1aaanarrDies mag, das vorweg, kein Manifest sein, geschweige denn das einer wie auch immer verfassten Gruppe; verstanden werden möchte das Folgende als Kurzfassung meiner Überzeugung, die mich hin und wieder fleißger sein läßt, als ich eigentlich sein will. Es werde Schluß gemacht mit dieser es war einmal Schizophrenie – es war einmal eine Art weißer Magie: Journalisten verwandelten die Reputation, die sie mit ihren Texten erworben hatten, in politische Kompetenz. Wo Texte gut waren, waren sie oft aufs Sprachliche fixierte politische Beiträge, oftmals aber ohne kommunikative Oberfläche, manchmal hermetisch. Politische Tendenz meist in Richtung Massen? In Richtung staatstragende Revolution? – In Richtung „veritas“? Das nenne ich: anders schreiben als reden. So etwas funktionierte.

Allerdings nur solange, wie Journalisten noch an die Menschen- und Gesellschaftsbilder politischer Gruppen andocken konnten. Man stand, ein stets widerständiger Zwerg, auf den Schultern des Zeitgeschehens, schrie Partei- und anderen Funktionären in die Ohren, biß auch schon mal habituell eine einen fütternde Hand, die einen natürlich auch führen wollte. Tatsächlich galt einmal: „Wer nicht Partei ergreifen kann, der hat zu schweigen.“

Diese Zeiten sind vorbei. Man kann den Untergang der Ideologien begrüßen, den Verlust der Utopien wohl weniger. Die Parteien waren einmal die Buchhalter der Utopie; es war ein schönes und ertragreiches Spiel für Schreiber, den Funktionären ihre Gegenstände lauthals streitig zu machen. Jetzt sind mit den Ideologien auch die Utopien zerbrochen. Keine Podeste mehr, auf die gestiegen und gehofft werden konnte, dass man ihre zarten Stimmen von hier oben besser hört. So kam es, daß wir unsere Stimmen „entzarteten“ …

An die Stelle der dauernden (und oft genug lähmenden!) Grundsatzdebatten ist eine Talk- und Umfragekultur getreten, die noch den kommunikativ alertesten Journalisten abhängt. Lange bevor er im Tagesgeschäft des Politischen mit ein paar leidlich zusammenpassenden Scherben älterer Menschenbilder aufwarten kann, ist bereits das übernächste Thema in der Mache. Jeder politisch ambitionierte Journalist erscheint heute als eine Utopien-Ich-AG mit bestürzend langen Produktions- und Lieferzeiten; sind die Zurüstteile endlich fertig, hat das Großunternehmen Meinungsmache: „Sachfragen Inc.“ längst das Produkt gewechselt.
Darauf war zu reagieren: mit einer klaren Absage an die Mehrdeutigkeit. Politische Kompetenz darf im postideologischen Zeitalter ausschließlich mit den Gebilden und innerhalb jener Gebilde erworben werden, die den Schreibenden ganz eigen sind: mit und in ihren Texten. Ich muss als Autor in Kauf nehmen, mich der Tagesdiskussion zu entziehen und nicht aufs Umfragekarussell zu steigen. Ich argumentiere nicht auf dem Fundament einer abstrakt literarischen Reputation, sondern aus dem Kontext einiger meiner Texte.
Ich wäre also ein politisch schreibender Mensch nach Maßgabe meiner Fähigkeit und Bereitschaft, mich auf die Diskussion der politisch-utopischen Elemente meiner eigenen Schreibe einzulassen.

Wer sich kommentiert, geht unter sein Niveau. – Ja, sicher und dennoch. Aber wenn ich meinem Schreiben eine Intention unterlege, die über Unterhaltung und Konsum hinausgeht, dann sollte ich bereit sein, alles zu tun, diese Intention auch im politischen Diskurs sichtbar zu machen. Man kann und darf, ja man sollte „Schlagworte prägen, ohne die Idee zu verraten.

1aaadiogenes.jpgDazu braucht es Freunde. Keine Parteifreunde, von Amigos und Seilschaften ganz zu schweigen; sondern Wissens- und, ja, natürlich auch Informationsvermittler aller Art, die sich trauen, daraus entstandene Kritik nicht als eine Stiftung Warentest zu verstehen, sondern (notfalls auch mit etwas gröberem Apparat) die politischen und gesellschaftlichen Themen aus den Artikeln zu destillieren. „Kritik ist eine moralische Sache.“ Das fehlt oft. Mein trauriges Lieblingsbeispiel aus den vergangenen Monaten: Viel zu wenig, wenn überhaupt, ist der großartige Roman „Gottesdiener“ von Petra Morsbach als eine Studie über den Zustand der Resttranszendenz im christlichen Abendland gelesen worden. Die anrührende Biografie eines Landpfarrers – ja; aber auch ein exzellenter Beitrag zur ansonsten oft etwas materialarm geführten Debatte über unsere innere Position gegen- über dem islamischen Fundamentalismus.
So wie ich mir also von anderen Autoren eine Bereitschaft wünschte, auch als Pamphletisten der eigenen Meinung aufzutreten, so sehr, ja noch mehr wünschte ich mir eine Vermittlung der Zusammenhänge, die hier Beziehungen herstellt, Netze flicht, Kontexte aufbaut, ohne (ohne!) sich dabei der gegenwärtigen Kurzzeit-Talkkultur zu unterwerfen. Also nicht: Die Kolummne zum Skandal. Wesentliche Debatten nämlich bekommt man nicht, man muß sie machen, ja, man muß, in allen Positionen, „Stratege im Meinungskampf“ sein. Quote darf hier nicht gedacht werden. „Das Publikum muß stets Unrecht erhalten und sich doch immer vom Kritiker vertreten fühlen.“
Zentral bei alledem bleibe immer die Sprache. Medien sind nicht der Ort, an dem die Probleme von Gemeinderatsfraktionen, Landräten, Bürgermeistern oder von wem auch immer gelöst werden; hier wird vielmehr die Probe auf den Stand ihrer Sagbarkeit gemacht.
Und gute Artikel machen Proben auf die Sagbarkeit dessen, was sich, weil es so verschreckend neu ist, bislang nur in alten und verbrauchten Formeln fassen läßt.

Nach wie vor ist die ästhetische Anstrengung weder das Andere zur Politik, noch eine bloße Beigabe dazu. Sie ist vielmehr notwendige Voraussetzung des Gelingens auch geschriebener Ärgernisse, focussiert, weil sie sind. Eines Journalisten Sache ist es nicht, konkrete Anweisungen zu geben oder abstrakte Systeme aufzustellen, sondern konkrete Beispiele zu liefern – und in einen Context zu stellen. Auch dies bleibt ein Teil vom „Rundschau Credo“ – das Sie auf unsrerer Startseite „anklicken“ können. Mir gebe ich einstweilen diesen meinen Artikel (mit – so: “ gekenntzeichneten) Zitaten aus Walter Benjamins „Die Technik des Kritikers in dreizehn Thesen“) als Antwort zur Feier jedes Tages auf meine Frage: „Warum mischst Du Dich eigentlich immerzu überall ein?“

Jürgen Gottschling

Sep 2015 | Heidelberg, Allgemein, Feuilleton, In vino veritas, Junge Rundschau | Kommentieren