von Berlin: 1920 kaufte Gustav Hartlaub, der spätere Direktor der Kunsthalle Mannheim und Förderer zeitgenössischer Kunst, für sein Haus drei Blätter an.

Der aktive Dauerpatient

Paul Goesch Spaziergang Aquarell, signiert, bezeichnet, 207 x 162 mm, um 1920 [4]

Paul Goesch Spaziergang
Aquarell, signiert, bezeichnet, 207 x 162 mm, um 1920

Ab 1921 war Goesch wieder Patient und lebte, abgesehen von kurzen Unterbrechungen, fast 20 Jahre lang in den Anstalten Göttingen und Teupitz. In Göttingen genoss er Privilegien. Sein Schwager Rudolph Redepenning war dort ärztlicher Leiter der benachbarten Erziehungsanstalt, und so konnte er auf allem malen und aquarellieren, was ihm zur Verfügung stand – von Papier über Karton bis hin zu Packpapier und Briefumschlägen. Es verwundert daher nicht, dass der größte Teil seines Œuvres hier entstand. Goesch hielt auch zur Kunstwelt außerhalb der Anstalt noch Kontakt: Er nahm weiterhin Illustrationsaufträge an und war bis 1929 immer wieder mit Werken an der Großen Berliner Kunstaustellung in der Sektion der Novembergruppe beteiligt.

Das „zweimal entartete“ Opfer 

1934 kam Goesch als „verschroben läppscher Schizophrener“ in die Pflegeanstalt Teupitz bei Berlin. Dort wurde er zwar nicht entmündigt, war aber dennoch Patient dritter Klasse. Malen dürfte er nicht mehr. In der stark überbelegten Anstalt war künstlerischer Freiraum für ihn nicht vorgesehen. Auch seine Werke wurden jetzt nicht mehr geschätzt, sondern verfemt: In der hetzerischen Publikation „Säuberung des deutschen Kunsttempels“ von 1937 ist ein Werk von ihm abgebildet, und die Blätter aus der Mannheimer Kunsthalle wurden als „entartet“ beschlagnahmt, waren möglicherweise sogar in der Wanderausstellung „Entartete Kunst“ zu sehen. Doch dies waren nicht die einzigen Arbeiten von Goesch, die dort verunglimpft wurden. Auch aus der Sammlung Prinzhorn, die bereits im Besitz von Goesch-Werken aus seinen früheren Anstaltsjahren war, hatte die Ausstellungsleitung rund 100 Werke von Psychiatrie-Erfahrenen geliehen – in der absurden Absicht eine visuelle Vergleichbarkeit der „Entartung“ präsentieren zu können. Deshalb ist Paul Goesch, soweit bekannt, der einzige Künstler, der „zweimal entartet“ wurde. Doch dabei blieb es nicht. Die Nationalsozialisten gingen auch gegen den Schöpfer der missbrauchten Werke aus Heidelberg vor. Am 22. August1940 wurde er in das Alte Zuchthaus Brandenburg gebracht und dort von nationalsozialistischen Ärzten im Rahmen des „Euthanasie“-Programms ermordet.

 Rezeption 

Museum-Berlin_Paul_Goesch_Festsaal_726x378 [5]Obwohl Goesch in der Gläsernen Kette ein gleichwertiges Mitglied neben Bruno Taut, Walter Gropius und Hans Scharoun war, drohte er zwischen den Stühlen vergessen zu werden: Die Wertschätzung als  Architekt wurde ihm aufgrund seiner Psychiatrisierung nicht zuteil, und als Anstaltskünstler fanden ihn Viele zu professionell. Unter ihnen war auch Hans Prinzhorn, der sich in seinem bahnbrechenden Buch „Bildnerei der Geisteskranken“ 1922 nicht über den Berliner Künstler äußerte – weil er ihm nicht authentisch genug erschien. Doch allmählich wird der überraschende Grenzgänger wiederentdeckt. Zeitlich parallel zur Sammlung Prinzhorn stellt auch die Berlinische Galerie Paul Goesch neben Bruno Taut und Paul Scheerbart als Visionär der Moderne vor.

Kabinettausstellung: Zwischen Schloss und Irrenhaus – Die Aufzeichnungen Hermann Paternas

Neben der Ausstellung zu Paul Goesch ist in einem Kabinett des Museums „Zwischen Schloss und Irrenhaus – Die Aufzeichnungen Hermann Paternas“ zu sehen. Im Mittelpunkt dieses studentischen Ausstellungsprojekts steht das Notizheft des Schneidergesellen Hermann Paterna (1870-1913) aus seiner Zeit in der Heidelberger Psychiatrischen Klinik 1906, das vier Promovendinnen transkribiert und kulturhistorisch eingeordnet haben.

Sammlung Prinzhorn / Prinzhorn Collection – Universitätsklinikum/ University Hospital  Heidelberg

Zentrum für Psychosoziale Medizin /Centre for Psychosocial Medicine – Voßstraße 2 – 69115 Heidelberg

Zu beiden Ausstellungen erscheint jeweils ein Katalog:

Paul Goesch (1884–1940) – Zwischen Avantgarde und Anstalt, hrsg. von Thomas Röske, Sammlung Prinzhorn Heidelberg 2016, Verlag Das Wunderhorn, 29,80 Euro.

Zwischen Schloss und Irrenhaus – Die Aufzeichnungen Hermann Paternas entschlüsselt und kontextualisiert von einer studentischen Arbeitsgruppe, hrsg. von Burckhard Dücker, Thomas Röske und Wolfgang Vögele, Sammlung Prinzhorn Heidelberg 2016, 11,90 Euro.

Eröffnung am Mittwoch, 11. Mai 2016, 19 Uhr – Ausstellungsdauer: 12. Mai bis 18. September 2016 (aktuell verlängert bis 15. Januar 2017)