… alsdann, in der Tat bezweifeln nicht nur wir (netzpolitik.org) die Rechtmäßigkeit der geplanten Vorratsdatenspeicherung, sondern offenbar auch Beamte im Justizministerium (BMJV). Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) im April 2014 die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gekippt hat, sollen BMJV-Beamte Bedenken an einem Alleingang angemeldet haben. Das geht aus internem Material hervor, die dem Spiegel zugespielt wurden.
Das EuGH-Urteil sei so weitreichend, dass äußerstenfalls „eine Art anlassbezogener“ Speicherung von Telekommunikationsdaten, etwa „für einen bestimmten Personenkreis“ denkbar wäre, zitiert der Spiegel aus dem Schreiben eines Referatsleiters. Diese Einschätzung scheinen sich Justizminister Heiko Maas (SPD) und seine Kollegen in der Bundesregierung nicht zu Herzen genommen zu haben, denn der aktuelle Gesetzentwurf sieht sowohl eine anlasslose als auch eine massenhafte Speicherung von Daten aller Bürger vor. Da hilft auch die als Feigenblatt vorgeschobene Beschränkung des Speicherzeitraums von Telekommunikationsdaten auf zehn Wochen (vier Wochen bei Standortdaten) nichts.
Drei Wochen später versorgten Beamte den Justizminister mit einer weiteren neunseitigen Bewertung. Laut EuGH-Urteil müsse es einen Zusammenhang zwischen den gespeicherten Daten und einer „Bedrohung der öffentlichen Sicherheit“ geben. Auch an dieser Vorgabe schrammt der Gesetzentwurf nicht etwa nur haarscharf, sondern meilenweit vorbei, weil als Grundlage immer noch die verdachtsunabhängige und pauschale Speicherung dient.
Das Gesetz zur: Vorratsdatenspeicherung liegt derzeit bei der EU-Kommission, wo es im Zuge des Notifizierungsverfahrens einer dreimonatigen Stillhaltefrist unterliegt. Sollte die Kommission nichts zu beanstanden haben, ist eine Verabschiedung für den frühen Herbst geplant.
11.Aug.2015, 10:49
Die Generalbundesanwaltschaft hat also die Ermittlungen wegen Landesverrats gegen den Blog Netzpolitik.org eingestellt. Der Grund: Der Blog habe keine Staatsgeheimnisse veröffentlicht. Diese Affäre hat einmal mehr Dysfunktionen im deutschen Rechts- und Politiksystem ans Tageslicht gebracht: Obgleich der Skandal erstickt wurde, offenbart er eine ungesunde Nähe zwischen Geheimdiensten, Generalbundesanwaltschaft und Politik. Zudem zeigt er, dass die Behörden unterschätzt haben, wie sehr das Internet zu mobilisieren vermag. Sie hatten nicht mit so lebhaften und schnellen Protesten gerechnet, die selbst die Kanzlerin zwangen, auf Distanz zum Generalbundesanwalt zu gehen. Und wir haben im Rahmen dieses Prozesses noch etwas anderes gelernt: Dass nämlich der höchste deutsche Staatsanwalt nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegt, ja nicht einmal Teil des Rechtssystems ist, und dass er daher außerhalb des Rechtsrahmens handeln kann, der für deutsche Gerichte gilt.
Matthias Wagner