Vom 1. bis 3. März 2016 wurde vor dem Bundesverfassungsgericht der Verbotsantrag des Bundesrates gegen die NPD verhandelt, das Urteil soll in einigen Monaten gesprochen werden. Die rechtsextreme Partei setze ihre Ideologie „aggressiv-kämpferisch“ ins Werk, sagen die Antragsteller. Dem stimmt der Berliner Rechtsextremismusforscher Professor Hans-Gerd Jaschke zu: “Die NPD schafft eine Atmosphäre der Angst, in bestimmten Regionen Mecklenburg-Vorpommerns und Sachsens vor allem, indem sie Menschen bedroht.“ Dadurch würde die NPD demokratische Mitgestaltungsmöglichkeiten von Bürgern beschneiden.
Partei mit vielen Straftätern
Karen Larisch, Leiterin einer multikulturellen Begegnungsstätte in Güstrow, fühlt sich bedroht. Ein örtlicher NPD-Stadtrat demonstriert mit seinen Kameraden immer wieder vor ihrem Büro. Larisch wird wegen ihrer Flüchtlingsarbeit attackiert – oft anonym. In einer Mail schrieb ihr ein Rechtsextremist: „Ich wünsche Ihnen dasselbe, was Ihre saubere Klientel beginnt, in Deutschland anzurichten. Das heißt: Vergewaltigung Körperverletzung und Sachbeschädigung.“ Unbekannte warfen die Scheiben der Begegnungsstätte ein und zerstörten das Mobiliar.
Die NPD und ihre Unterorganisationen weisen auffällig viele Straftäter in ihren Reihen auf. 25 Prozent der Funktionäre seien laut einer im Verbotsantrag zitierten Studie rechtskräftig wegen politisch motivierter Propaganda- oder Gewaltdelikte verurteilt.
Vom Staat finanziert
Ein Verbot der NPD würde das rechtsextreme Lager in Finanznot bringen. Denn die NPD bekommt jährlich Wahlkampfkosten erstattet, die sogenannte staatliche Teilfinanzierung. So kassierte die Partei etwa 2014 rund eine Million Euro vom Staat. Zusätzlich kostet die NPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern den Steuerzahler jährlich fast 800.000 Euro.
Das NPD-Verbotsverfahren – Worum geht es grundsätzlich?
Weil Parteien wesentlich sind für die parlamentarische Demokratie, kann nur das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Partei verbieten. In anderen Staaten mit langer demokratischer Tradition, etwa Großbritannien, gibt es Parteiverbote faktisch nicht.
In Deutschland wollten die Autoren des Grundgesetzes aber verhindern, dass noch einmal eine Partei mit verfassungsfeindlichen Zielen auf legale Weise an die Macht kommt (die nationalsozialistische NSDAP 1933). Um die Demokratie „wehrhaft“ zu machen, dürfe der Staat gegen Demokratiefeinde vorgehen und dafür unter bestimmten Voraussetzungen Parteien verbieten.
Wie genau funktioniert ein Parteiverbot? – Einige Male bislang gar nicht!
Die Hürden für ein Parteienverbot sind absichtlich hoch: Einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht dürfen nur Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung stellen (auf Landesebene auch die Landesregierungen).
Das Gericht muss beurteilen, ob die Partei verfassungswidrig ist – auf der Grundlage von Satzung, Programmen, Werbung, Äußerungen der Parteifunktionäre oder Taten von Parteimitgliedern. Die umstrittene Partei hat natürlich das Recht, sich in Karlsruhe zu verteidigen. Für ein Verbot braucht das Gericht eine Zweidrittel-Mehrheit der Richter.
Was war mit dem ersten NPD-Verbotsverfahren?
Im Januar 2001 wurde von der Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder ein Antrag beim Bundesverfassungsgericht mit dem Ziel eingereicht, die Verfassungswidrigkeit der NPD feststellen zu lassen. Im März folgten Bundestag und Bundesrat mit eigenen Verbotsanträgen.
Die Verfahren wurden vom Bundesverfassungsgericht im März 2003 aus Verfahrensgründen eingestellt, weil V-Leute des Verfassungsschutzes auch in der Führungsebene der Partei tätig waren. Die Frage, ob es sich bei der NPD um eine verfassungswidrige Partei handelt, wurde nicht geprüft.
Was hat man aus dem ersten Verfahren gelernt?
Die Innenminister der Länder vereinbarten 2012, sämtliche V-Leute aus der Führungsebene der NPD abzuziehen. Die Affäre um die Mordopfer des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) hatte wesentlich zum zweiten Verbotsanlauf beigetragen. Doch zogen im zweiten Anlauf nicht drei Verfassungsorgane nach Karlsruhe, sondern nur der Bundesrat.
Was sind die Argumente des Verbotsantrags?
Nur verfassungsfeindlich zu sein, reicht nicht aus für ein Parteiverbot. Eine Partei muss eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung zeigen – und diese Ordnung beseitigen wollen, so will es das Bundesverfassungsgericht. Das Gericht muss also nachweisen, dass die NPD darauf aus ist, die freiheitliche demokratische Ordnung mit der nötigen kämpferischen aggressiven Haltung zu beseitigen.
Zentraler Punkt des Verbotsantrags ist der Versuch, der NPD eine „Wesensverwandtschaft“ mit der NSDAP nachzuweisen, vor allem bei der rassistischen Ideologie. Der Antrag argumentiert außerdem mit zahlreichen Äußerungen von führenden Parteimitgliedern, mit dem Ziel, die geltende demokratische Grundordnung und damit „das System“ zu überwinden.
Wie geht es jetzt weiter?
Das Bundesverfassungsgericht hat für März 2016 eine mehrtägige mündliche Verhandlung festgesetzt. Die Richter wollen an drei Tagen (1. bis 3. März) in einer öffentlichen Erörterung prüfen, ob die rechtsextreme Partei wegen ihrer möglichen Verfassungsfeindlichkeit verboten werden muss.
Das Gericht möchte das Verfahren bis zum Ausscheiden des Richters Herbert Landau im April 2016 abschließen. Ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin dürfte nicht an der Entscheidung mitwirken, was Auswirkungen auf die erforderlichen Mehrheiten hätte. Im Senat ist eine Zweidrittelmehrheit für ein Verbot nötig. Das bedeutet umgerechnet, dass sechs Richterinnen und Richter für ein Verbot stimmen müssten. Umgekehrt können drei Richter ein Verbot verhindern.
Was passiert, sollte die NPD verboten werden?
Ist eine Partei verboten, werden die Geschäftsstellen der Parteien geschlossen, das Vermögen wird beschlagnahmt, Abgeordnete der Partei verlieren ihre Parlamentsmandate und damit auch ihre Diäten.
Würde die NPD verboten, könnte sie sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wenden.
Was würde ein Verbot nützen?
Befürworter eines NPD-Verbots wollen erreichen, dass die Strukturen der Partei zerstört und ihr die ökonomischen Grundlagen vor allem aus der staatlichen Parteienfinanzierung entzogen werden. Ein Verbot könnte also die extreme Rechte, die sich in der NPD sammelt, durchaus behindern – aber wohl nicht auf Dauer. Das zumindest legen die Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte nahe. Denn seit der deutschen Einheit 1990 sind in der Bundesrepublik Dutzende neonazistische Vereine verboten worden. Deren Mitläufer zogen sich zurück, nicht aber ihre Führungskader: Die machten in der Regel in anderen Strukturen weiter.

Aktuell gibt es viele virtuelle Bürgerwehren auf Facebook. Was wollen diese Initiativen? Und dürfen die sich einfach so organisieren?
Screenshot Facebook, 08.02.2016
Bürgerwehren: Harmlose Hilfssheriffs oder Neonazis?
„Fulda passt auf“, „Bürgerinitiative für Sicherheit in Braunschweig“, „Einer für alle, alle für einen Düsseldorf“ oder einfach „Bürgerwehr Memmingen“ – so nennen sich Gruppen, die Deutschlands Straßen nach ihrem eigenen Verständnis sicherer machen wollen. Sie organisieren sich vor allen Dingen Online, über Facebookseiten und Whatsapp-Gruppen. Nicht erst seit den Vorfällen der Silvesternacht in Köln sind Bürgerwehren in Deutschland zumindest auf dem digitalen Vormarsch. Nicht weniger als 100 solcher Gruppen lassen sich allein auf Facebook zählen. Aber gehen diese Leute tatsächlich nachts und bewaffnet auf Patrouille? Welche dieser Gruppen lassen sich als eindeutig rechtsextrem qualifizieren, bei welchen bestehen Verbindungen ins rechtsextreme Lager? Und: Dürfen die das?
Aber es sind nicht nur ausländerfeindliche Politiker und Demagogen, die mit hasserfüllten Parolen Herz und Verstand des Publikums verwüsten, das gesellschaftliche Klima hat sich unter dem Eindruck der Flüchtlingsdebatte in nur wenigen Monaten dramatisch verändert wie selten zuvor. „Begriffe wie ‚Volksverräter‘ und ‚Lügenpresse‘ sind mittlerweile salonfähig geworden“, versicherte kürzlich ein NPD-Funktionär einer Tageszeitung. Damit wollte er sagen: Diese Begriffe gehörten bisher exklusiv zum Wortschatz der rassistischen, antisemitischen und demokratiefeindlichen NPD, inzwischen sind sie fast Allgemeingut. Damit hat er offenkundig recht.
Und recht hat er auch, wenn er behauptet, der „Meinungskorridor“ in Deutschland habe sich durch die islamfeindliche Pegida-Bewegung und die rechtspopulistische AfD „erweitert“. Das ist das Gefährliche der NPD. Die Gefahr hat sich bereits realisiert: Ihre rassistischen, menschenfeindlichen Ressentiments haben sich in der Mitte der Gesellschaft eingenistet.
Ist das ein hinreichender Grund, die NPD zu verbieten?
In früheren Entscheidungen – zuletzt im KPD-Verbots-Urteil von 1956 – hatte das Bundesverfassungsgericht für ein Verbot eine „aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung“ verlangt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aber sagt vor einigen Jahren: Es genügt nicht, dass eine Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, ihr Verbot muss auch verhältnismäßig sein. Das ist es nur, wenn die Partei eine „unmittelbare Gefahr“ für die Demokratie darstellt und das „reale Potenzial“ hat, die Macht zu ergreifen.
Das lässt sich von der NPD kaum ernsthaft behaupten. Selbst in ihren früheren Hochburgen laufen ihr die Wähler davon, etliche von ihnen wenden sich der zunehmend radikalisierenden Alternative für Deutschland zu. Nicht die Partei selbst ist eine „unmittelbare Gefahr“ für die Demokratie, sondern der von ihr in die Gesellschaft getragene Hass, ihre inhumanen Ressentiments, ihre Wut auf die „anderen“.
Ist der Verbotsantrag – ausschließlich – aussichtslos?
Ausschließlich aussichtslos ist der Antrag gewiss nicht. Anderenfalls nämlich hätte der Zweite Senat das Verfahren gar nicht erst eröffnet. Doch eröffnet wurde auch schon das erste NPD-Verbotsverfahren, das vor zwölf Jahren platzte, weil der Verfassungsschutz die Partei mit etlichen V-Leuten durchsetzt hatte. Diesmal haben die Länder angeblich – so heißt es – Vorsorge getroffen, bis Ende März 2012 die letzten Quellen abgeschaltet und im Dezember die letzten Nachsorge-Kontakte abgebrochen. Zwar hat der Rechtsvertreter der rechtsextremen NPD für die Verhandlung einen „Knaller“ angekündigt, aber wenn die Länder diesmal einigermaßen gründlich gearbeitet haben, dürfte der „Knaller“ kaum so explosiv sein wie die Bombe, die 2003 das Verfahren ohrenbetäubend zum Einsturz brachte.
Natürlich ist eine Bundesrepublik ohne die NPD ein besseres Land als eine Bundesrepublik mit der NPD. Ein Verbot könnte unmissverständlich die rote Linie markieren, die keine Partei überschreiten darf. Aber falls das Verbot am Ende scheitert, wird das nicht nur die NPD, sondern werden es auch Pegida und die AfD als Erlaubnis verstehen – zu grenzenlosem Hass.
Wir bleiben – trotz (und wegen) Vielerlei und Alledem – deshalb dabei:
Auch diesmal wird es kommen, wie es schon mal war und wie es wieder zu befürchten ist: Mögliche V-Leute des Verfassungsschutzes entpuppen sich im laufenden NPD-Verbotsverfahren als tickende Zeitbomben. Die Zweifel der Karlsruher Richter waren nachvollziehbar, schließlich scheiterte schon das erste NPD-Verbotsverfahren im Jahr 2003 wegen der Durchsetzung der neofaschistischen Partei mit Geheimdienstspitzeln an ‚fehlender Staatsferne‘. Unser Beitrag dazu