Vizekanzler Sigmar Gabriel meinte im Gespräch mit Einwohnern von Heidenau, wo Ossis gerade mal wieder nicht lange mit Ausländern fackeln und auf ihre Weise „aufräumen“: „Ihre Sorgen muss man ernst nehmen, aber das ist kein Grund, mit diesen Spinnern zu demonstrieren“, so sagte Gabriel; und ich, ich erinnere mich daran, dass ich vor 22 Jahren über dies Buch geschrieben habe mit dem Titel: „Der rasende Mob – Die Ossis zwischen Selbstmitleid und Barberei“. Ich habe es gesucht, wiedergefunden und darf nun mit der Genehmigung des Herausgebers Klaus Bittermann von der Edition TIAMAT diesen Beitrag an unsere Leser „weitergeben“. (got)
„Wir sind eein Volk“
Seitdem sie in Leipzig »Wir sind ein Volk« skandierten, ist die neutrale Rede von den Ossis als der Bevölkerung eines Landes anachronistisch geworden. Ein in Deutschland seit der LTI von Victor Klemperer nicht mehr harmloses Wort (»›Volk‹ wird jetzt beim Reden und Schreiben so oft verwandt wie Salz beim Essen.«) erlebte eine Renaissance, »Volk« wurde zum Kampfbegriff, zur Drohung. Die negative Konnotation der Selbstbezichtigung zum Völkischen, zur Rasse, war nicht bloß die vorübergehende Begleiterscheinung eines historischen Prozesses, sondern drückte bereits die Absicht der Ossis aus, damit ernst zu machen, und wie immer in solchen Fällen, ging es als erstes gegen die Ausländer.
»Eine Rasse sind wir nicht, eine Rasse müssen wir erst werden«
Der Verdacht, dass sich in den Massenaufmärschen eine geheime Traditionslinie zu dieser Rassen-Devise Hitlers würde finden lassen müssen, wurde zur Gewissheit. Zwar nicht als Wiedergeburt des Ariers, aber auch die damals wie heute degenerierte »nordische Rasse«, die dem blond und blauäugigen Ideal nur in Ausnahmefällen entsprach, definierte sich ja hauptsächlich durch die Ausgrenzung des »Andersartigen«, welches für »die Zersetzung des gesunden Volkskörpers« verantwortlich gemacht wurde. In der Zusammenrottung der Ossis kam die Phobie, von Fremden im eigenen Land bedroht zu sein, zum Vorschein. Hinter dem Schlachtruf von Leipzig verbarg sich nur notdürftig seine logische Konsequenz: »Ausländer raus!«
Die Nationalhymne hatte kurzfristig Hochkonjunktur
Die Gunst der Stunde war auf der Seite der Ossis, und vielen wurde schon beim Zugucken ganz vaterländisch zumute. Aber hinter dem völkisch geäußerten Wunsch nach sofortigem Anschluss an die BRD steckten nicht nur die Heim- ins-Reich- und Ausländer-raus-Gefühle, sondern auch die blanke Habsucht auf westlichen Ramsch. Diese widerwärtige Mischung aus Raffgier und Volksgegröle machte die Ossis zu einer unverwechselbaren Spezies, weshalb sie in der BRD genauso wie in den Neckermann-Urlaubsländern sofort als Ossis identifiziert wurden. Das war bitter für sie, die sich durch die schöne neue Welt des Wirtschaftswunderlandes hindurchfressen wollten.
Daraus jedoch wurde nichts. Statt in einer großen Volksgemeinschaft aufzugehen, wurden die Ossis als das erkannt, was sie schon immer waren: äußerst unangenehme Zeitgenossen, die auf bisher unbekannte Weise Selbstmitleid und Barbarei als wirksame und erpresserische Waffe einsetzten. Ein Volk wollten die Ossis werden, und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass daraus noch etwas wird. Die besten Voraussetzungen bringen sie jedenfalls mit: Als Mob auf der Straße jedenfalls haben sie sich ja bereits qualifiziert.
Auf jeden Topf passt ein Deckelchen
Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft
Vierzig Jahre lang waren die Ossis die Vorzeigekommunisten im östlichen Staatenbündnis. Anders als bei den Tschechen und Polen waren Klagen über ihre sozialistische Arbeitsmoral nicht übermäßigbzu zu vernehmen, und selbst den Luxus des vom Westen spöttisch belächelten Schlendrians leisteten sie sich nicht. Streiks wie in Polen waren undenkbar und riefen bei den Ossis heftige Ressentiments hervor. Dass die Polenein faules Pack waren, wussten die Ossis schon immer, durch die Streiks war der für ihr Urteil gar nicht nötige Beweis endgültig erbracht.
Statt Solidarität mit den Danziger Werftarbeitern zu üben, achteten sie darauf, Dass sich der über die DDR führende Revolutionstourismus aus dem Westen in Grenzen hielt. Schließlich durfte man ja selbst auch nicht mehr nach Polen. Nicht, Dass sich die Ossis darüber sonderlich aufgeregt hätten, aber in diesem Fall schien ihnen der Gleichheitsgrundsatz schon sinnvoll zu sein. Ihre Aversionen gegen die-noch-weiter-drüben rühren vermutlich aus einer Zeit, in der die Polen als Untermenschen galten. Die Politik der DDR-Regierung kam den Ressentiments der Ossis entgegen, und dafür waren sie ihrer Führung, dafür waren sie Honecker und Ulbricht dankbar.
Die So li dari tät
Auch sonst hatten die Ossis für die Freiheitsbestrebungen der sozialistischen Bruderländer kein Verständnis: Auch wenn sie 1968 nicht direkt beim Einmarsch der SU in Prag durch den Warschauer Pakt in die Pflicht genommen wurden, hätten sich die Ossis auch ohne Militärbündnis nicht zweimal bitten lassen, dem als Sozialismus mit menschlichem Antlitz getarnten Virus aus dem Westen den Garaus zu machen. Jedenfalls ist nicht bekannt, dass sich die Ossis zu Solidaritätsaktionen mit den aufmuüpfigen Brudervölkern und den gemäßigten Reformpolitikern hinreißen ließen, ja nicht einmal zu einer der damals so beliebten und inflationären »Grußbotschaft an das Volk/die Arbeiter/die Streikenden« (Zutreffendes bitte ankreuzen) reichte es. Solange die internationale Solidarität mit irgendwelchen unterdrückten Völkern irgendwo weit weg auf einem anderen Kontinent gepflegt wurde und nicht im eigenen Land, solange war man auch bereit, die endlosen Solidaritätserklärungen im Neuen Deutschland oder auf Parteiversammlungen auf sich nieder tröpfeln zu lassen. Kamen dennoch Fremdarbeiter ins Land, waren sie den Ossis kaserniert am liebsten, auch wenn sie damals schon darüber murrten, dass die »Fidschis« und »Mossis«, wie die Ossis die Gastarbeiter aus Vietnam und Mosambik nannten, nur zum »Abgreifen« gekommen wären, plötzlich ihre innige Liebe zu den Ostprodukten entdeckend, über deren Qualität sie sonst nur maulten.
»Fahnse ma rächts ran«
Infolgedessen bleibt der Ossi aus dieser Zeit als zuverlässiger Volksgenosse in Erinnerung, in einer immer etwas zu engen, über den Schwabbelbauch spannenden und auf Hochwasser stehenden Uniform in dezentem Mausgrau, die ebenso zur verklemmten Geisteshaltung passte wie zu den zahlreichen Staats- und Betriebsfeiern. Unvergesslich auch der vom nagenden Neid säuerliche und miesepetrige Befehlston an der ehemaligen deutschdeutschen Grenze, dieses unnachahmliche in der SED-Eintopfsprache geblaffte »Gännse fleisch den Goffäraum aufmachn« oder »Fahnse ma rächts ran«, mit dem sie Westreisende mit Vorliebe drangsalierten.
Obgleich sich aber die Direktiven der Staatsführung und die Missgunst der Ossis nahtlos zur Deckung bringen ließen, kann man nicht behaupten, dass sich die Parteiführung unbeschränkter Beliebtheit bei den Ossis erfreut häzze. Und wer die Jubelparaden bei den Aufmärschen zum Ersten Mai dahingehend interpretiert, hat keine Ahnung von deren Psychologie. Was die Ossis ihrer Führung wirklich ankreideten, war, dass sie im Leistungsvergleich der Systeme hoffnungslos unterlegen waren. Was waren schon billige Mieten, kostenlose Krankenversorgung und Arbeitsplatzgarantie gegen ein schnelles Westauto? Später, als die Ossis es dann endlich hatten, setzten sie es an den nächsten Baum und jammerten über steigende Mieten, eine teure Krankenversicherung und Arbeitslosigkeit.
Linker Nationasozialismus?
Immer wieder wird der Vergleich zwischen dem Nationalsozialismus und der DDR bemüht, um deutlich zu machen, unter welcher unmenschlichen Diktatur die Ossis gelitten hatten. Vergeblich wird man jedoch nach den sechs Millionen Ermordeten fahnden, die man dem SED-Regime gerne unterschieben würde. Nicht mal ein paar richtige stalinistische Schauprozesse hatte es gegeben, an denen man sich heute delektieren könnte, obwohl die SED-Genossen immer als die Musterschüler Stalins galten. Selbst in diesem Heimspiel hatte die DDR nur eine Posse zustande gebracht, außer einem überflüssigen Buch blieb keine Hinterlassenschaft. Oder waren es zwei? Statt Terror, Krieg und Verwüstung mit sich zu bringen, war die DDR für ihre Bewohner vielmehr eine Insel des Friedens, auch wenn es hinter den Kulissen etwas muffelte. Dennoch haben der Nationalsozialismus und die DDR etwas gemeinsam. Aber diese Gemeinsamkeit ist für die Ossis alles andere als schmeichelhaft, denn für sie trifft zu, was Hannah Arendt über die Deutschen zwischen ’33 und ’45 schrieb: »Es gab im Dritten Reich nur wenige Menschen, die die späteren Verbrechen des Regimes aus vollem Herzen bejahten, dafür aber eine große Zahl, die absolut bereit waren, sie dennoch auszuführen.«
Nur der Tatsache, Dass die staatliche Repressionsmaschine der DDR mit internationalen Standards nicht Schritt halten konnte und der damit zu verzeichnende Erfolg geradezu harmlos war im Vergleich zur Einführung des Kapitalismus in den ehemaligen Ostblockländern, haben es die Ossis zu verdanken, dass sie gar nicht die Möglichkeit hatten, sich so aufzuführen, wie es die Deutschen unter Idealbedingungen offensichtlich gerne tun.
Auch wenn die Ossis mit ihrer Regierung nie so recht zufrieden waren, behielten sie ihre Meinung lieber für sich. Dennoch waren sie bereit, »Pionier- und Spitzenleistungen im ökonomisch-kulturellen Leistungsvergleich« zu erbringen. Was immer diese »Pispilei im Ökulei« (so die korrekte Abkürzung im DDR-Sprachgebrauch) gewesen sein mögen (vielleicht sowas wie ein in den realsozialistischen Jargon übersetzter Voodoo-Zauber?), die Ossis taten auf Geheiß der Partei anscheinend sehr mysteriöse und obskure Dinge, die offensichtlich nur dazu da waren, um die Gefolgschaftstreue zu testen. Man könnte diese zwischen dezentem Murren und vorbehaltloser „allzeit“ Pfadfinderbereitschaft schwankende Haltung als eine Art kritischen Opportunismus bezeichnen, nur dass sich das Kritische ins innere Exil verflüchtigte und somit nur der Opportunismus übrigblieb, davon aber üppige Portionen.
Spätestens nach Hoyerswerda und Rostock müsste sich jeder Mensch mit einem halbwegs intakten moralischen Empfinden fragen, ob die Stasi nicht vielleicht doch eine nützliche Einrichtung war, denn immerhin sind unter ihrem wachsamen Auge 40 Jahre lang derartige Pogrome wie gerade jetzt wieder in Ossiland nicht vorgekommen. Und überhaupt: Haben die „Millionen leidenden Deutschen“ denn nicht sowieso alles getan, um der Regierung keinen Grund für Beanstandungen an ihrem Verhalten zu geben? Fragen über Fragen. Und keine vernünftige Antwort.
»Leibeigene einer internationalen kriminellen Vereinigung« ?
Als »Leibeigene einer internationalen kriminellen Vereinigung« sehen sich die Ossis, um aller Welt drastisch vor Augen zu führen, wie gemein, niederträchtig und hinterhältig die Stasi war, die sie sogar zu »Erfüllungsgehilfen dieser Bande« herabgewürdigt habe. Nein! Die Ossis waren nicht einmal insofern Leibeigene, als sie sich deren Mentalität zu eigen gemacht hätten, denn aus einem stolzen „morituri te salutant“ machten sie ein verdruckstes »Hoch auf unseren Genossen Staatsratsvorsitzenden«.
Aber während immer mal wieder mit heißer Nadel an der neuesten Stasigreueltat gestrickt wird, die Druckfarbe der Zeugnisse von, aus und über IMs noch nicht trocken ist, lassen sich Ossis bereits für den nächsten Verein von Hilfssheriffs anwerben, der dem Bundesgrenzschutz bei der »Abwehr der Asylantenflut« an der Ostgrenze behilflich sein soll, d.h. für eine paramilitärische Organisation, die dem Ossi aus vergangenen Zeiten eigentlich ziemlich bekannt vorkommen müsste. Nur, diesmal müssen sie keinen Staatsfeind, der aus irgendwelchen Schwertern Pflugscharen basteln wollte, beim Entleeren der Mülltonne zugucken, sondern dürfen mit Radargeräten und Infrarot spielen, Menschen im Nahkampf ganz legal die Knochen brechen, zurück in die Oder schmeißen oder ein bißchen an ihnen herumkokeln, wofür sie in Hoyerswerda, Rostock und so weiter ja schon mal haben üben dürfen.
Im Vergleich der Systeme stellten sie fest, dass es im Westen noch viel mehr zu holen gab, die BRD mithin das Land war, das ihre unersättliche Sucht nach Plunder befriedigen konnte. Deshalb flüchteten die Ossis massenhaft in die BRD – Botschaften von Budapest, Prag und Warschau und stellten die örtlichen Behörden vor erhebliche sanitäre und humanitäre Probleme. Ohne Not und Gefahr fürs eigene Leben führten die Ossis rücksichtslos gegen sich und andere unhaltbare und chaotische Zustände herbei. Im Gegensatz aber zur Toleranz, mit der man den Wirtschaftsflüchtlingen in Prag begegnete, haben die Ossis für Flüchtlinge, die aus wirklichen Krisengebieten kommen und deren Leben tatsächlich auf dem Spiel steht, nichts übrig.
Das Kleinliche, Stickige, Miefige der DDR-Zeit hatte sich Luft verschafft.
Zunächst in einer Flucht, die der von einem sinkendem Schiff glich, nach dem Motto »Rette sich wer kann«, ganz gleich, wer dabei auf der Strecke bleibt, den letzten beißen eben die Hunde. Für die Stabilität der Psyche schien es nicht mehr auszureichen, sich gegenseitig und außerdem noch folgenlos bei der Stasi zu verpetzen, etwa weil Elfriede mal wieder über das Waschpulver gemeckert hatte.
Dass sie sich mit den Verhältnissen arrangierten, ist ein menschlicher Zug und ihnen nicht vorzuwerfen. Weil die Ossis aber den sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat nicht etwa durch passiven Widerstand mürbe machten, sondern sich nach Kräften bemühten, das Staatssicherheits- und andere Plansolls zu erfüllen, wird im nachhinein auch klar, warum der Sturm auf das MfS-Gebäude so harmlos verlief. Die Wut auf die »Zentrale des Terrors« hielt sich in Grenzen, weil diese für die Ossis viel mehr eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bedeutete, als ein Instrument der Unterdrückung. Dass die ostdeutsche Variante vom Sturm auf die Bastille überhaupt stattfand, lässt sich aus dem Ärger darüber erklären, dass die einst so übermächtigen staatlichen Organe von selbst ihren Geist aufgegeben hatten, mithin die Einsicht, dass man Jahrzehnte lang auf einen Pappkameraden hereingefallen war, nicht gerade erhebende Gefühle hervorgerufen haben dürfte.
Sanchos, Panchos und Don Quijotisten
Sich als einen die SED-Diktatur furchtlos beiseitefegenden Revolutionär feiern zu lassen, aber bloß gegen Windmühlen gefochten zu haben, als politisch verfolgtes Opfer bedauert zu werden, aber nur den neuen Mittelklassewagen von Opel im Kopf zu haben, konnte nicht lange gut gehen. Selbst dem gutwilligsten Trottel im Westen wurde der Kaufrausch der Ossis schnell zuviel, und durch das massenhafte Einfallen in Westberlin und den grenznahen Bezirken waren sie obendrein zu einer schwer zu ertragenden Belästigung geworden. Die sogenannte Wiedersehensfreude nach vierzig Jahren Trennung hatte wenig mit der Liebe zum Nächsten zu tun, sondern mit der Liebe der Ossis zu Beate Uhse, Bananen, Aldi und Lidl. Die Ossis zeigten sich ohne Scheu von ihrer ungemütlichen Seite. Es gab also keinen Grund, die Ossis zu mögen, weshalb dann auch die offiziellen Wiedervereinigungsfeiern ziemlich trostlos verliefen. Der Lack vom Freiheitskämpfer war ab, die Verwicklungen mit der Stasi wurden immer offensichtlicher. Der Ossi hatte sich als ziemlich jämmerliche Gestalt entpuppt.
Des Ostlers Leiden an Realitätsverlust
Konnte er die Einheit zuerst nicht schnell genug bekommen, fühlt er sich jetzt von den Wessis überfahren und betrogen. Als bemitleidenswerte und arme Kreatur halten es die Ossis für selbstverständlich, dass die Wessis ihnen unter die Arme greifen. »Nicht über die Kosten aufregen, wir haben mit vielen Jahren verlorenen Lebens bezahlt«, sagen sie und glauben allen Ernstes daran, dass ihnen der Westen eine Art Wiedergutmachung schulde. »Nicht immer ans Geld denken«, halten sie den Wessis vor und denken selbst immer nur an das eine. Jede Mark, die nicht in den »Aufschwung Ost« floss, hielten sie für Verschwendung und eine ihnen unrechtmäßig vorenthaltene Unterhaltszahlung. Bitter beschweren sie sich darüber bei den Wessis: »Sie tun, als ob wir ihnen was wegnehmen, könnte ja eine Mark in der Lohntüte fehlen.«
Seitdem steckt ganz tief in ihm eine Verletzung, eine »Wut über die grobe Vereinnahmung des Ostens durch die westdeutschen Sieger«. Das im Chor vorgetragene Lamento ist dabei so einfach gar nicht zu verstehen.
Hinter der bedrohlichen Forderung nach Anschluß mit der Parole »Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, dann …« kroch unterwürfig die völlige Selbstpreisgabe hervor. Der so unter Druck stehenden BRD-Regierung blieb da gar nichts anderes übrig, als ihre Skrupel abzulegen und der Einladung der Ossis nachzukommen. Einer Regierung, der man solche Avancen macht, kann man später nicht vorwerfen, sie hätte sich unrechtmaßig an der Unschuld einer Bevölkerung vergriffen, selbst dann nicht, wenn sie in der DDR wie in einem Selbstbedienungsladen zugegriffen hätte. Aber in den Regalen herrschte bis auf ein paar Dosen mit radioaktivem Müll gähnende Leere, und in der einen oder anderen verstaubten Ecke stehen immer noch die vergammelten Betriebe, die die Treuhand lange Zeit auf dem internationalen Kapitalmarkt wie Sauerbier anbot und wenn überhaupt, dann nur mit riesigen Verlusten losschlagen konnte, mit Zugeständnissen und Gepflogenheiten obendrein, die man bislang nur aus der Planwirtschaft kannte.
Waren es früher nur Bohnenkaffee und Schokolade, fordern die Ossis jetzt quengelnd und gebieterisch zugleich Milliardenzuschüsse für eine Investitionsruine. Dabei hätten die rudimentärsten Kenntnisse im Pflichtfach Politische Ökonomie auch etwas Minderbemittelteren zur Einsicht verhelfen können, dass eine Wirtschaft, ganz gleich wie potent sie sein mag, nicht 16 Millionen trübe Tassen verkraften, genausowenig wie sie aus einer abbruchreifen eine international konkurrenzfähige Volkswirtschaft machen kann. Als der Wirtschaft dann auch im Westen langsam die Luft ausging, konnten nur 21 Prozent der Ossis einen Zusammenhang herstellen zwischen den Milliardenzuschüssen für den Osten und einer Gefährdung von Wirtschaft und Wohlstand im Westen. Kein Wunder auch, denn 80 Prozent der Schreihälse wissen nicht, wie hoch die jährlichen Transferzahlungen von Westdeutschland in den Osten sind, wenn sie überhaupt wissen, dass es sie gibt, und nur ganze acht Prozent von ihnen tippen auf über hundert Milliarden, immerhin nur um lumpige fünfzig Milliarden verschätzt.
Dennoch glaubten die Ossis nur zu gerne an die vom Kanzler versprochenen »blühenden Landschaften« im Osten Deutschlands. Diesem Schlaraffenlandglauben, der die gegen ihre Führung angeblich so skeptischen Ossis ziemlich dumm aussehen ließ, denn selbst Honeker hatte nicht so dick aufgetragen, folgte nun ein Lehrstück in marxistischer Krisenökonomie. Jahrelang wurde den Ossis in den DDR-Schulen eingetrichtert, wie verheerend sich der Kapitalismus auswirkt; im beliebten Westfernsehen wurden sie über die steigenden Arbeitslosenzahlen informiert, und nun können sie es nicht fassen, dass sie nicht etwa einer plumpen Propagandalüge aufgesessen waren, sondern die Marktwirtschaft tatsächlich so funktioniert, wie »Sudel-Ede« immer behauptet hatte.
Aber, statt wie angekündigt, der Regierung wegen der auslaufenden Beschäftigungsgarantie oder der Schließung ganzer Wirtschaftszweige einen heißen Sommer, Herbst oder Winter zu bereiten, gingen und gehen sie auf die Ausländer und Asylanten los.
Von Scheinasylanten und Wirtschaftsflüchtlingen. Die Angst der Ossis vor den Ausländern
Ergebnis der Wiedervereinigung war eine gespenstische Situation. Die selbstverschuldete Enttäuschung verschaffte sich im klassischen Mobverhalten Luft, denn statt den nur aus dem Geschichtsunterricht bekannten Klassenkampf mal auszuprobieren, was seit Einzug kapitalistischer Verhältnisse die erste sinnvolle Betätigung gewesen wäre, haben die Ossis nach einem Sündenbock gesucht und ihn schließlich auch gefunden. Am 7. April 1991 forderte der im Osten tobende Hass auf Ausländer sein erstes bekanntgewordenes Todesopfer, als der Mosambikaner Jorge Gomondai in Dresden zusammengeschlagen und aus der Straßenbahn geworfen wurde. Hoyerswerda und Rostock waren seither nur die pogromartigen Höhepunkte, die Highlights einer nur schwer auseinanderzuhaltenden Einheitsfront von Ossis und Rechtsradikalen, von übriggebliebenen Nazis, Parteispießern und jugendlichen Schlägern, eines Mobs auf Bündnissuche nach der Elite, die ihn nicht bloß vor der Öffentlichkeit in Schutz nimmt, nicht bloß entschuldigt, bedauert und als unschuldiges Opfer präsentiert, was die zu Posten und Ämtern gekommenen ehemaligen Pflugscharenoppositionellen seitdem ja auch tun, sondern die endlich seine Führung übernimmt, um seine ungezügelte Mordlust in geordnete Bahnen zu lenken.
In Sachen Vorurteil wollte man sich vom Westen nichts vormachen lassen; das ist ihnen auch bemerkenswert gut gelungen.
Verunreinigte Grünflchen gehen den Ossis im Osten gerade mal wieder „schwer an die Nieren“, und die unerträglichen sanitären Zustände steigern ihr Herzinfarktrisiko, als ob sie wegen hygienischer Probleme mit ihren eigenen Toiletten besonders dazu verpflichtet seien, die Klos anderer zu inspizieren. Statt den Ausländern menschenwürdige Wohnmöglichkeiten zu gewähren, wie sie den Ossis nach ihrer Flucht aus der DDR zugebilligt wurden, vertreiben sie die Ausländer erfolgreich aus ihren Städten und Gemeinden.
Verfolgten aus den ehemals sozialistischen Bruderländern, wie den Sinti und Roma aus Rumänien, wollen sie kein Asyl gewähren, hielten sich aber selbst einmal für Verfolgte und nahmen als tatsächliche Scheinasylanten das ihnen überhaupt nicht zustehende Recht wie selbstverständlich in Anspruch. Als Wirtschaftsflüchtlinge beschimpfen sie die Opfer von Regimen, über deren repressive Qualität gerade doch die Ossis am besten Bescheid wissen müssten, gaben sie doch selbst das beste Beispiel für einen Wirtschaftsflüchtling ab. Als »Störfaktor in den zwischenmenschlichen Beziehungen« gelten dem Ossi die Ausländer, während er nichts dabei fand, Familie und Freunde bei der nächsten Stasidienststelle zu verpfeifen.
Jagd auf Betrüger?
Weil Asylbewerber in den Augen der Ossis unberechtigterweise Sozialhilfe beziehen, halten sie es für legitim, diese zu malträtieren. Betrug schreien sie, derweil sie beim Begrüßungsgeld ihre Kinder mehrere Male losschickten, um abzukassieren, und ihnen bei der Währungsunion das Zehnfache ihres Spielgeldes in den Rachen gestopft wurde. Wäre die Höhe des der Volkswirtschaft dadurch entstandenen Schadens ein Freibrief für die Jagd auf die Betrüger, würde sich wahrscheinlich jede weitere Beschäftigung mit den Ossis erübrigen.