[1]Der türkische Premier Ahmet Davutoğlu hat die EU aufgefordert, die zugesagte Visafreiheit für Türken ab Juni umzusetzen. Andernfalls könne man von der Türkei nicht erwarten, dass sie ihre Verpflichtungen gegenüber der EU einhalte, betonte er. Lässt sich die EU von der Türkei wegen des Flüchtlings-Deals erpressen?
PRÁVO (CZ)
Ankara kann die EU gar nicht erpressen
Man sollte die Drohungen aus Ankara, den Flüchtlingsdeal mit Europa platzen zu lassen, nicht zu ernst nehmen, relativiert die in Prag erscheinende Právo:
„Immer wieder hört man, der Deal sei für Europa unvorteilhaft, weil sich die Türkei ihre Hilfe nicht nur fürstlich bezahlen lasse, sondern die EU auch erpressen könne. So einfach ist das aber nicht. Die Türkei wird sich die Aufkündigung der Vereinbarung gut überlegen, selbst wenn sie die Visafreiheit nicht bekäme. Milliarden Euro, die die EU für die bessere Versorgung der Flüchtlinge versprach, sind keine Kleinigkeit für ein Land, das sich momentan um zwei Millionen Flüchtlinge kümmert. Die Türkei braucht dieses Geld unbedingt. Noch entscheidender als die wirtschaftliche Hilfe ist allerdings die Tatsache, dass die Balkanroute de facto blockiert [2] ist. Die Türkei könnte den Schmugglern zwar neuerlich grünes Licht geben. Doch die Flüchtlinge kämen nicht weiter als bis nach Griechenland. Die Nachfrage würde nicht lange anhalten.“
Jiří Pehe
EU und Türkei – die Gretchenfrage
Das Verhältnis zwischen EU und Türkei steht seit der Flüchtlingskrise verstärkt im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Wie sehr brauchen beide Seiten einander und wer profitiert oder verliert im Falle einer engeren Partnerschaft? Diese Fragen diskutieren auch Journalisten und Wissenschaftler.
KARAR (TR)
Beziehung nicht auf Beitritt reduzieren
Dass die Türkei derzeit neue Chancen auf einen EU-Beitritt hätte, bezweifelt die konservative Tageszeitung Karar, hält dies aber auch nicht für einen Nachteil:
„Lange hat die Türkei ihre Beziehungen zu Europa in der EU-Mitgliedschaft-Parenthese gefangen gehalten. Das hat den Blick der Türkei auf Europa stark beeinflusst. Doch seit Kurzem erlebt diese Gleichung eine Wandlung: Die Türkei entwickelt mit den Hauptländern der EU, allen voran Deutschland, eine neue Art der Beziehung mit strategischer Perspektive. Diese Beziehungsform schließt eine EU-Mitgliedschaft zu einem späteren Zeitpunkt nicht aus, antizipiert sie aber auch nicht. … Dass die EU-Kommission in ihrem Budget für 2014 bis 2020 für die Mitgliedschaft der Türkei keinerlei Posten reserviert hat, zeigt, dass die EU zumindest mittelfristig keine Perspektive hat, die Türkei aufzunehmen. Kurzum: Die Beziehungen der Türkei zu Europa werden sich allmählich vom EU-Beitrittsprozess freimachen und das ist im Grunde eine gesunde Entwicklung.“
Galip Dalay