Weniger Etikettenschwindel, dafür mehr „Klarheit und Wahrheit“: Das hat uns die Große Koalition mal wieder versprochen, passend zur Grünen Woche, der großen Landwirtschafts- und Ernährungsmesse in Berlin. Zwei Initiativen bereits kamen im noch jungen Jahr aus dem Regierungslager – und zwei Mal handelt es sich dabei um Etikettenschwindel. Der erste Fall betrifft uns alle ganz direkt beim Einkauf: Es geht darum, was wir unter der Bezeichnung eines Lebensmittels erwarten dürfen – um Dinge also, die entscheidend sind dafür, was wir kaufen oder nicht. Die Koalition hat Pläne vorgelegt, wie künftigt Produktbezeichnungen beschlossen werden sollen.
Erinnern wir uns:
Kirschtee ohne Kirschen, Zitronenlimo ohne die Zutat Zitrone – dass so etwas heute gang und gäbe ist, steht seit Jahren in der Kritik. Inzwischen auch bei Union und SPD. „Nicht verständlich und nicht nachvollziehbar“, schrieben die Regierungsfraktionen in einen Antrag, der jetzt im Bundestag beschlossen wurde. Die Verfahren, die zum Beschluss solcher Produktbezeichnungen führen: „intransparent“. Fazit: Es bestehe „deutlicher Handlungsbedarf“. All diese Zitate sprechen für sich. Allein: Es bleiben leere Worte.
Welche Schlüsse zieht die Regierungskoalition daraus?
Um Irreführung zu bekämpfen, will sie ausgerechnet das Gremium stärken, das für diese staatlich legitimierten Irreführungen verantwortlich ist: die Deutsche Lebensmittelbuchkommission, ein geheim tagendes Gremium, das dem Bundesministerium unterstellt ist und keiner ausreichenden demokratischen Kontrolle unterliegt. Künftig soll die Kommission besser ausgestattet werden, häufiger tagen, Verbraucher sollen nach ihrer Meinung gefragt werden. Die eigentlichen Probleme aber bleiben bestehen: Denn weiterhin soll die Lebensmittelwirtschaft in dem Gremium mit darüber entscheiden, was wir uns bitteschön unter einem „Schokoladenpudding“ oder unter einer „Kalbfleisch-Leberwurst“ vorzustellen haben. Weiterhin sollen Wirtschaftslobbyisten ein Veto-Recht behalten, womit sie verbraucherfreundliche Regelungen jederzeit blockieren können. Und weiterhin soll das Abstimmungsverhalten in der Kommission, in der auch Verbraucherorganisationen vertreten sind, nicht veröffentlicht werden – wessen Interessen sich durchgesetzt haben, soll also wie bisher geheim bleiben. Die „Reform“ ist noch nicht mal ein „Reförmchen“.
Wir fordern: Schluss mit lustig – Schluss mit geheim!
Und Schluss mit absurden Produktbezeichnungen!
Die Lebensmittelbuchkommission ist gescheitert und muss abgeschafft werden! Nicht die Interessen der Industrie, sondern die Erwartungen von uns Verbraucherinnen und Verbrauchern müssen maßgeblich sein für die Festlegung von Produktbezeichnungen – die künftig am besten von einer unabhängigen Fachbehörde festgelegt werden, frei von den Interessen der Unternehmen. Im Vorfeld der „Grünen Woche“ stellte der Minister außerdem einen „Ernährungsreport“ vor. Eine Broschüre, die allerlei Zahlen und Daten zu den Ernährungsgewohnheiten der Bürgerinnen und Bürger enthält, ihren Meinungen und Wünschen – Auszüge einer großen Befragung, durchgeführt vom Forschungsinstitut Forsa. Es hätte schon misstrauisch machen müssen, dass eine Anfrage von foodwatch beim Ministerium nach dem „Tabellenband“ unbeantwortet blieb: Der nämlich enthält alle Ergebnisse im Original – einschließlich der Fragestellungen. Vom Ministerium veröffentlicht wurde dieser Band nicht, hingegen die schick gestaltete Broschüre schon.
Aus anderer Quelle wurde der Tabellenband doch öffentlich.
Beim Abgleich mit der Ministeriumsbroschüre verschlägt es uns – fast – die Sprache: Ein solches Maß an Manipulation hätte kaum werfür möglich gehalten! Unliebsame Ergebnisse wurden unterschlagen, sachlich falsche Angaben in den Fragestellungen gemacht, die Befragten mit suggestiven Formulierungen oder durch die Vorgabe von Antwortmöglichkeiten geleitet sowie für eine Grafik manipulativ-verzerrte Größenverhältnisse gewählt.
Ein Beispiel: Für 83 Prozent der Befragten wäre eine klare Gentechnikkennzeichnung „sehr wichtig“ oder „wichtig“, hat Forsa ermittelt. Ein deutlicher Auftrag an die Politik – im Ernährungsreport wird dieses unliebsame Ergebnis jedoch unterschlagen. Ob dies daran liegen mag, dass sich Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag zwar noch auf eine bessere, verpflichtende Gentechnik-Kennzeichnung auch bei Tierprodukten verständigt hatten, dieses Vorhaben aber mittlerweile klammheimlich auf Eis gelegt haben?
Auffällig oft dienen die Manipulationen des Ministeriums dem Politikverständnis von Minister Christian Schmidt, der in der Ernährungspolitik auf Aufklärung und freiwillige, gemeinsam mit den Unternehmen entwickelte Selbstverpflichtungen statt auf gesetzliche Vorgaben für die Lebensmittelwirtschaft setzt. So zog Christian Schmidts Ministerium aus der Befragung denn auch das Fazit, dass die „Mehrheit der Deutschen zwar staatliche Maßnahmen für besonders geeignet hält, um einer gesunden Ernährung den Weg zu ebnen, aber nicht in Form von Verboten und Gesetzen“. Dabei wurde nach der Zustimmung zu wichtigen gesetzlichen Maßnahmen wie Werbebeschränkungen bei Kinderlebensmitteln gar nicht gefragt. Eine von foodwatch repräsentative Umfrage zeigt hingegen deutlich: Eine große Mehrheit von drei Vierteln der Befragten wünscht sich eine solche Regelung.