parlament-in-athen-101~_v-videowebmDas Parlament in Athen hat in der Nacht zu Donnerstag die in Brüssel zugesagten Sparmaßnahmen beschlossen – allerdings ohne Regierungsmehrheit. Indes plädiert der IWF für einen Schuldenschnitt für Griechenland. Neue Milliardenschulden werden dem Land nicht aus der Krise helfen, stimmen einige Kommentatoren dem IWF zu. Andere loben die Entscheidung des Parlaments und drängen Athen, die erkaufte Zeit für Reformen zu nutzen.

To Vima Online – Griechenland
Regierung zum Wohle des Landes umbilden
32 Syriza-Abgeordnete haben in der Nacht zu Donnerstag im griechischen Parlament gegen die Reformen gestimmt, die Voraussetzung für ein drittes Hilfspaket sind. Das liberale Portal To Vima fordert von Premier Tsipras Konsequenzen: „Dem Verlust der Regierungsmehrheit im Parlament müssen sofortige Initiativen seitens des Premier folgen, damit der Prozess für das Abkommen mit unseren europäischen Partnern reibungslos verläuft. Die Opposition, die für das Abkommen gestimmt hat, gibt ihm mit ihrer Haltung Raum für solche Initiativen. Die notwendige Umbildung der Regierung wäre ein erster Schritt zur Wiederherstellung der Parlaments- und Regierungsnormalität. Das Land braucht eine Regierung, die mit einer Stimme spricht und sich mit den großen Problemen auseinandersetzen kann. … Der kritische Zustand der Wirtschaft macht es notwendig, den im Parlament erreichten Konsens zu bewahren.“ (16.07.2015)
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Politis – Zypern
Drei Jahre Zeit für Reformen
Für ein neues Sparprogramm zu stimmen, war richtig, meint die liberale Tageszeitung Politis, warnt jedoch, dass der Grexit damit noch nicht endgültig vom Tisch ist: „Der Verbleib in der Eurozone hat ein hartes Sparprogramm zur Bedingung, das viel härter ist als die vorherigen. Armut und Arbeitslosigkeit werden zunehmen, gleichzeitig verbleibt das Land in einem Raum geopolitischer und geostrategischer Stabilität. … Tsipras hat sich sehr richtig für den Euro entschieden, trotz der Schwierigkeiten. … Wir dürfen uns aber nichts vormachen. Durch dieses dritte Sparmemorandum ist ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone noch lange nicht ausgeschlossen. Griechenland bekommt neue Kredite und drei Jahre Zeit, damit es die notwendigen Reformen durchführt. Falls es dies nicht schafft, ist ein Austritt aus der Eurozone unvermeidlich.“ (15.07.2015)
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Neue Zürcher Zeitung – Schweiz
Der IWF entlarvt Europas Wunschdenken
Der Weckruf des Internationalen Währungsfonds ist wichtig, um in der Griechenland-Krise der unrealistischen und opportunistischen Politik der EU etwas entgegenzusetzen, lobt die liberal-konservative Neue Zürcher Zeitung: „Aus politökonomischen Gründen haben die Regierungen der Geberländer ein Interesse daran, weiter auf Zeit zu spielen, und zwar mindestens bis zum Ende der eigenen Amtsdauer. So gelingt es ja vielleicht, die langfristig wohl unausweichliche Schmach eines Schuldenschnitts hinauszuzögern und an die nachfolgende Regierung abzutreten. Also unterzeichnet man, wie am Montag geschehen, ein Abkommen, gemäss dem Griechenland während Jahrzehnten überraschend hohe Primärüberschüsse zu erzielen vermag und vom Schlusslicht wundersam zum Spitzenreiter in Sachen Produktivitätswachstum und Beschäftigungsquote innerhalb der Euro-Zone mutiert. Dass der IMF dieses Wunschdenken mit unbequemen Tatsachen herausfordert, ist nötig und begrüssenswert.“ (16.07.2015)
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La Stampa – Italien
EU leugnet Notwendigkeit des Schuldenschnitts
Der Internationale Währungsfonds hält Griechenlands Schulden in seinen jüngsten Einschätzungen für untragbar und plädiert für einen Schuldenerlass. Dieser ist die einzige Lösung, pflichtet die liberale Tageszeitung La Stampa bei: „Anstatt die Hilfen auf das Nötigste zu reduzieren, dafür aber klare und erfüllbare Bedingungen festzulegen, und einen Schuldenschnitt einzuleiten, hat Brüssel entschieden, neue großzügige Hilfspakete zu schnüren – zu Bedingungen, die am Rande des Unmöglichen sind. Denn ein Schuldenschnitt würde das Eingeständnis erfordern, dass die Schulden seit 2000 auch entstanden sind durch die Unvorsichtigkeit der Banken und anderer privater Gläubiger, die dann zum Teil entlastet wurden, indem Regierungen und internationale Regierungen – und damit die Steuerzahler – ihre Kredite übernommen haben. … Haben wir noch die Zeit und die politische Fähigkeit, die Einigung von Montag in irgendeiner Form zu korrigieren? Oder wollen wir weiter mit dem wirtschaftlichen, politischen und strategischen Risiko eines Griechenlandaustritts aus dem Euro spielen?“ (16.07.2015)
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Die Welt – Deutschland
Griechenlandkrise: Deutschland muss den Zuchtmeister spielen
Berlin hat vergangenes Wochenende in Brüssel zu Recht eine neue Rolle übernommen, findet die konservative Tageszeitung Die Welt: „Will Berlin den Geist der europäischen Verträge retten, will es verhindern, dass einzelne Mittelmeeranrainer aus der EU ihr vergrößertes Heimatland machen, will es Europa davor bewahren, in der Welt nun auch noch sein wirtschaftliches Gewicht zu verspielen, will es schließlich dafür sorgen, dass die Deutschen die Mitgliedschaft in der Europäischen Union weiterhin für einen Vorteil halten, dann bleibt Berlin nichts anderes übrig, als die Führung zuweilen offen zu übernehmen und zu zeigen, Europas Zahlmeister muss mitunter auch Zuchtmeister sein. Finanzminister Wolfgang Schäuble übernahm diese Rolle in Absprache mit seiner Kanzlerin. Nun wird er dafür attackiert. Der öffentliche Umgang mit der Kritik an ihm … zeigt übrigens, wie wenig Deutschland seiner neuen Rolle gewachsen und wie schwachbrüstig sein Selbstbewusstsein noch immer ist.“ (16.07.2015)
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REFLEXIONEN

El País – Spanien
José Ignacio Torreblanca über Schäubles und Varoufakis‘ Originalität
Statt ein weiteres Hilfspaket für Athen zu beschließen, hätte man kreativer vorgehen und neue Lösungen suchen müssen, kritisiert Politologe José Ignacio Torreblanca in seinem Blog Café Steiner bei der linksliberalen Tageszeitung El País: „Hätte die Eurozone einen Ideenwettbewerb ausgeschrieben, würden sich Wolfgang Schäuble und Yanis Varoufakis um die Goldmedaille streiten. Schäuble für seinen Vorschlag, Griechenland könne den Euro vorübergehend verlassen. … Und Varoufakis für sein nicht umgesetztes Vorhaben, die Zahlungsunfähigkeit Athens zu erklären, dabei aber im Euro zu bleiben und gleichzeitig eine Parallelwährung auszugeben, um den von der EZB diktierten Liquiditätsmangel zu umgehen. … Schäuble und Varoufakis waren die einzigen, die den (gescheiterten) Regelrahmen durchbrechen wollten. Doch am Ende setzten die Eurogruppe und Tsipras auf ein drittes Rettungspaket – was gleichbedeutend ist mit mehr Schulden, mehr Sparpolitik, mehr Reformen. Einstein soll gesagt haben, die Definition von Wahnsinn sei, zweimal das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. … Man muss kein Einstein sein, um zu wissen, dass es wahnsinnig ist, dreimal das Gleiche zu tun, um nun zu hoffen, dass es klappt.“ (16.07.2015)

Al Jazeera – Katar
Für Jan Keulen verblasst der Glanz der EU
Die Griechenlandkrise hat das Selbstverständnis der EU und ihr Image dauerhaft beschädigt, bedauert der niederländische Journalist Jan Keulen auf der Website des katarischen Nachrichtensenders Al Jazeera: „Jahrzehntelang war die EU ein Vorbild und wies sie den Weg für die Zusammenarbeit von souveränen Staaten, die an gemeinsamen Positionen zu Wirtschaft, Frieden und Krieg, Migration und Klima arbeiteten. … Die Emotionen und Streitereien, die durch die Griechenlandkrise aufgeworfen wurden, scheinen diese europäische Erfolgsgeschichte gänzlich zu überschatten. Europäische Regierungschefs benutzen die ganze Zeit Wörter wie ‚Vertrauen‘, ‚Einstimmigkeit‘, ‚Solidarität‘ und ‚geteilte Verantwortung‘. Es fehlt ihnen aber an Substanz. Die von Deutschland angeführten Chefs der Eurozone haben ihr Vertrauen in Tsipras und Syriza verloren; daher auch die in Blei gegossenen Garantien, die Athen geben musste, um ein Abkommen zu erreichen. Die Griechen und viele Südeuropäer haben wiederum ihr Vertrauen in Deutschland verloren, das als neuer Kolonialist und Mörder des europäischen Projekts angesehen wird.“ (15.07.2015)
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Juli 2015 | Allgemein, Junge Rundschau, Politik | Kommentieren