11214322_525554944269214_8396808135244195189_nDiese Anthologie vereint literarische und autobiografische Kindheitserinnerungen von insgesamt 28 Autoren aus Polen und Berlin-Brandenburg. In Gedichten, Kurzgeschichten, Romanauszügen und Biografien erleben die Leser vielschichtige Innen- und Außenwelten – aufgefächert in Hoffnungen, Visionen, Verwandlungen und Lasten, jeweils im Spiegel der Lebenszeit der Autoren, vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute. Autoren, die mit unterschiedlichsten künstlerischen Verarbeitungsweisen der als Kind erlebten Zwänge und Befreiungsversuche zeitliche und räumliche Grenzen überschreiten.


Anlass zu diesem Band ist das 25. Jubiläum des Literatur-Kollegiums Brandenburg e. V. Anregung gaben deutsch-polnische Lesungen in der Literaturwerkstatt. Schließlich kam es zu dem Abenteuer, ein brandenburgisch-polnisches Netzwerk zu bilden und somit auch sprachliche Grenzen zu überwinden.

Die Texte in dieser Sammlung erzählen von Versuchen, Auswege aus dem Dornengestrüpp der Kindheit zu finden; von der Suche nach Antworten auf bisher nie gestellte Fragen, nach einem Platz im Leben, nach Elternliebe; von Flucht und Heimatverlust, der Prägung durch Kriegstraumata; von Vätern und Onkeln, die Schuld auf sich luden; von der Angst, weggegeben zu werden; vom Weg aus dem Dorf in die Großstadt; von prägenden Orten, Landschaften und neuen Dingen wie dem Farbfernseher; vom Wandel der Sitten und Gebräuche; von einer Freundschaft; von der ersten Liebe; vom Missbrauch und vom Ringen um Worte. Sie sind als Momentaufnahmen individueller Erfahrungen ein einmaliges Vermächtnis.

Erinnern ist ein Zurückgehen zu den Wurzeln eigener Wahrnehmung, zu verschwommenen oder überscharfen und übergroßen Bildern, zu längst vergangenen Stimmen, Geräuschen, Gerüchen, Schatten, Berührungen, zu Bildern aus der Dunkelheit. Literatur kann diese Fülle aufbewahren und die Spuren deuten. Dieses Buch ermöglicht ein Nachspüren des Kindseins; zu hören und zu sehen, was Erwachsene nicht mehr hören und sehen; das Träumen im Wachen, das erste Denken. Es wird facettenreich erzählt, manchmal ironisch oder fantastisch, experimentell oder märchenhaft, manchmal sozialrealistisch oder aufklärerisch gefärbt. Die Texte erscheinen behutsam und berührend, aber auch voller Spannung, Leidenschaft und Humor. Nie wieder gab es so viel Neues, Hoffen und Bangen. Und auch Zerstörung, Zerfall – die erste Ohrfeige, die erste Trennung, die harte Arbeit, der frühe Tod. Manchen Texten haftet ein tiefer Schmerz an. Verwurzeln und Entwurzeln, Werden und Vergehen liegen noch nah beieinander. Eingegraben in die Erinnerung reicht die magische Kraft der Kindheit in unser Leben hinein – eine Kraft, von der wir lebenslang zehren.

Diese Anthologie verbindet Menschen unterschiedlicher Herkunft und fördert den Austausch über Vergangenes und Gegenwärtiges, über die Grenzen hinweg. Zum zweisprachigen Mitlesebuch finden Lesungen mit Gesprächen in Polen und Deutschland statt. Mit der Sicht auf verschiedenste Kindheiten, mit dem Blick auf das Besondere, Wertvolle, Unverwechselbare und dem Ziel, Fremdes und Eigenes mit neuen Augen zu sehen, ist dieser Band ein wichtiger Beitrag zum Verstehen und zur Versöhnung.

Heinrich von der Haar

Dzieciństwo w Polsce – Dzieciństwo w Niemczech / Kindheit in Deutschland – Kindheit in Polen.

Hg. von Heinrich von der Haar im Verlag Heidi Ramlow, 2015.

Ca. 300 S., 12 €, ISBN 978-3-939385-08-0.

Aug. 2015 | Allgemein, Buchempfehlungen, Junge Rundschau | Kommentieren