Im Tagesspiegel beschreibt der Autor Kostas Kalfopoulos die aufgeheizte Stimmung unter Griechenlands Intellektuellen, die „Züge eines Bürgerkriegs“ angenommen habe: „Den Gegner dämonisieren, das Übel leichten Herzens personifizieren – dies ist eine griechische Spezialität. Das Böse muss einen Namen tragen. Wolfgang Schäuble. Jeroen Dijsselbloem. Oder Christine Lagarde vom IWF, den Varoufakis als ‚kriminelle Bande‘ bezeichnete. An Stelle des Anti-Amerikanismus der sechziger und siebziger Jahre ist der Anti-Germanismus getreten, der womöglich markanteste Paradigmenwechsel in der modernen griechischen Geschichte. Nüchterne Stimmen, sachliche Argumente – alles Fehlanzeige.“
Im NZZ-Interview mit Barbara Spengler-Axipoloulos beklagt die Schriftstellerin Soti Triantafillou den Starrsinn von Syriza: „Die Regierung Tsipras besteht aus einer Gruppierung von Politikern, die alten kommunistischen Parteien entstammen: der moskauorientiert KKE und den Eurokommunisten. Damals setzte Syriza sich für die Trennung von Kirche und Staat ein, propagierte die staatliche Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften und andere soziale Reformen, die in die Moderne weisen. Heute ist es mir unmöglich, Syriza-Politiker mit Sympathie zu betrachten. Ich denke, dass sie die Regeln der Demokratie nicht respektieren und ihre Methode eine des Taktierens und des Manipulierens ist. Diese Menschen leben in einer Parallelwelt. Zudem leiden in dieser Regierung einige Mitglieder an Paranoia.“Alexis Tsipras‘ Bewunderer (in Frankreich sind das Marine Le Pen und der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon) sprachen nach dem griechischen Referendum von einem „Sieg der Demokratie“. Nein!, ruft Bernard-Henri Lévy in seiner jüngsten Kolumne und untersucht Tsipras‘ Argumente für das Referendum: „Unser Plan war ja nicht, mag Tspiras einwenden, das Volk zu konsultieren, sondern uns der Konsultation zu bedienen, um den Kampf mit unseren Partnern auszutragen, die die Frechheit hatten, uns auf den Weg des Rechtsstaats und der sozialen Gerechtigkeit zu drängen und auf Abschaffung der Privilegien für Reeder und des Klerus zu beharren. Mag sein. Aber von was für einer Demokratie sprechen wir hier? Ist die Europäische Union nicht jener befriedete Raum, in dem wir nach und nach gelernt haben, uns von dieser dummen Logik des Kampfes zu lösen und sie durch jene der Verhandlung und des Kompromisses zu ersetzen?“(Via Spiegel online). Eine Reihe führender Ökonomen um Thomas Piketty (Joseph Stiglitz und Paul Krugman fehlen allerdings) ruft die Königin von Europa in einem in The Nation publizierten Appell auf, den Griechen das Geld zu erlassen, das die europäischen Steuerzahler ihnen bisher geliehen haben (sie sprechen dagegen von „finanziellen Forderungen, die die griechische Ökonomie erdrückt haben“). Andernfalls drohen sie mit der Apokalypse: „Zusammen mahnen wir die Kanzlerin Merkel und die Troika, eine Kurskorrektur in Betracht zu ziehen, um ein weiteres Desaster zu vermeiden und Griechenland einen Verbleib in der Eurozone zu gestatten. Im Moment wird die griechische Regierung aufgefordert, sich eine Pistole an die Schläfe zu halten und abzudrücken. Traurigerweise wird die Kugel nicht nur die griechische Zukunft in Europa zerstören. Die Eurozone, dieses Leuchtfeuer der Hoffnung, der Demokratie und des Wohlstands, würde ebenfalls ermordet, und das könnte weltweit zu weitreichenden Konsequenzen führen.“
08.Juli.2015, 11:48
Sofie Triantafillou, Kostas Kalfopoulos: Wenn man ein bisschen gräbt, will sagen: recherchiert, dann stößt man darauf, dass die sicherlich verdiente griechische Dame (anerkannte Schriftstellerin) dafür bekannt geworden ist, dass sie in einem Roman die USA als Land in den Himmel lobte. Und der griechische Herr, ebenfalls ein verdienstvoller Grieche (Journalist), schreibt vor allem für eine konservative griechischen Tageszeitung (Kathimerini). Das ist nun zweifellos alles okay, aber es macht auch deutlich, aus welcher grundsätzlichen Denktradition die harschen Verrisse der Regierung Tsipras im obigen Beitrag kommen.
Wenn dann auch noch der durchaus interessante, französische Philosoph Lévy (u.a.) ins Spiel gebracht wird, der Kant als einen wütenden Irren des Denkens bezeichnet haben soll und als scharfer Kritiker von Multinationalität und Multikulutralismus gilt… nun ja, er erwartet zudem von Europa mehr Patriotismus, wie er in den USA weit verbreitet sei….ja dann wird die Denktradition, aus der oben alles kommt, noch klarer.
Irgendwo zwischen konservativ, neoliberal und Neocon, wenngleich erfrischend unkonventionell, eigentlich alle drei, besonders aber Lévy.
Also lassen wir die Auseinandersetzung ruhig reifen, vielleicht kommt ja was dabei heraus.
Beste Grüße
Fritz Feder
Post festum: „Anti-Germanismus“ (siehe oben, der Griechen), ist nicht per se anti-deutsch. Die Griechen und Griechinnen haben so ihre historischen Erfahrungen mit „uns“. Ja. sie sind momentan wieder ein bisschen anti-germanisch!
Beste Grüße
Fritz Feder
08.Juli.2015, 15:09
Bernard-Henri Lévy … der „Kant als einen wütenden Irren des Denkens bezeichnet haben soll“ – da ist Levin insofern blamiert, als „BHL“ in (s) einem neuen Philosophie-Buch mit getürkten Zitaten eines (allerdings frei erfundenen) Kant-Kenners hereingefallen ist – Levy also in seinem neuen Buch und Sie Herr Feder in Ihrem Kommentar.
Die Journalistin Aude Lancelin vom Magazin „Nouvel Observateur“ zitiert genüsslich in einem Artikel, wie Lévy nach scharfen Kritiken an Hegel und Marx sich Kant als nächsten philosophischen Gegner zurechtlegt, ihn einen „wütenden Irren des Denkens, einen Rasenden der Begriffe“ nennt. Dabei habe ein Kant-Forscher namens Jean-Baptiste Botul nachgewiesen, dass Kant (in diesem Botul´schen Zitatein) „ein falscher Abstrakter sei, ein reiner Geist der reinen Erscheinung.“
Kurios aber in diesem Zusammenhang, dass auch der von BHL (mithin auch der von Herrn Feder) zitierte Kant-Forscher namens Jean-Baptiste Botul gefakt ist.
Hätte BHL doch (ordentlich?) gegoogelt! und die bei BHL umgeschrieben haben, auch.
08.Juli.2015, 16:05
Lieber Herr Faulmüller, ich war vorsichtig genug, zu schreiben:“…bezeichnet haben soll“ (wenngleich es auf Lévy schon gut passt). Und ich habe auch bewusst nicht Botul genannt.
Aber es ist halt einfach schön zu entlarven, selbst wenn die Larve gar nicht wirklich platzt. Dann wird´s halt passend gemacht.
Tja, die Hitze! Aber heute doch nicht so sehr! Oder?
Salue
Feder