[1]Vor einer Woche wurde der YouTuber Le Floid kritisiert, weil er sich in seinem Interview mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Stichwortgeber habe reduzieren lassen. Gestern, am Sonntag abend, war zu hören und zu sehen, wie es die Profis machen. Tina Hassel, Leiterin des ARD Hauptstadtstudios, und der designierte ARD-Chefredakteur Rainald Becker empfingen die „Mutter der Nation“ zum Sommerinterview. Derweil LeFloid die Kanzlerin im wesentlichen zu gesellschaftlichen und jugendbezogenen Themen fragte (Homo-Ehe, Bildung), beackerten Hassel und Becker das Feld des politischen Tagesgeschäfts von Griechenland bis Flüchtlingsproblematik.
Wer den Nerv hatte, die Kraft aufzubringen, das knapp 20-minütige Gespräch konzentriert zu verfolgen, erfuhr nichts wirklich Neues. Das lag zwar nicht nur sondern wesentlich auch an den beiden fragenden Profiis.
Der „Nation Mutter“ war, wie sie nunmal ist. Merkels Angewohnheit, auf Fragen nicht zu antworten, sondern den immer gleichen Sermon abzusondern, kam auch hier wieder zu Wort. Finanzminister Schäuble wolle immer noch den Grexit als Plan B, sie lehne den Grexit ab, was denn nun gelte, wollte Becker wissen. Als Nicht-Antwort leierte Merkel nochmal die Eckpunkte des jüngsten Beschlusses der 19 EU-Staaten zu Hilfpaket-Verhandlungen runter und fügte ein “Das muss jetzt umgesetzt werden” hinzu. Ihre Antwort auf die Frage hatte das so gut wie gar nichts zu tun.
Es war aber – wie auch schon bei LeFloid – das Setting des Interviews, das solche Nicht-Antworten Merkels erst möglich machte. Die Kanzlerin saß im Sessel zwei Journalisten gegenüber, beide bewaffnet mit dicht beschriebenen Fragezetteln, die abgearbeitet werden wollten. Der Zeitrahmen war mit 20 Minuten knapp bemessen. Die Journalisten fragten immer abwechselnd. Themenkomplexe mussten abgehakt werden. Wenn Merkel zum Thema Griechenland ausweichend salbaderte, war so gar keine Zeit, direkt und konkret nachzuhaken. Es war ja schon wieder der Kollege oder die Kollegin dran und die Flüchtlinge und das weinende Flüchtlingsmädchen mussten ja auch noch reingequetscht werden.
Statt wenigstens die komplette Zeit für Fragen zu nutzen, wurde auch noch ein devot-dämliches Filmchen gezeigt, in dem die Kanzlerin für ihre Verhandlungs-Ausdauer bewundert wurde und man krampfig versuchte, mit Wortspielereien eine Verbindung zwischen der Tour de France und der – hahahahaha – “Tour de Greece” herbeizureden:
Aus dem Massenstart wird ein Massenfinish, große Mehrheit trotz 60 Nein-Stimmen aus der Union. Damit hat sich Angela Merkel zwar (Zoom auf Merkels gelbes Jackett) das gelbe Trikot gesichert aber der Tagessieg ist noch kein Gesamtsieg. Das Finale, die Abstimmung über das Hilfspaket, ist erst in ein paar Wochen und bis dahin hat Griechenland noch einige schmerzhafte Etappen vor sich.
Für Madame ist diese Situation so bekannt, wie bequem. Allemal ist In einem so engen Korsett ein hartnäckiges Festbeißen an einem Thema praktisch unmöglich. Beim LeFloid-Interview war das mit 30 Minuten und einem noch umfangreicheren Themenkatalog ähnlich. Derweil LeFloid als Übersprungsdevotionalie ständig rechtgebend “absolut” sagte, übten sich die beiden Profis im zwar etwas dezenteren wenngleich nicht weniger affirmativen Kopfnicken, wenn die Kanzlerin das Wort führt. Die Unterschiede zwischen Profis und Amateur sind hier eher komisch-kosmetischer („kokoscher“) Natur.
Harte, nötige Widerworte liegen nun aber mal nicht in der Natur deutscher Journalisten. Als Zuschauer würde man sich wünschen, ein Interviewer würde einmal aus dem Ritual des Abhakens von Themen (und/oder auf einer Antwort auf Fragen bestehen) ausbrechen und die Kanzlerin die ganze Zeit über nur zu einem Thema befragen. Immer und immer wieder. Vielleicht würde sie da kurz aus der Fasson geraten. Vielleicht. Den Versuch wäre es wert.
Aber so: In Sachen NSA-Spionage in Deutschland empfahl die Kanzlerin den neugierigen Schlapphüten aus Übersee – unwidersprochen und allen Ernstes – “Zeitunglesen”. Da könne man doch schon viel über Deutschland erfahren. Und wenn Merkel ausführte, in der Griechenlandkrise seien viel zu oft Dinge verabredet worden, “die wir dann nicht eingehalten haben”, hätte man ja mal nachfragen können, warum dann wieder 50 Milliarden an Privatisierungs-Erlösen von den Griechen verlangt werden, obwohl exakt diese Forderung auch in den zurückliegenden Jahren nicht erfüllt wurde und auch kein Experte davon ausgeht, dass die Griechen jemals Privatisierungen in dieser Größenordnung je hätten durchziehen – ja auch in Zukunft überhaupt würden durchziehen können. Mit solch unrealistischen Forderungen ist das nächste “Nicht-Liefern” Griechenlands programmiert. Warum wird so etwas gemacht, wenn einem angeblich an einer echten, einer wirklichen Lösung gelegen ist? Hätte man ja mal fragen können.
Jedoch muss vermutet werden dürfen, dass diese Frage nicht auf dem Frage-Zettel stand.
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