Ermittlungen gegen Journalisten wegen Landesverrats, Netzneutralität und die Vorratsdatenspeicherung – Internetpolitik hat es in diesem Jahr oft groß in die Medien geschafft. Doch wirklich wichtig finden die Deutschen diese Themen auch 2015 nicht. Wahlentscheidend sind ganz andere Themen.
Eigentlich wollte Markus Beckedahl Anfang August ein paar Tage Urlaub machen. Doch daraus wurde nichts. Der Chef des Internetblogs netzpolitik.org stand plötzlich im Zentrum einer kleinen Staatsaffäre statt am Strand. Generalbundesanwalt Range hatte gegen ihn und seinen Kollegen Andre Meister Ermittlungen aufgenommen. Wegen Landesverrats. Ein eher seltener Vorgang in Deutschland, der einen
„Wir sind überwältigt, wie groß die Solidarität auch von anderen Medien war“, sagt Beckedahl heute. Auch seitens der Öffentlichkeit sei die Unterstützung immens gewesen. In zehn Tagen habe sein Team 180.000 Euro an Spenden erhalten. „Damit konnten wir unsere Anwälte bezahlen sowie unsere Sicherheit erhöhen, unter anderem durch den Kauf von Kryptotelefonen.“ Während der Ermittlungen seien er und sein Team niedrigschwellig überwacht worden. Das ist Beamtendeutsch für beispielsweise Kontoabfragen.
Wahlforscher: Internetthemen waren auch 2015 herzlich egal
Inzwischen sind die Ermittlungen gegen Beckedahl und Meister eingestellt. Den Generalbundesanwalt haben sie sein Amt gekostet. Die öffentliche Aufregung hat sich gelegt. Dass Geheimdienste mehr Geld bekommen für die Überwachung des Internets – das, was Beckedahl recherchierte – ist den meisten Deutschen jetzt wieder egal. Wenn es ihnen denn jemals wichtig war. Denn das Thema Überwachung findet sich im dritten Jahr nach Snowden nicht einmal unter den zwanzig wichtigsten politischen Themen in Deutschland, sagt Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen.“Netzpolitische Themen spielen für die Normalbevölkerung politisch und schon gar im Hinblick auf Wahlentscheidungen eine marginale, kaum messbare Bedeutung“, so Jung. Landesverrat, NSA und andere netzpolitische Themen würden von weniger als einem Prozent der Bevölkerung zu den beiden wichtigsten Themenfeldern gerechnet. Dass die Medien 2015 dennoch oft darüber berichteten, sieht er durchaus kritisch: „Hier zeigt sich wieder einmal, dass die mediale Bedeutung von Themen und die Relevanz bei der Bevölkerung oft weit auseinander liegen.“Auch zwei weitere große Internetthemen des Jahres 2015 finden sich nicht unter den Top 20: Netzneutralität und die umstrittene Vorratsdatenspeicherung. Auf letztere hatte sich die Koalition geeinigt, obwohl sich Justizminister Heiko Maas (SPD) nach dem Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ Anfang des Jahres noch dagegen aussprach. Doch SPD-Chef Gabriel zwang Maas zum Einlenken und ein SPD-Konvent segnete Gabriels Pläne ab. Kritiker der Datenspeicherung kündigten Klage an. Wieder einmal. Justizminister Heiko Maas sucht derweil weiter seine Glaubwürdigkeit.
Kostenpflichtige Überholspuren bald auch in Ihrem Internet
Über das mangelnde Interesse der Deutschen für Internetpolitik dürfte sich auch die Telekom freuen. Sie hat Überholspuren im Internet angekündigt. Einige Datenpakete wie etwa Videos oder Online-Games könnte sie künftig gegen Aufpreis schneller durchs Netz schicken als andere. Im Klartext: Schnelles Surfen könnte bald teurer werden. Möglich gemacht hat das ein Beschluss des EU-Parlaments, der so genannte Spezialdienste in Einzelfällen durchaus erlaubt – ohne zu definieren, was diese Einzelfälle genau sind.