[1]Die Neue Rundschau wird sich nach langem hadern mit dem Wirtschaftskrimi Rechtschreibreform den in den Schulen gebräuchlichen Schreibweisen weitgehend anpassen. Die Redaktion wird dabei nach Möglichkeit die wieder zugelassenen Schreibweisen der bewährten Rechtschreibung verwenden.
Dieser Schritt möge einer Einheitlichkeit der Rechtschreibung dienen. Er wurde möglich, weil Einwände der Reformgegner im reformierten Regelwerk berücksichtigt wurden.
Die Reform der Rechtschreibreform erlaubt in den meisten Fällen wieder die Verwendung bewährter Schreibweisen, wie sie vor der Reform gebräuchlich waren und außerhalb der Schulen immer noch gebräuchlich sind. In zahlreichen Fällen nennen die Wörterbücher mehrere zulässige Varianten, wobei die Redaktion des „Wahrig“ in der Regel die bewährten Schreibweisen empfiehlt, während die Duden-Redaktion entgegen den Empfehlungen des Rates für Rechtschreibung überwiegend der reformierten Schreibweise den Vorzug gibt. In Zweifelsfällen werden wir uns deshalb künftig vor allem an Wahrigs Wörterbuch „Die deutsche Rechtschreibung“ orientieren.
In Ausnahmefällen hat sich „die alte“ Rechtschreibung weiter bewährt
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Aber auch dieses Nachschlagewerk hat leider nicht alle Unsinnigkeiten der Reform rückgängig gemacht. So sollen zum Beispiel „Greuel“ und „greulich“ künftig ausschließlich mit „äu“ geschrieben werden. Eine Unterscheidung zwischen einer ins Gräuliche spielenden Farbgebung und einer greulichen, also Abscheu erregenden Tat wäre damit nicht mehr möglich. Die Reformer verweisen zur Begründung ihrer Fehlentscheidung auf die sogenannten Volks-Etymologien. Ihrer Ansicht nach haben sich irrtümliche Herleitungen eingebürgert, so dass (!) nun falsche Schreibweisen zu folgen hätten – was wir auch künftig nicht mitmachen.
Derartige Begründungen nämlich – und ihre Auswirkungen auf die Rechtschreibung – sind so unsinnig, dass wir in einigen Ausnahmefällen beschlossen haben, dem reformierten Regelwerk nicht zu folgen. Die Tabelle gibt (als Beispiele für veler „Besonderheiten“ eine knappe Übersicht über jene Fälle, in denen die Redaktion auch künftig von der reformierten Schreibweise abweichen wird.
Wir beugen uns – trotzig
Seit dem 1. August dieses Jahres gilt die reformierte Rechtschreibung an den deutschen Schulen. Ein großer Teil der Reformbefürworter betrachtet die Reform damit als abgeschlossen. Die Mannheimer Dudenredaktion wirbt für die neueste Ausgabe ihres Nachschlagewerkes mit dem Versprechen, die Neuregelung sei endgültig, und auf dem neuen Wahrig prangt der Ausruf „Endlich Sicherheit!“ Die Beteiligten wissen, dass dies nicht die ganze Wahrheit ist, aber sie wissen genau, wie der größte Wunsch der Sprachgemeinschaft beschaffen ist: Jeder, der mit Fragen der Rechtschreibung zu tun hat, wünscht sich nach langen Jahren des Streits und der Verwirrung nichts sehnlicher als ein klares und einheitliches Regelwerk. Das Hin und Her muss (!) endlich ein Ende haben.
Dieser Wunsch geht über alle Gräben hinweg, er eint trotz allen Meinungsverschiedenheiten die Reformer wie die Anhänger der über Jahrzehnten bewährten Rechtschreibung. Erfüllen kann er sich jedoch nur, wenn alle Beteiligten die Einheitlichkeit der Rechtschreibung über die Einzelheiten stellen, die nach wie vor strittig sind.
Wo immer es möglich ist, werden wir auch in Zukunft die bewährten Schreibweisen anwenden. Damit ist gewährleistet, dass wir unser wichtigstes Handwerkszeug, die Sprache und die Rechtschreibung, weiterhin so nutzen und einsetzen können, wie unsere Arbeit es verlangt und wie unsere Leser es gewohnt sind.
Theorie, Praxis – und Zwang
Diese mit schwachsinnigem Ehrgeiz ohne Not betriebene Reform ignorierte vollständig, dass Sprache und Rechtschreibung sich organisch entwickeln und sich dabei nicht um die Vorgaben der Sprachwissenschaft kümmern. Dass es im Deutschen Schreibweisen gibt, deren Entstehung der Linguist nicht zu erklären vermag, ist ein Problem der Sprachwissenschaften und hätte es bleiben sollen. Es war ein Problem der Theorie. Durch die Reform wurde es jedoch zu einem Problem der Praxis: Plötzlich schien es jedermann zu betreffen.
Keine Reform, die in den letzten Jahrzehnten in diesem Land begonnen wurde, war so unnötig wie die Rechtschreibreform. Daher hat sie wie wenige andere Reformen die Gemüter erhitzt. Gibt es ein anderes Land der Welt, dessen Dichter und Schriftsteller darauf bestehen müssen, dass ihre Texte in den Schulbüchern einer anderen Rechtschreibung folgen als jener, die in den Schulen gelehrt wird? Die ursprüngliche Reform hat sich jedenfalls weder bei den Schriftstellern noch in der Bevölkerung durchsetzen können.
Der größte Ansehensverlust
Ihre Niederlagé haben die Kultusminister insgeheim bereits eingestanden und deshalb den Rat für Rechtschreibung ins Leben gerufen. Er sollte die gravierenden Mängel der Reform beheben und hat dies auch weitgehend getan, obgleich er überwiegend mit Reformbefürwortern besetzt wurde, die nun revidieren mussten, was sie zuvor beschlossen hatten. Die hier vorliegende Einsicht ist jedoch vor allem die Einsicht in die Grenzen dessen, was Politik verfügen kann: Die Sprache liegt außerhalb der Zuständigkeit der Politik. Daß die Kultusministerkonferenz dies nicht hinzunehmen bereit war, hat ihr den größten Ansehensverlust eingetragen.
Und noch immer ist die Einheitlichkeit unserer Rechtschreibung, die uns als Ergebnis der Reform der Reform versprochen wurde, nicht wiederhergestellt, denn die Wörterbücher verzeichnen zahlreiche Varianten. So erlaubt der Duden zum Beispiel die Schreibweise „heute Früh“ ebenso wie die bewährte Schreibung „heute früh“.
Verantwortung gegenüber den Schülern
[4]Der anhaltende Widerstand der meisten deutschen Schriftsteller und ihrer Verlage, die Not von Schülern, Lehrern und Eltern, die Proteste in den Medien und nicht zuletzt die Empörung in weiten Teilen der Öffentlichkeit – all dies hat dazu geführt, dass die Rechtschreibreform mehrfach reformiert wurde. Dies wäre ohne die unnachgiebige Haltung der Öffentlichkeit nie geschehen, und wir wissen, dass viele unserer Leser (und wir als Leser anderer Medien ja schließlich auch) nach wie vor jeden Kompromiß in dieser Frage ablehnen. Im Privatleben ist eine solche rigorose Haltung aufrechtzuerhalten, denn privat kann auch weiterhin jedermann/In schreiben, wie er*in (hallo Jonas, wie genderst Du das?) es für richtig hält.
Wir aber haben uns in dieser Angelegenheit anders zu verhalten: Wir fühlen uns auch den Kindern gegenüber in der Verantwortung, die in der Schule die reformierten Regeln erlernen müssen. Ihnen und allen anderen sind wir es schuldig, dass wir für die Einheitlichkeit der Rechtschreibung alles in unserer Macht stehende tun. Deshalb haben wir beschlossen, den Weg des Kompromisses zu gehen. Unsinnigen Regeln werden wir auch in Zukunft nicht folgen: Schreibweisen wie Stängel statt Stengel, Tollpatsch statt Tolpatsch oder Tipp statt (der aus dem englischen stammende) Tip wird es bei uns auch in Zukunft nicht geben. Nach jahrelangem Streit ist die Reform mit großem Aufwand meist wieder bei dem angelangt, was zu verbieten ihre Verfechter vor langen Jahren einmal angetreten waren: bei den bewährten Schreibweisen. Das aber ist wahrlich kein Verdienst der Reformer.
Ja, wir haben gekämpft: Legastheniker in Ministerämtern verhunzen unsere Sprache. Deutsche Hanswurstiade als Wirtschaftskrimi …
Dass das schöne Wort Reform in Deutschland einen fauligen Geruch angenommen hat, liegt nicht zuletzt an der Skrupellosigkeit einer Mafia, die sich vor Jahren in irgendwelchen Hinterzimmern zusammengerottet hat, um mit der deutschen Sprache gründlich aufzuräumen.
Funktionäre, Didaktiker und Agenten des Duden-Monopols waren es, die sich anmaßten, über die Rechtschreibung als geheime Kommandosache zu verfügen. Ein Kreis von Legasthenikern, der es zu Ministerämtern gebracht hat, deckt, vermutlich aus Größenwahn und Eitelkeit, diese Leute und möchte uns vorschreiben, wie wir uns auszudrücken haben. Dieser Klüngel, die Ku-Mi-Ko, ist kein Verfassungsorgan. Sie hat uns nichts zu sagen.
Das demokratische Medium
Wer sich als Herrscher über die Sprache aufspielt, hat nicht begriffen, dass es sich um das einzige Medium handelt, in dem die Demokratie schon immer geherrscht hat. Selbsternannte Autoritäten kann es da nicht geben. Was eine Sprachgemeinschaft akzeptiert und was sie ablehnt, darüber entscheiden Millionen.
Ein einfacher Test dürfte als Beweis genügen: Welche Idiome haben es zu Weltsprachen gebracht? Das Lateinische mit seinen zahllosen Flexionen; das Arabische, das nur die Konsonanten schreibt und es dem Leser überläßt, die Vokale zu ergänzen; das Französische mit seiner abwegigen Orthographie und das Englische mit seinem blühenden Chaos; nicht aber Sprachen, die über eine vernünftige Rechtschreibung verfügen, wie das Italienische und das Finnische.
Eine dreiste Lüge
Es ist eine dreiste Lüge, wenn die Sprachplaner behaupten, es ginge ihnen ja nur um die armen Schüler, die von den alten, ach so schwierigen Schreibweisen überfordert wären. Woher kommt es dann, dass diese bedauernswerten Geschöpfe allüberall auf der Welt, und zwar besonders in Deutschland, fast alle fließend Englisch sprechen und mühelos jeden Hit buchstabieren, der in den Charts auftaucht?
Autoren, Linguisten, Gelehrte aller Fakultäten haben seit Jahren auf die Idiotie dieser verordneten Reform hingewiesen. Inhaltlich ist dazu nichts Neues mehr zu sagen. Politisch bemerkenswert ist jedoch die Unbelehrbarkeit der ministerialen Ignoranten und die Feigheit derer, die ihnen auf die servilste Art und Weise gehorchen. [5]
Die Feigheit der Lehrer
Damit meine ich zum einen die Schullehrer. Sie sind allesamt praktisch unkündbar; selbst einen Narren oder einen Alkoholiker loszuwerden, verbietet das heilige Beamtenrecht. Gleichwohl halten sich sogar Pädagogen, die aus Erfahrung wissen, daß die Reform ihre Schüler schädigt, sklavisch an die unsinnigen Vorschriften von Amtsinhabern, die selber nicht imstande sind, einen vernünftigen deutschen Satz hervorzubringen.
Zweitens sind es Verleger und Redakteure, denen keine Bürokratie etwas vorschreiben kann, die sich, wider besseres Wissen, in vorauseilendem Gehorsam dieser deutschen Hanswurstiade gebeugt haben, statt sich an eine schlichte Maxime des Vorsitzenden Mao Tse-tung zu halten: „Es kommt darauf an, wer den längeren Atem hat.“
Es ist überflüssig, sich weiter über die Ignoranz und die Präpotenz der Ku-Mi-Ko zu ereifern; es genügt, ihre Anweisungen zu ignorieren. Dazu ist keine besondere Zivilcourage erforderlich. Ein kleiner Vermerk auf jedem Manuskript, auf jeder Schulaufgabe genügt: „Nicht nach Duden!“ Es gibt Schriftsteller und Redaktionen, die, mit wachsendem Erfolg, nach dieser Regel verfahren. Nota bene hat sich die Rundschau zu keiner Zeit an die sogenannte reformierte Schreibweise gehalten. Und, dieweil vor kurzem ein „Neuer Duden“ auf den Markt geworfen wurde, den jeder Lehrer zu kaufen gezwungen war, der aber spätestens demnächst überholt sein wird, muß (muss?) dies Theater zu alledem Wirtschaftskrimi genannt werden dürfen. Und nun also auch noch die Verhunzung der Sprache durch militant*innen aus dem Feminal-Bereich. Man kann gar nicht soviel gegessen haben, wie ma da kotzen möchte …
Jürgen Gottschling