Flüchtlinge aus „sicheren Herkunfts- und Transitländern“ – also praktisch allen Nachbarländern Ungarns – sollen als „Eindringlinge“ klassifiziert und umgehend abgeschoben werden können. Asylverfahren werden damit quasi abgeschafft, – völkerrechtswidrig. Außerdem tauchten Pläne für eine Sperranlage mit Stacheldraht auf – der Eiserne Vorhang kehrt zurück.Ungarns Grenzzaun ist nach Regierungsangaben am Sonntag fertiggestellt worden. Budapest will damit Flüchtlinge fernhalten, die über Serbien kommen. Der Zaun ist nichts weiter als ein innenpolitisches Manöver von Premier Viktor Orbán, meinen einige Kommentatoren. Andere glauben, dass Ungarn sich mit seiner Abschottungspolitik vor allem selbst schadet.
Der Standard – Österreich
Orbán schlachtet Flüchtlingskrise aus
Ungarns Regierungschef Viktor Orbán nutzt die Flüchtlingskrise, um mit Grenzzaun und neuem Gesetzespaket eine noch rechts-autoritärere Politik zu rechtfertigen, meint die linksliberale Tageszeitung Der Standard: „Für Orbán ist die Flüchtlingswelle durch sein Land kein soziales, polizeiliches und europäisches Problem, sondern der Kriegsfall schlechthin. ‚Masseneinwanderer greifen Ungarn an‘ – das ist der Tenor der amtlichen Propaganda. Der Kriegsfall ruft nach dem Notstand. Orbán wird aber den ‚Masseneinwanderungsnotstand‘ – so definiert im Gesetzespaket – nicht nur dazu nutzen, um die schutzlosen Migranten noch mehr zu quälen, sondern vor allem auch dazu, die demokratischen Rechte seiner eigenen Bürger weiter abzubauen. An dem unheimlichen Treiben Orbáns trägt auch die EU Schuld, die schon auf den bisherigen Demokratieabbau nur kleinlaut reagierte. Das Fehlen einer europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik gibt dem ungarischen Autokraten anscheinend freie Hand.“ (31.08.2015)
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Szuverén – Ungarn
Abschottung ist schädlich für Ungarn
Mit der Errichtung des Grenzzauns zur Abwehr von Flüchtlingen hat sich das neurotisch selbstbezogene Ungarn weiter von der Welt abgeschottet, meint der Blogger Domonkos Sik auf dem Blogportal Szuverén: „Eine solche Einigelung ist in einer globalisierten Welt kontraproduktiv. Diese Abschottung hat zu einem verzerrten Selbstbild geführt, das sich aus historischen Ungerechtigkeiten, einem Gefühl des Opferdaseins, der Ausbeutung und des unentwegten Nachholbedarfs speist. Hinzu kommt eine Ignoranz und ein Unverständnis gegenüber der Außenwelt. Solch eine kollektive Identität manifestiert sich nicht bloß in einer gesellschaftlichen Neurose, sondern engt auch den politischen und wirtschaftlichen Bewegungsspielraum der Individuen ein: Die Politik verliert ihre Fähigkeit, dem Land Ziele zu geben, die über die materielle Reproduktion hinausreichen. Die Wirtschaft wiederum verliert ihr Innovationspotenzial.“ (28.08.2015)
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Le Monde – Frankreich
Osteuropa muss Solidarität lernen
Dass sich osteuropäische Staaten wie Ungarn lieber verbarrikadieren als Flüchtlinge aufzunehmen, sieht die linksliberale Tageszeitung Le Monde in ihrer Geschichte begründet: „In ihrer Gewalt hat die Migrationskrise den osteuropäischen Ländern mehrere verborgene Wahrheiten enthüllt. Sie haben aus der Zeit des Nationalsozialismus und später des Stalinismus entweder eine ethnische und religiöse Einheitlichkeit geerbt, die sich stark von der Durchmischung westeuropäischer Gesellschaften unterscheidet oder ein konfliktreiches Verhältnis zu den Minderheiten, die ihnen aufgezwungen wurden. … Das haben sie noch nicht verdaut. Durch ihren EU-Beitritt konnten sie im Namen der europäischen Solidarität hunderte Milliarden Euro aus dem Kohäsionsfonds erhalten, doch sie haben vergessen, dass Solidarität nicht nur in eine Richtung geht. Die Zeit ist gekommen zu zeigen, dass ganz Europa diese Werte teilt. Wird dieses schmerzhafte Erwachen heilsam sein? Das ist der wahre Test für Europa.“ (30.08.2015)
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La Libre Belgique – Belgien
EU in Flüchtlingsfrage erschreckend unfähig
Die Innenminister Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands haben am Sonntag in Paris für eine gemeinsame europäische Asylpolitik und schnellere Verfahren plädiert. Unter anderem forderten sie, Aufnahmestellen in Italien und Griechenland einzurichten und EU-weit festzulegen, welche Länder als sichere Herkunftsstaaten gelten. Der EU mangelt es dennoch an Entschlossenheit, kritisiert die Tageszeitung La Libre Belgique: „Die derzeitige Flüchtlingskrise ist sicher die schlimmste seit dem Zweiten Weltkrieg. Dennoch erschreckt einen die Unfähigkeit, gepaart mit dem Unwillen der meisten europäischen Politiker, sie zu meistern. Wie ist zu erklären, dass ein demokratisches, wirtschaftlich hoch entwickeltes Gebilde von 560 Millionen Einwohnern sich als derart ratlos und ungeeignet erweist, 300.000 Personen aufzunehmen? Man kann gar nicht oft genug daran erinnern, dass die meisten von ihnen vor der furchtbaren Situation in Syrien und im Irak, vor der brutalen Diktatur in Eritrea oder dem afghanischen Chaos fliehen.“ (30.08.2015)
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Sme – Slowakei
Osteuropas Scheinargumente gegen Migranten
Der slowakische Premier Robert Fico hat am Wochenende einen EU-Afrika-Gipfel zur Frage der Migration gefordert. Die Gründe für die Migration müssten in den Herkunftsländern der Flüchtlinge beseitigt werden. Die liberale Tageszeitung Sme nennt diese These, die auch gern in anderen osteuropäischen Ländern aufgestellt werde, verlogen: „Sie wird von denen benutzt, die zu Hause, wo sie es könnten, keinen Finger im Interesse der Flüchtlinge rühren. Dabei kann nicht einmal Obama, der vielleicht die Mittel hätte, etwas in Syrien, Libyen oder dem Irak tun. Die Vorstellung, dass Europa die Lage im Nahen Osten regelt, ist haarsträubend. Die Behauptung, ein Euro in den Herkunftsländern habe einen größeren Effekt als zehn Euro, die in die Beseitigung der Folgen investiert werden müssten, ignoriert, dass Milliarden an Entwicklungshilfe in Afrika irgendwo versickert sind. Hier geht es um nichts anderes, als um einen ideologischen Schutzschild der Osteuropäer gegen die Forderungen Deutschlands oder Österreichs nach elementarer Solidarität in der Flüchtlingsfrage.“ (31.08.2015)
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La Repubblica – Italien
London kann jetzt sein EU-Modell durchsetzen
Die britische Regierung fordert ein Ende der Personenfreizügigkeit in der EU. Künftig solle sich nur in Großbritannien ansiedeln dürfen, wer bereits Arbeit hat, erläuterte Innenministerin Theresa May am Sonntag. Die Londoner Forderung könnte Schule machen, warnt der britische Journalist John Lloyd in der linksliberalen Tageszeitung La Repubblica: „Die ablehnende Haltung gegenüber Migranten wächst. Dies ist für die britische Regierung die beste Gelegenheit, eine Einigung in der Migrationsfrage und eine Veränderung der EU-Regeln zu erzielen. London tritt für Änderungen ein, die jetzt alle Länder beginnen, in Betracht zu ziehen. Maßnahmen, die nicht nur verstärkte Grenzkontrollen beinhalten, sondern zugleich der extremen Rechten Einhalt gebieten sollen. … Großbritannien hat seit über 40 Jahren eine Sonderstellung in der EU, nämlich die des bösen Buben. Doch jetzt wächst es fast in die Rolle eines Wortführers hinein, der Vorkehrungen verlangt, die die anderen Länder zwar als undenkbar einstufen, doch de facto gezwungen sein könnten, in Erwägung ziehen zu müssen.“ (31.08.2015)
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