[1]Die „New York Times“ vergleicht (siehe unten) die europäischen Verhandler mit mittelalterlichen Ärzten, „Libération“ verlangt einen Schuldenschnitt und die „Presse“ will jetzt aber wirklich mal Reformen sehen. Alsdann, stellen wir uns – und anderen Stimmen der Weltpresse – die Frage: Grexit oder Nicht-Grexit – Sein oder nicht Sein? Das ist die bange Frage, die sich alle stellen. Merkel und Hollande müssen darauf eine Antwort finden, nachdem – und nicht nur sie – beide auf widerwärtige Weise auf dem Rücken der Rentner und schlechterverdienenden Griechen lange – und damit sei es nun genug – gepokert haben. Heute treffen sich also mal wieder die vor selbstherrlichkeit triefenden Staats- und Regierungschefs der 19 Euroländer in Brüssel zu einem Krisengipfel, der über die Zukunft der Währungsunion entscheiden könnte. Und es wird wie in den Monaten zuvor unter anderem nicht die Rede davon sein, wie das „Deutsche Wirtschaftswunder“ wohl ausgesehen haben würde, hätte es nach dem von Deutschland Deutschland über alles angezettelten Weltkrieg nicht nur die „Trümmerfrauen“ sondern auch der Schuldenerlass für „Das Deutsche Volk“ gegeben hätte. In Zorn geschrieben, genug damit, lassen wir also in der Rundschau gelassenere Zeitgenossen zu Wort kommen, mit den Stimmen der nicht nur Europäischen Presse zum Referendum der Griechen:
[2]Vorbereitet wird dies uropäische Dramolett-Theater von einem Meeting der Eurogruppe, bei dem es hoch hergehen dürfte. Denn mit der Geschlossenheit, die Gruppenchef Dijsselbloem bisher demonstrativ betonte, ist es nicht mehr weit her. Polen, die baltischen Länder und Slowenien haben nach dem Referendum in Griechenland auf stur geschaltet und eine harte Linie gefordert – notfalls bis zum Grexit. Frankreich und Italien hingegen wollen Griechenland um (fast) jeden Preis im Euro halten.
Doch den griechischen Banken geht das Geld aus, ohne neue Finanzspritzen droht der wirtschaftliche Kollaps. Wenn sich die EZB, die Eurogruppe und die Staats- und Regierungschefs nicht schnell auf neue Hilfen einigen, könnte Athen gezwungen sein, eine Parallelwährung einzuführen, um wenigstens noch Rentner und Staatsbedienstete bezahlen zu können.
Griechenland, „Ta Nea“
Die auflagenstärkste Zeitung des Landes titelt mit der Schlagzeile „Reformen oder Grexit“. Auf der ersten Seite heißt es: „Das eigentliche Dilemma der Regierung besteht darin, sich zwischen der Zustimmung zu einem Reformprogramm oder dem Austritt aus dem Euro entscheiden zu müssen. Das Gipfeltreffen der Eurozone am Dienstag wird alles entscheiden.“
Griechenland, „Kathimerini“
USA, „New York Times“
Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman bewertet das Votum der Griechen in seiner Kolumne [4] als die logische Folge der verfehlten Rettungspolitik: „Europas Technokraten sind wie mittelalterliche Ärzte, die ihre Patienten ausbluten ließen. Als ihre Behandlung den Patienten noch kranker werden ließ, haben sie ihn einfach noch mehr bluten lassen. Ein Ja-Votum hätte Griechenland noch weiter unter einer Politik leiden lassen, die nicht funktioniert hat und auch gar nicht funktionieren konnte. Die Austeritätspolitik lässt die Wirtschaft wahrscheinlich schneller schrumpfen, als es die Verschuldung reduziert. All das Leiden dient also gar keinem Zweck. Der Erdrutschsieg für das Nein-Lager bietet nun zumindest die Chance, dieser Falle zu entkommen. Es gibt gute Argumente dafür, dass Griechenlands Ausstieg aus der Eurozone die beste aller schlechten Möglichkeiten wäre. Dann könnte Athen nämlich seine eigene neue Währung abwerten und so der Schuldenfalle entkommen. Wenn die Griechen am Ende den Euro verlassen, bedeutet das nicht, dass sie schlechte Europäer sind“, stellt Krugman klar. Das Problem sei vielmehr, dass eine Gemeinschaftswährung angeschlagenen Ländern keine Möglichkeit zur Erholung biete.
Frankreich, „Libération“
Die linksliberale Pariser Zeitung spricht sich dafür aus, die Schulden Griechenlands zu verringern: „Kurz vor diesem Bruch zwischen Griechenland und der Europäischen Union waren die Positionen nicht so weit voneinander entfernt. Die Europäer können endlich anerkennen, dass die dem ganzen Kontinent aufgezwungene brutale Sparpolitik katastrophale politische Folgen gehabt hat, von denen das Nein der Griechen nur ein Beispiel ist. Die Europäer können nun die Schulden verringern, von denen selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) sagt, sie könnten unmöglich zurückgezahlt werden. Unter diesen Voraussetzungen ist eine Einigung möglich. Werden die europäischen Politiker Europa retten?“
Großbritannien, „The Times“

Foto auf der Frontseite der linksliberalen griechischen Tageszeitung „EtS“: Ein erstaunter Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem während der ersten Ergebnisse
Die konservative britische Zeitung „Times“ sieht eine große Herausforderung für die Europapolitiker: „Athen stehen chaotische Tage bevor. Die Länder, die sich für einen Verbleib Griechenlands in der Eurozone eingesetzt haben, müssen sich jetzt dringend mit dieser großen politischen Herausforderung befassen. Sie müssen entscheiden, ob die Regeln falsch waren, oder ob die griechischen Banken eingebrochen sind, weil man gegen die Regeln verstoßen hat. Die Euro-Idealisten, besonders die in Deutschland, könnten selbst jetzt immer noch darauf bestehen, Griechenland zu retten. Doch die Euro-Verbraucher, in erster Linie die deutschen Wähler, werden wohl nicht mehr damit einverstanden sein.“
Österreich, „Die Presse“
Die liberale Tageszeitung fordert von den Griechen strukturelle Reformen: „Kann man nichts machen, des Griechen Wille ist sein Himmelreich. Die Frage ist jetzt, wie die Eurozone und die EZB darauf reagieren. Eine Zeit lang werden diverse Hilfen auch ohne offizielles Rettungsschirmprogramm noch weitergehen, das ist klar. Man hat ja auch die Kapitalflucht aus Griechenland abseits der traditionellen Programme mit Hilfskrediten finanziert. Aber irgendwann muss Schluss sein: Entweder die Griechen setzen jetzt im eigenen Land strukturelle Schritte, die vermuten lassen, dass sie mittelfristig wieder auf eigenen Beinen stehen können. Oder die Eurozone muss zusehen, wie sie möglichst rasch und unter Schadensminimierung aus der Sache herauskommt.“
Polen „Gazeta Wyborcza“
Die linksliberale Zeitung aus Warschau hält den Grexit für den Fluch Europas: „Schulden müssen eingeholt werden, aber nicht so, dass eine Gesellschaft in Verzweiflung getrieben und unberechenbar gemacht wird. Und das mit großem Risiko für die gesamte Union. In dem griechischen Thriller, den wir erleben, können am meisten nicht nur die Griechen verlieren, sondern auch die, deren Weg ein einiges und vereintes Europa ist. Wir erleben gerade seine beispiellose Krise, die entstanden ist als Ergebnis von Egoismus der Entscheider, Mangel an Mut und Vorstellungskraft und fehlerhafter Kalkulation. Seitens der Union und Griechenlands.“
USA, „Wall Street Journal“
Die amerikanische Zeitung widmet ihren Kommentar [6] der Griechenland-Politik der deutschen Kanzlerin: „Das klare Nein stellt Angela Merkel vor ihre größte Herausforderung seit Beginn der Eurokrise vor fünf Jahren. Sie muss sich nun entscheiden, ob sie auf Griechenlands Premierminister Tsipras zugeht und die Sparvorgaben lockert oder an ihrer strengen Linie festhält.“ Das Blatt geht davon aus, dass die Kanzlerin den zweiten Weg einschlägt. „Wenn Griechenland aus dem Euro aussteigt, werden die deutschen Wähler dafür mit Sicherheit Tsipras die Schuld geben.“ Daher entspreche es Merkels Prinzipien und ihrem Instinkt zum Machterhalt, wenn sie gegenüber Athen hart bleibe, prognostiziert das „Wall Street Journal“.
Niederlande, „De Telegraaf“
Die Amsterdamer Tageszeitung hält einen Euroaustritt Griechenlands für das beste Szenario: „Das Referendum ist ein Wendepunkt. Zum ersten Mal hat die Bevölkerung eines Landes sich gegen die Währung gewandt, die viele europäische Staaten miteinander verbindet. So eine Verbindung kann nur Bestand haben, wenn sich alle an Absprachen für gesunde Staatsfinanzen halten und für eine Volkswirtschaft arbeiten, die in der Lage ist, ausreichend Geld zur Begleichung von Schulden zu generieren.“ Deshalb sei ein Austritt aus der Eurozone für das Land das beste Szenario. „Das ist schmerzlich für Griechenlands Gläubiger. Der Prozess des Austretens muss dennoch so flexibel gestaltet werden, dass Griechenland Teil Europas bleibt und nicht anderen Mächten in die Arme getrieben wird. Ruhe an Europas Ostgrenze ist ein wichtiges Gut.“
Schweiz, „NZZ“
Die „Neue Zürcher Zeitung“ hält einen eigenen Weg Athens für unerlässlich: „Ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion kann nicht erzwungen werden, ist aber die logische Konsequenz aus dem Volksnein. Die Syriza-Truppe soll ohne den ‚reichen Onkel‘ aus Brüssel ihre Wege suchen müssen, um Einnahmen und Ausgaben in Einklang zu bringen. Auch die Griechen dürften dabei früher oder später erkennen, dass nichts daran vorbeiführt, wirtschaftlich wettbewerbsfähiger zu werden. Mit einem Grexit wird dies eher zu bewerkstelligen sein. Regionalpolitische und humanitäre Hilfen für das EU-Mitgliedsland mögen dazu beitragen, dass es nicht im Chaos versinkt. Aber Athen muss jetzt seinen eigenen, schwierigen Weg gehen – je konsequenter, desto besser. Europa wird das nicht schaden.“
Frankreich, „Le Figaro“
Der konservative „Figaro“ sieht mit der Entscheidung der Griechen bereits einen Schritt in Richtung Euroaustritt getan: „Alexis Tsipras fordert einen Verbleib seines Landes im Euro. Er hat den Griechen allerdings nicht gesagt, dass ihm die Mittel dazu fehlen. Von einem verpassten Zahlungstermin zum anderen wird sich ein schrecklicher finanzieller Schraubstock um Griechenland schließen. Und wenn kein Wunder passiert, wird der so gefürchtete Grexit ganz von allein seinen Lauf nehmen – nicht weil die Europäer das gewollt haben, denn sie haben alles unternommen, um den Grexit zu verhindern, sondern weil die Wahl des griechischen Volkes eine Dynamik in Gang gesetzt hat, die wohl nicht aufzuhalten ist.“
Belgien, „De Standaard“
Die rechtsliberale Zeitung aus Madrid hält die Griechen für ein riesiges Problem der EU: „Der Sieg von Tsipras ist eine Ohrfeige für Deutschland und für den harten Euro-Kern. Diese werden den Druck der öffentlichen Meinung, die gegen weitere Hilfen für die Griechen ist, kaum in Einklang bringen können mit den Forderungen der Regierung in Athen, die sich zum Beispiel weigert, das Rentenalter zu erhöhen, obwohl das derzeitige System aus finanzieller Sicht unhaltbar ist.“ Griechenland sei für die Europäische Union zu einem Riesenproblem geworden.
USA, „Boston Globe“
„Das Referendum hat kein einziges Problem gelöst“, schreibt Evan Horowitz im „Boston Globe“. „Griechenland ist weiterhin abhängig von europäischer Hilfe. Dem Land fehlt das Geld, um seine Schulden zu begleichen, und die untergehenden Banken werden nur noch von Notkrediten der Europäischen Zentralbank am Leben gehalten“, stellt der Kolumnist fest. Sollten sich die europäischen Staats- und Regierungschefs dazu entscheiden, die Verhandlungen mit Athen wieder aufzunehmen, könnten sich diese sehr lange hinziehen. Sollte aber die EZB entscheiden, die Nothilfe für das griechische Banksystem einzustellen, könnte das Ende ganz schnell kommen. Dann wären die Geldhäuser nämlich gezwungen, eine Parallelwährung einzuführen, prognostiziert Horowitz. Der 20. Juli werde entscheidend. „Dann muss Griechenland 3,5 Milliarden Euro an die EZB zurückzahlen. Dieses Geld hat Griechenland nicht. Entweder sie finden jemanden, der dieses Rechnung für sie begleicht, oder sie machen sich aus dem Staub und prellen die Zeche.“