Jetzt, kurz vor der Sommerpause, nehme ich mir einen Moment Zeit, die Ereignisse des vergangenen Jahres zu reflektieren. Nach vielen Begegnungen und Gesprächen in den letzten Monaten, in denen wir unsere Bemühungen für die dringend benötigte Lösung für Palästina und Israel intensiviert haben, erlaube ich mir einige Bemerkungen und Gedanken. Genau vor einem Jahr bombardierte Israel in einem mehrwöchigen Krieg den Gaza-Streifen, der das Leben von 2.100 Palästinensern und 73 Israelis (67 Soldaten und sechs Zivilisten) gefordert hat. Mehr als 11.000 Palästinenser blieben verletzt zurück oder wurden vertrieben, die Blockade des schmalen Küstenstreifens besteht unverändert fort.
Am vergangenen Freitag hat der UN-Menschenrechtsrat den Bericht der unabhängigen Untersuchungskommission zur israelischen Aggression auf den Gaza-Streifen im Sommer 2014 adoptiert. 45 Länder, darunter Deutschland stimmten für diesen Beschluss.
Wir müssen realistisch sein. Weder der Bericht noch der Beschluss des UN-Menschenrechtsrates werden sofort etwas an der Situation der Menschen in Gaza ändern. Darüber hinaus kann die anhaltende Blockade und Verschlechterung der humanitären Lage zu einer weiteren Konfrontation führen. Gaza, wie AM Steinmeier es bei seinem letzten Besuch im Mai in Palästina formulierte, ist ein „Pulverfass“, das jederzeit explodieren kann. Die Situation wird sich nicht durch militärische Gewalt verbessern, egal wie stark auch Israels Armee ist. Sie wird sich auch nicht durch die Marginalisierung bestimmter Akteure oder mittels Kollektivbestrafung fast zwei Millionen unschuldiger Zivilisten verbessern. Tatsächlich erscheinen Methoden des gewalttätigen Widerstandes gegen die Besatzung erfolgreicher als gewaltlose Strategien. Wir stehen vor innerpalästinensischen Herausforderungen, an deren Lösung wir arbeiten. Doch grundlegend behindern diese nicht eine Lösung. Sie werden vielmehr durch einen Mangel an politischer Lösung und Hoffnung verstärkt.
Vision für eine politische Lösung
Die PLO hat sich für die internationale Diplomatie entschieden, denn wir haben die Pflicht, unsere Bürger zu schützen. Wir glauben an die universellen Prinzipien und internationale Mechanismen. Unsere Initiativen an den UN-Sicherheitsrat sind der Tatsache geschuldet, dass der Friedensprozess klare Parameter aufweisen muss, um erfolgreich zu sein. Wir haben dem Internationalen Gerichtshof (IStGH) Unterlagen übergeben, weil dies der beste Weg ist, mit einem Aggressor umzugehen und dies vor einem Gericht geschieht anstatt mit Aggression zu reagieren. Die Anerkennung unserer eigenen Staatlichkeit benötigen wir, weil wir der festen Überzeugung sind, dass eine Zwei-Staaten-Lösung auch zwei Staaten erfordert, bevor es nicht mehr möglich ist. Wir handelten in dem Glauben, dass diese Schritte ein Umfeld schaffen werden, dass letztendlich für alle Parteien von Nutzen ist.
Staaten dürfen die Besatzung Palästinas weder direkt noch indirekt unterstützen, u.a. indem Produkte und Waren verboten werden, die aus illegalen Siedlungen stammen und deren natürliche Ressourcen völkerrechtswidrig ausbeuten. Dieser Grundsatz sollte in allen bilateralen Abkommen zwischen der EU und Israel (auch zwischen einzelnen Mitgliedsstaaten und Israel) mit formaler Überprüfung dieser Vereinbarungen, wenn sie nicht erfüllt sind, enthalten sein. Die Gegner der Zwei-Staaten-Lösung haben sehr schnell „Boykott“ gerufen, was aber mit einer Ächtung nichts zu tun hat. Es hat vielmehr etwas mit der fehlenden Gültigkeit israelischer Souveränität in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten zu tun. Die EU erkennt die israelische Hoheit über die besetzten Gebiete nicht an. Vergangene Woche hat das US-Außenministerium diese Unterscheidung ebenfalls eindeutig bekräftigt.
Wir verstehen
Wir verstehe, dass Deutschland eine besondere Beziehung zu Israel hat. Nach vielen Jahren in Deutschland weiß ich das sehr gut. Angesichts der aussichtslosen Situation und fehlenden politischen Perspektive ist Deutschlands Unterstützung dringend erforderlich. Wir verlangen keine besondere Behandlung. Aber wir vertrauen darauf, dass Deutschland auch weiterhin eine besondere Rolle als Mitglied der Europäischen Union, der Vereinten Nationen, als Gründungsmitglied des ICC und derzeitiges Mitglied des UN-Menschenrechtsrates spielt und im Einklang mit dem EU- und Völkerrecht handelt. Wir betonen dies, weil wir noch immer nach einer gerechten und verhandelten Zwei-Staaten-Lösung im Interesse aller Palästinenser und Israelis gleichermaßen streben.
Berlin, 09. Juli 2015
Dr. Khouloud Daibes
Botschafterin Palästinas