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Quo vadis, Europa?

Im Tagesspiegel beschreibt [1] der Autor Kostas Kalfopoulos die aufgeheizte Stimmung unter Griechenlands Intellektuellen, die „Züge eines Bürgerkriegs“ angenommen habe: „Den Gegner dämonisieren, das Übel leichten Herzens personifizieren – dies ist eine griechische Spezialität. Das Böse muss einen Namen tragen. Wolfgang Schäuble. Jeroen Dijsselbloem. Oder Christine Lagarde vom IWF, den Varoufakis als ‚kriminelle Bande‘ bezeichnete. An Stelle des Anti-Amerikanismus der sechziger und siebziger Jahre ist der Anti-Germanismus getreten, der womöglich markanteste Paradigmenwechsel in der modernen griechischen Geschichte. Nüchterne Stimmen, sachliche Argumente – alles Fehlanzeige.“

Im NZZ-Interview mit Barbara Spengler-Axipoloulos beklagt [2] die Schriftstellerin Soti Triantafillou den Starrsinn von Syriza: „Die Regierung Tsipras besteht aus einer Gruppierung von Politikern, die alten kommunistischen Parteien entstammen: der moskauorientiert KKE und den Eurokommunisten. Damals setzte Syriza sich für die Trennung von Kirche und Staat ein, propagierte die staatliche Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften und andere soziale Reformen, die in die Moderne weisen. Heute ist es mir unmöglich, Syriza-Politiker mit Sympathie zu betrachten. Ich denke, dass sie die Regeln der Demokratie nicht respektieren und ihre Methode eine des Taktierens und des Manipulierens ist. Diese Menschen leben in einer Parallelwelt. Zudem leiden in dieser Regierung einige Mitglieder an Paranoia.“Alexis Tsipras‘ Bewunderer (in Frankreich sind das Marine Le Pen und der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon) sprachen nach dem griechischen Referendum von einem „Sieg der Demokratie“. Nein!, ruft [3] Bernard-Henri Lévy in seiner jüngsten Kolumne und untersucht Tsipras‘ Argumente für das Referendum: „Unser Plan war ja nicht, mag Tspiras einwenden, das Volk zu konsultieren, sondern uns der Konsultation zu bedienen, um den Kampf mit unseren Partnern auszutragen, die die Frechheit hatten, uns auf den Weg des Rechtsstaats und der sozialen Gerechtigkeit zu drängen und auf Abschaffung der Privilegien für Reeder und des Klerus zu beharren. Mag sein. Aber von was für einer Demokratie sprechen wir hier? Ist die Europäische Union nicht jener befriedete Raum, in dem wir nach und nach gelernt haben, uns von dieser dummen Logik des Kampfes zu lösen und sie durch jene der Verhandlung und des Kompromisses zu ersetzen?“(Via Spiegel online [4]). Eine Reihe führender Ökonomen um Thomas Piketty (Joseph Stiglitz und Paul Krugman fehlen allerdings) ruft die Königin von Europa in einem in The Nation publizierten Appell [5] auf, den Griechen das Geld zu erlassen, das die europäischen Steuerzahler ihnen bisher geliehen haben (sie sprechen dagegen von „finanziellen Forderungen, die die griechische Ökonomie erdrückt haben“). Andernfalls drohen sie mit der Apokalypse: „Zusammen mahnen wir die Kanzlerin Merkel und die Troika, eine Kurskorrektur in Betracht zu ziehen, um ein weiteres Desaster zu vermeiden und Griechenland einen Verbleib in der Eurozone zu gestatten. Im Moment wird die griechische Regierung aufgefordert, sich eine Pistole an die Schläfe zu halten und abzudrücken. Traurigerweise wird die Kugel nicht nur die griechische Zukunft in Europa zerstören. Die Eurozone, dieses Leuchtfeuer der Hoffnung, der Demokratie und des Wohlstands, würde ebenfalls ermordet, und das könnte weltweit zu weitreichenden Konsequenzen führen.“