Vielen Dank für die Einladung, einen Beitrag leisten zu dürfen (am 30. August 2015) zur Sommerpredigtreihe „Bild und Glaube“. Es ist nicht alltäglich und nicht selbstverständlich, dass ein Vertreter des „Regnum“ in den heiligen Hallen des „Sacerdotiums“ das Wort ergreifen darf.
Der Anlass, aber auch der Ort, regen an zu einer Reflexion über ein altes, großes und immer wieder aktuelles Thema: Das konfliktreiche Verhältnis von Kunst und Kirche.
Denn gerade in Heiliggeist ist ja im Jahre 1986 diesem spannungsreichen Verhältnis ein eigenes, Heidelberger Kapitel hinzugefügt worden. 〉〉Die Entwürfe des rennomierten Glaskünstlers Johannes Schreiter, die tumben Gremiumsstreites wegen nicht realisiert wurden; und der Rausriss des zu Probe eingenauten Physikfensterst konnte von streibarem Schreiter-Befürworter an Hl. Geist gerade noch verhindert werden. gott〈〈 Auch die katholische Kirche lieferte zuletzt ihrerseits 2007 einen Aufreger mit Kardinal Meisners Einlassungen zu Gerhard Richters Glasfenster im Kölner Dom. Wenn ich nun von Kunst spreche, so beziehe ich mich auf die bildende Kunst, hauptsächlich auf die Malerei. Darstellende Kunst und Musik sollen heute außer Betracht bleiben.
Die Wurzeln des Konflikts – Grundsätzliches
Niemand, der sich dem Thema Kunst und Kirche nähert, kommt an einem zentralen Gebot des Alten Testaments vorbei. Wir haben es gerade in der Lesung gehört: 2. Buch Mose, Kapitel 20, Vers 4-5 – Du sollst dir kein Bildnis machen. In der Übersetzung Luthers heißt es da: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!“
Gleichzeitig ist das Alte Testament aber auch voll von Metaphern für Gott: Gott ist Schild (Psalm 3,4 oder 7,11). Gott ist Burg (Psalm 9,10 oder 18,3).
In Abwandlung eines Bonmots des Denkers und Filmemachers Alexander Kluge könnte man sagen: je näher man eine Sache, hier ein Gebot, betrachtet, desto ferner blickt es zurück. Johannes Goldenstein vom „Projektbüro Reformprozess“ der EKD hat in einer Handreichung jüngst versucht, dieses Spannungsverhältnis gedanklich zu fassen und aufzuheben: der Glaube komme vom Wort, vom Hören. Der Glaube lebe aber auch von sinnlicher Erfahrung, von der Anschauung; er habe mit ‚erleuchteten Augen des Herzens‘ zu tun und mit der Erfahrung, dass man die Freundlichkeit Gottes sehen könne.
Die historische Perspektive
Vor diesem Hintergrund prägte in historischer Perspektive der Wechsel von radikalen Bilderverboten und wirkungsvollem Bildgebrauch die Beziehung von Christentum und bildender Kunst von Anfang an. Ich erinnere an das Bilderverbot der Kirchenväter, das zunächst wohl als Reaktion auf die antiken Bildkulte zu verstehen ist und an jüdische Traditionen anknüpft.
Im Dienst der gesellschaftlich gefestigten, jungen Kirche tritt dann das Kultbild wieder in Erscheinung. Erneute Phasen der Bilderverneinung prägen das 8. und 9. Jahrhundert, die Epoche der Reformorden, die wiederum abgelöst wurde durch die Malerei der Romanik ab dem 12. Jahrhundert.
Dann die Reformation. Hier finden wir zum einen die radikale Sichtweise von Calvin und Zwingli, die im 16. Jahrhundert die Bilder ganz aus den Kirchen verbannten. In den Worten des Generalsekretärs des Reformierten Bundes, Achim Detmers: „Calvin hat gesagt, dass das Endliche nicht das Unendliche fassen kann. Ein Bild kann die Unendlichkeit Gottes nie abbilden, und das müssen wir uns immer wieder bewusst machen, weil wir sonst Gott kleiner machen als er ist. Wir machen ihn zu einem Götzen.“
Martin Luther wiederum war kein Bilderstürmer. Zwar heißt es in seiner Predigt anlässlich der Einweihung der Schlosskapelle in Torgau am 5. Oktober 1544: „Dass nichts anders darin geschehe, denn dass unser lieber Herr selbs mit uns rede durch sein heiliges Wort und wir wiederumb mit jm reden durch Gebet und Lobgesang.“ Luther erkannte aber auch den pädagogischen Wert von Bildern: „Missbrauch und falsche Zuversicht an bilden habe ich alle zeit verdampt (….) Was aber nicht misbrauch ist, habe ich ymer lassen und heissen bleiben und halten, also das manns zu nützlichem und seligem brauch bringe.“
Der nächste Umschwung kam mit dem Barock – eine wahre Bilderflut, auch zum Zweck der Glaubensvermittlung. Gerade hier hatte die Kunst eine explizite Funktion im Dienst des katholischen, kirchenpolitischen Programms der Gegenreformation. Kunst hatte sich also bis dahin ganz selbstverständlich als Medium für eine bestimmte Botschaft einsetzen lassen. Sie hatte dienende und didaktische Funktionen wahrzunehmen, als Magd der Theologie.
Die Wege trennen sich
Das änderte sich im 19. Jahrhundert radikal. Anspruch und verbindliche Ikonographie der christlichen Bildtradition verloren ihre Bindungskraft. Ich zitiere Hegel: „Mögen wir die griechischen Götterbilder noch so vortrefflich finden, Gottvater, Christus, Maria noch so würdig und vollendet dargestellt sehen – es hilft nichts, unsere Knie beugen wir doch nicht mehr“. Friedrich Nietzsche sekundierte: „Gott ist und Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet!“ Aus den Gedanken der Aufklärung leitete sich das Postulat von der Autonomie der Kunst ab. Die Wege von Kunst und Kirche trennten sich.
Die Kirche reagierte auf die sogenannten „Gefahren der Moderne“, auf die „Entartung der Kunst“ oder auf die „Erosion der Sakralität“ mit Abschottung. Kirchliche Gebrauchskunst koppelte sich nach und nach von der aktuellen Kunstentwicklung ab oder schloss sich selber aus. Aus kirchlicher Sicht waren Aufklärung, Säkularisierung, Industrialisierung sowie die technische Welt schuld an der Entkirchlichung, dem Verfall der Sitten und der „Not der Seelen“. Die Entwicklung der Kunst diente in diesem Zusammenhang als sichtbarer Beleg für den Verlust des Maßes, des Glaubens und der Mitte. Autonomie der Kunst wurde verstanden als Schritt aus der christlich geprägten Bilderwelt in eine vermeintliche, als Niemandsland gedeutete Freiheit.
Auf weltlicher Seite begegnete ein intellektuelles Publikum den Erscheinungsformen christlicher Kunst seinerseits mit Skepsis. Künstler der Avantgarde ignorierten mögliche religiöse Zusammenhänge ihrer Arbeiten oder zogen sie von sich aus in Zweifel. Man ist sich einig, dass Kunst zwar nie losgelöst von bestimmten Kontexten und Zwecken existiert, dass sie aber doch in keiner gesellschaftlichen Funktion aufgeht. Hannah Arendt hat diesen Sachverhalt prägnant gefasst: die Werke der Kunst sind nicht dazu da, Bedürfnisse zu befriedigen oder eine gesellschaftliche Funktion zu erfüllen. Kunst bringt Werke von Dauer hervor, keine Objekte, die sich im Kreislauf von Produktion und Konsumtion verzehren.
Kunst, Gesellschaft und Kirche – Tendenzen eine Wiederannäherung?
Die Trennung von Kunst und Kirche ist heute, zu Anfang des 21. Jahrhunderts, so weit vorangeschritten, dass sie kein Thema mehr ist. Bei uns ist die Freiheit der Kunst in Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert.
Und doch: zum einen gibt es „diesseits und jenseits der Kunst“, wie es der Kölner Theologe Alex Stock formulierte, immer noch Leute, die das Knie beugen, sei es an einem Wallfahrtsort oder im Museum, die sich überwältigen lassen, von einem großen Moment an einem besonderen Ort.
Klaus Biesenbach, der Direktor der New Yorker Kunsthalle MoMa PS1, hat dieses Phänomen so beschrieben: „Traditionell gehen Menschen in die Kirche, um Offenbarung über Wahrheit und Glauben, ihre eigene persönliche Entscheidungsfreiheit und ihr Verhalten, ihr Leben zu erlangen. Traditionell gehen Menschen ins Museum, um sich glanzvolle Architektur und Bilder anzuschauen. Heutzutage gehen viele Menschen in ein Museum, um Offenbarung, Reflexion, Inspiration und Einsichten jenseits ihres täglichen, direkten Erfahrungsraums zu erhalten. Viele Kirchen werden besucht, um ihre glanzvolle Architektur und ihre Bilder zu betrachten. Kunst hat parallel zu dem Bedeutungsverlust von Religion in vielen Bevölkerungsgruppen eine Rolle übernommen, der das Erhabene, Sublime, Wahre und Schöne, das Erhellende und Transzendente zugewiesen wird“.
Und noch etwas kommt hinzu: die Wiederentdeckung der Spiritualität in der modernen Kunst, auf die der frühere Präsident der Bayerischen Akademie der schönen Künste, Wieland Schmied, bereits Anfang der 1980er Jahren hingewiesen hatte. Gemeint ist die Abkehr von jenen „orthodoxen Ästheten“, deren Begriff der Moderne darauf hinauslief, dass moderne Malerei angeblich nur noch ihre eigenen Mittel – Farbe, Formen, Umriss – reflektiert. Gegen die über weite Strecken des 20 Jahrhunderts herrschende Meinung, dass einzig die Idee der Innovation, die Einführung und Erprobung immer neuer künstlerischer Medien und Materialien die Leitlinie der Entwicklung der modernen Kunst sei, wird die Spiritualität gesetzt, die uns ins Zentrum aller Kunst führe. „Nur von der Erkenntnis ihrer Spiritualität her wird sich die Kunst unseres Jahrhunderts (gemeint ist das 20. Jahrhundert) in ihrer Substanz, wie in ihrer Qualität, wie in ihrer Fülle ganz erschließen“, so Wieland Schmied.
Beobachtungen und Befunde aus theologischer und künstlerischer Perspektive
Diese finden ihre Entsprechungen in aktuellen soziologischen Gesellschaftskonzepten, bei denen Bezüge zur Alltags- und Stadtkultur besonders hervortreten und die den Zusammenhang von gesellschaftlichem Wandel und kulturellen Prozessen analysieren.
Hier ist zunächst die Untersuchung von Gerhard Schulze „Die Erlebnisgesellschaft“ von 1992 zu nennen. Der Titel wurde zum Schlagwort und zum Begriff. Schulze fasst die mentalen und personalen, die gruppenspezifischen und kulturrelevanten Veränderungen zusammen, die sich aus dem Wertewandel der 60er und 70er Jahre, nach dem Entstehen neuer sozialer und kultureller Bewegungen und nach der radikalen Diesseitsorientierung als Reaktion auf den Verlust (oder Verzicht) utopischer Gesellschaftsentwürfe ergeben haben. Selbstentfaltungswerte gewinnen dabei gegenüber den traditionellen Akzeptanz- und Pflichtwerten an Gewicht. Der Erlebniswert bestimmt das Geschehen beim Kauf, wie bei der Partnerwahl, in der Freizeit, wie bei der Wahl des Lebensstils und der Gruppenzugehörigkeit.
In seiner 2013 erschienenen Studie „Die Erfindung der Kreativität – zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung“ arbeitet der Soziologe Andreas Reckwitz heraus, dass der zentrale gesellschaftliche Wandel der letzten 30 Jahre nicht technologischer sondern kultureller Natur sei. Eine neue, wachsende Berufsgruppe, die „creative class“, habe ein „kreatives Ethos“ hervorgebracht, das nicht allein ein privates Modell der Selbstentfaltung sei – getreu dem Wunsch ‚ich will kreativ sein‘. Übertragen auf die Anforderungen der Arbeits- und Berufswelt heißt das dann durchaus bedrohlich: du musst kreativ sein!
Die „kreative Klasse“ suche den Reiz des permanenten Neuen in Kunstevents, in Medienangeboten und ähnlichen ästhetischen Innovationen. Ästhetisch orientierte Lebensformen führten aber nicht ins Paradies. Die Kehrseite sei gekennzeichnet durch
einen „Leistungszwang zur Kreativität“ sowie durch eine zunehmende „Aufmerksamkeitszerstreuung“ und eine „Ästhetisierungsüberdehnung“.
Was dagegen hilft – vielleicht eine gesunde „Skepsis gegenüber dem Mythos des Neuen“ oder eine Kultur- und Alltagsästhetik der Wiederholung, die sich vom Aktivismus des Neuen distanziert?
Die Kirche in der Welt – soll sie im Dorf bleiben?
Tief im Weltlichen angekommen bleibt die Frage offen: Wo bleibt hier die Kirche? Die skizzierten gesellschaftlichen Entwicklungen kreuzten sich mit innerkirchlichen Impulsen. 1980 anerkannte Papst Johannes Paul II in einer Rede im Münchner Herkulessaal für die katholische Kirche erstmals die Autonomie der Kunst: „Diese Autonomie ist, recht verstanden, kein Protest gegen Gott und gegen die Aussagen des christlichen Glaubens; sie ist vielmehr der Ausdruck dessen, dass die Welt Gottes eigene, in die Freiheit entlassene Schöpfung ist, den Menschen zur Kultur und Verantwortung übergeben und anvertraut.“ Diese Aussage eröffnete die Aussicht auf eine neue Beziehung zwischen Kunst und Kirche, eine Beziehung der Zuwendung, der Öffnung, des Dialogs.
Ähnlich argumentiert das Memorandum des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland von 1993 zum Verhältnis von Kirche und bildender Kunst der Gegenwart. Dort heißt es: „Bildende Kunst von Rang ist jedoch weniger schmückendes Beiwerk, als vielmehr seismografischer Hinweis auf Aspekte der Gegenwart. Solche authentische Kunst regt an zu Reflexion und Interpretation, befruchtet den Dialog mit dem christlichen Glauben.“
Ausstellungen
Zahlreiche Ausstellungsprojekte knüpften in der Folgezeit daran an: „Luther und die Folgen für die Kunst“ Hamburg 1983; „Beyond Believe. Modern Art and The Religious Imagination“ Melbourne 1998 oder Iconoclash – Jenseits der Bilderkriege in Wissenschaft, Religion und Kunst, 2002 im ZKM Karlsruhe.
Aus der öffentlichen Resonanz auf diese Ausstellungen lässt sich vielleicht als Grundtenor ableiten, dass in Bildern, die Eingang in die Museen gefunden haben die unmittelbare Inspiration durch die christliche Religion eher schwach geblieben ist. Es scheint, als habe sich die christliche Ikonographie als künstlerisches Material erschöpft, im Sinne des Ausschöpfens aller künstlerischen Möglichkeiten. Die aktuelle Verwendung von Aufnahmen und Zitaten aus der christlichen Bilderwelt in der Kunst scheint eher in Richtung auf eine Kollision und Durchkreuzung überkommener Motive zu weisen. Es ist noch nicht entschieden, in wie weit vom Christentum inspirierte Kunst auch in Zukunft lesbar und damit für ein breiteres Publikum entschlüsselbar bleibt.
Fazit
Hier liegen für mich Herausforderungen und Chancen für das Themenjahr 2015 „Reformation – Bild und Bibel“. Der Vizepräsident des Kirchenamts der EKD, Thies Gundlach, geht mit Optimismus ans Werk, wenn er daran erinnert, dass es in der Theologie vor nicht allzu langer Zeit einen „ästhetischen Turn“ gegeben habe – weg vom reinen Wort Gottes, hin zur Wahrnehmung der Wirklichkeit unter ästhetischen Gesichtspunkten. Etwas vorsichtiger formuliert der Marburger Theologe Thomas Erne: „Kunst wird nicht dadurch religiös, dass sie sich christlicher Symbole bedient. Die Religion wird nicht dadurch zur Kunst, dass sie religiösen Sinn in Zeichen darstellt.“
Anknüpfend an Hannah Arendt möchte ich aus weltlicher Sicht betonen: über allem steht aber die Autonomie der Kunst, wie es der japanische Künstler Tatzu Nishi, der in Münster studiert hat, einmal prägnant formulierte. Ihm sei deshalb das letzte Wort überlassen: „Ein Künstler widmet sich Unternehmungen, die für die Gesellschaft keinerlei Nutzen zu haben scheinen, um ihr fortlaufend andere Perspektiven zu eröffnen. Vielleicht ist das die Aufgabe der Kunst und des Künstlers – uns über die Bedeutung der Freiheit in unserer Gesellschaft zu unterrichten.“