Forschungsprojekt soll Belastungen von Opfern im Ermittlungsverfahren beleuchten.
Die im Dezember 2012 gegründete WEISSER RING Stiftung hat ihren ersten Forschungsauftrag an ein Forschungsteam der Universitäten Heidelberg und Gießen sowie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit Mannheim vergeben. Dem Team gehören die Professoren Dieter Dölling, Dieter Hermann, Andreas Kruse, Eric Schmitt, Britta Bannenberg, Harald Dreßing und Hans-Joachim Salize an.
Ziel der Studie ist es, die mit dem Ermittlungsverfahren verbundenen Belastungen von Kriminalitätsopfern einerseits und die Erwartungen von Opfern an das Verfahren andererseits zu dokumentieren. Auch sollen weitere Verfahrensbeteiligte und Angehörige der Opfer befragt werden. Empirisch wird untersucht, welche verfahrensimmanenten und eventuell vermeidbaren Belastungen für Kriminalitätsopfer bestehen und welche Ermittlungsmethoden von ihnen als belastend oder unterstützend wahrgenommen werden. Aufgrund der Untersuchungsbefunde werden Handlungsempfehlungen an Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte erarbeitet. Das Forschungsprojekt wird etwa ein Jahr dauern, gestartet ist es am 1. August 2015.
„Die Studie legt zum ersten Mal den Fokus ausdrücklich auf das Opfer einer Straftat im Ermittlungsfahren“, sagt Roswitha Müller-Piepenkötter, Vorsitzende des Stiftungs-Kuratoriums. „Des Weiteren soll sie fundiert die politischen Forderungen des WEISSEN RINGS wissenschaftlich untermauern.“
Der Forschungsauftrag wurde initiiert durch ein Expertengespräch im vergangenen Jahr in Wiesbaden, an dem Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes a.D. und heute stellvertretender Bundesvorsitzender des WEISSEN RINGS, Generalbundesanwalt a.D. Harald Range sowie Wissenschaftler der Berliner Charité und der Freien Universität Berlin teilgenommen hatten.
Das Opfer und seine Angehörigen sind bereits durch die Straftat erheblich in ihrer Lebensführung gestört. Im Ermittlungsverfahren kommen dann durch Vernehmungen, Spurensicherung und andere Maßnahmen noch weitere Belastungen hinzu. Denn die Opfer müssen für mehrere, unter Umständen sich wiederholende Befragungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft zur Verfügung stehen. Damit müssen sie sich auch der ständigen Wiederholung des Tatgeschehens sowie den damit verbunden Ängsten und Leiden stellen. Mitunter muss das Opfer auch unsensible Gesprächsführung und Misstrauen der Ermittlungsbeamten gegenüber den eigenen Aussagen ertragen. Darüber hinaus wird das Opfer oftmals nicht ausreichend über die eigenen Rechte und Pflichten, den Ermittlungsstand und über bevorstehende Verfahrensschritte informiert. Es empfindet daher die eigene Rolle im Ermittlungsverfahren im Vergleich zu Rolle des Täters als geringgeschätzt. Die Mitarbeiter des WEISSEN RINGS erleben das in ihrer alltäglichen Arbeit mit Kriminalitätsopfern immer wieder. Besonders deutlich wurde das Problem auch durch die Arbeit des Untersuchungsausschusses zu den sogenannten NSU-Taten und durch den in München laufenden Strafprozess mit den zugehörigen Ermittlungsumständen im vergangenen Jahr.
Sowohl der Gesetzgeber als auch die Ermittlungsbehörden haben durch Opferschutzgesetze und Opferbeauftragte der Polizei in den vergangenen Jahren bereits Maßnahmen eingeleitet, um den Bedürfnissen von Kriminalitätsopfern Rechnung zu tragen. Es bleiben aber Lücken – beispielsweise hinsichtlich der Fragen, ob Techniken wie die Videovernehmungen bereits positive Auswirkungen auf die Opfer von Straftaten hatten, welche Belastungen für Opfer unvermeidlich bleiben und welche abgemildert oder sogar gänzlich vermieden werden können. Das Forschungsprojekt soll diese Lücke schließen.