152569-5x3-newsletter580x348Muss Athen die EU-Außengrenze besser schützen?
Mehrere EU-Innenminister werfen Griechenland vor, zu viele Flüchtlinge in die Union einreisen zu lassen. Athen beklagt dagegen mangelnde Hilfe bei der Bewachung der Außengrenze. Wird das Land zu Recht gescholten oder ist es nur der Sündenbock?

DEUTSCHLANDFUNK (DE)
Griechenland allein wird es nicht richten
Nur den Druck auf Griechenland zu erhöhen, wird nicht reichen, um die Zahl der Flüchtlinge zu begrenzen, meint der öffentlich-rechtliche Deutschlandfunk:

„Griechenland wird mittlerweile geholfen, aber es muss auch bereit sein, seine Hausaufgaben engagierter zu machen. Momentan hat Athen kein überbordendes Interesse, Asylsuchende auf ihrem unkontrollierten, unregistrierten Weg nach Norden tatsächlich aufzuhalten. Das mittlerweile wenig sanfte Winken einiger EU-Länder mit dem Zaunpfahl, dass sich Griechenland, wenn sich nichts oder zu langsam etwas ändert, de facto außerhalb des Schengen-Raums wiederfinden könnte, erhöht den Druck auf das Land. … Aber auch eine perfekt funktionierende griechische Außengrenze kann nur ihren Sinn und Zweck erfüllen, wenn zweierlei gegeben ist: die Türkei lässt nicht jeden gen Europa ziehen, der will und nimmt gegebenenfalls auch Nicht-Asylberechtigte zurück. Und Asylberechtigte werden fair auf die ganze EU verteilt. “

DELO (SI)
Athen wird der schwarze Peter zugeschoben
Die EU schiebt die Schuld für ihr eigenes Versagen nun dem wehrlosen Griechenland in die Schuhe, kritisiert die linksliberale Tageszeitung Delo:

„Es scheint, als ob Griechenland in der Flüchtlingskrise, bei der es sich um menschliche Schicksale handelt, zum Sündenbock für die Unfähigkeit der gesamten EU geworden ist. Schengen steht nicht kurz vor dem Untergang, weil es dem vergleichsmäßig kleinen Griechenland nicht gelingt den historischen Flüchtlingsstrom zu stoppen. Dass Europa der Verlust einer der größten Errungenschaften nach dem Krieg droht, ist das ‚Verdienst‘ der EU. Die EU ist nicht darauf vorbereitet, eine allumfassende Lösung umzusetzen, die auch ein Engagement in den Ursprungsländern miteinbezieht. Eine Lösung, welche Hilfe für die Flüchtlinge direkt im Nahen Osten und eine Verteilung der Last unter den EU-Ländern vorsieht.“

CORRIERE DELLA SERA (IT)
Wie soll man Flüchtlingsboote stoppen?
Die Forderung, die Seegrenze dicht zu machen, ist nicht nur inhuman sondern auch unsinnig, schimpft die liberal-konservative Tageszeitung Corriere della Sera:

„Der leblose Körper des kleinen Alan Kurdi, der im September am Strand von Bodrum lag, ist in weite Ferne gerückt. Die Welle der Gefühle ist abgeebbt und mit ihr die Bereitschaft zur großzügigen Aufnahme einer unbegrenzten Zahl syrischer Flüchtlinge, wie sie Angela Merkel verkündete. Die Kanzlerin hat, obwohl heute Dutzende von Migrantenkindern in der Ägäis sterben, dem Druck nachgeben müssen. Doch der Weg, der gewählt wurde, ist nicht nur der Todesstoß für Schengen, sondern erscheint auch ungerecht Italien und Griechenland gegenüber. Deutschland und Österreich können, wenn sie es wollen, mit Kontrollen an ihren Grenzen den Landweg überwachen. Aber Italien und Griechenland, was sollten sie tun im Angesicht eines Boots voller Flüchtlinge, das unterzugehen droht beim Versuch, ihre Küste zu erreichen? Halt rufen, weil andernorts Schengen ausgesetzt worden ist und alle ertrinken lassen? “

NAFTEMPORIKI (GR)
Die Geduld der EU ist aufgebraucht
Die Innenminister von Österreich und Deutschland drohen Griechenland in letzter Konsequenz mit dem Rauswurf aus dem Schengenraum, sollte es Flüchtlinge nicht an der Einreise hindern können. Die konservative Wirtschaftszeitung Naftemporiki klagt, dass die Nerven der anderen Länder bereits zu oft von Athen strapaziert wurden:

„In jedem Fall wäre eine solche Entwicklung eine harte Strafe und würde uns auch offiziell zu einem Mitglied ‚zweiter Klasse‘ machen. Eine sehr ungünstige Entwicklung für die griechischen Bürger und gefährlich für die ganze Union, denn es wäre ein weiterer Schritt zur Abschaffung des Grundsatzes der Freizügigkeit von Personen und Gütern, auf die sich die Gemeinschaft stützt. Und es wird eine Entwicklung sein, für die auch wir die Verantwortung tragen. Nicht, weil wir unsere Grenzen nicht bewacht haben. Sondern weil wir bereits dafür gesorgt haben, unsere Verbündeten in der EU zu verprellen. … Nur die Regierung kann dies nicht erkennen. “

Schengen auf der Kippe

Die EU steuert auf jahrelange Grenzkontrollen zu. Die Innenminister haben die EU-Kommission aufgefordert, die Verlängerung der bislang zeitlich befristeten Kontrollen innerhalb des Schengenraums zu prüfen. Ist die Idee vom grenzenlosen Europa damit gescheitert?

SALZBURGER NACHRICHTEN (AT)
Schlagbäume sind nicht das Ende Europas
Nicht überbewerten sollte man die Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Schengenraum nach Ansicht der christlichen Salzburger Nachrichten:

„Grenzkontrollen sind in Ausnahmefällen, sofern sie der EU-Kommission gemeldet werden, für einen bestimmten Zeitraum zulässig. Diesen Zeitraum hat bisher noch kein Land überschritten. Kontrollen an den Grenzen innerhalb des Schengenraums sind außerdem nicht damit gleichzusetzen, dass ‚die Grenzen dicht gemacht werden‘. EU-Bürger dürfen sich weiterhin frei über die Grenzen bewegen, ihr Recht auf Freizügigkeit erlischt nicht mit den Kontrollen. Auch Waren können innerhalb des Schengenraums ungehindert die Grenzen passieren. Und selbst ohne Schengen würde der Binnenmarkt funktionieren. Zum einen ist er älter als Schengen, funktionierte also schon davor. Zum anderen sind nicht alle Binnenmarktländer auch in der Schengenzone, wie etwa Großbritannien, das ein wichtiges Mitglied des Binnenmarktes ist.“

24 CHASA (BG)
Nahost befrieden statt Grenzen schließen
Grenzschließungen sind nutzlos – nur ein Ende der Kriege im Nahen Osten wird dauerhaft die Zahl der Flüchtlinge nach Europa verringern, mahnt die Tageszeitung 24 Chasa:

„Das Flüchtlingsproblem muss an der Wurzel gepackt werden. Der Nahe Osten muss befriedet, der Bürgerkrieg in Syrien beendet und der IS zerstört werden. Russlands Provokationen müssen aufhören und die EU muss ihre Verpflichtungen gegenüber der Türkei erfüllen und umgekehrt. Eine neue Organisation des Flüchtlingsstroms muss her, denn die Dublin-Regeln sind nicht anwendbar. … All das wird Jahre dauern und selbst wenn wir Europäer die Herausforderung bewältigen, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass die Flüchtlingsmassen, die vor dem syrischen Bürgerkrieg fliehen, erst der Anfang sind. … Wer glaubt, dass wir uns abschotten können, indem wir unsere Grenzen schließen, verschließt die Augen vor der Wirklichkeit.“

Jan. 2016 | Allgemein, Politik, Zeitgeschehen | 1 Kommentar