Wenig beachtet von der Öffentlichkeit sind die Funkzellenabfragen. Dabei werden alle in einer räumlichen Zelle angemeldeten Mobilfunkgeräte erfasst. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) lehnt dies als rechtlich bedenklich ab. Sie stellen einen massiven Grundrechtseingriff dar. Betroffen von der Funkzellenabfrage sind alle unbescholtenen Bürger, die sich gerade in dieser Funkzelle befinden. Der Forderung nach einer Ausweitung der Funkzellenabfrage, wie sie der Berliner Justizsenator Thomas Heilmann aufgestellt hat, ist entschieden entgegenzutreten.
„Die Funkzellenabfrage stellt einen Grundrechtseingriff von hoher Intensität dar“, erläutert Rechtsanwalt Prof. Dr. Stefan König, Mitglied im Ausschuss Gefahrenabwehrrecht des DAV. Betroffen sei das durch das Grundgesetz geschützte Post- und Fernmeldegeheimnis. Auch könne ein Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen vorliegen. Es können auch weitere grundrechtsgeschützte Bereiche betroffen sein, wie etwa die Versammlungsfreiheit.
Bei der Abfrage werden für einen begrenzten Zeitraum alle in der räumlichen Zelle angemeldeten Mobilfunkgeräte erfasst, nicht der Inhalt der Gespräche. Für den Deutschen Anwaltverein ist klar: Hier werden unschuldige Bürger überwacht. „Letztlich ist die Funkzellenabfrage eine Art „kleine Vorratsdatenspeicherung“, so König weiter.
Anlass war eine Presseberichterstattung über den Berliner Justizsenator Thomas Heilmann. Demnach haben die Berliner Strafverfolgungsbehörden im vergangenen Jahr in 500 Ermittlungsverfahren eine anonyme Funkzellenabfrage angewandt. Der Berliner Justizsenator lässt sich mit Worten zitieren, dass die Grundrechtseingriffe „minimal“ wären. Auch befürwortet er eine Ausweitung der Funkzellenabfragen.
Für den DAV ist die Argumentation durch einen Justizsenator nicht nachvollziehbar. „Man darf mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht so großzügig umgehen, massenhafte Grundrechtsverletzungen akzeptabel zu finden, weil sie angeblich „minimal“ seien“, so König weiter. Wer für die Justiz steht, ist auch der Verfassung verpflichtet.
Es handelt sich bei der Funkzellenabfrage zudem um einen verdachtslosen Grundrechtseingriff mit großer Streubreite. Grundrechtseingriffe, die durch eine große Streubreite gekennzeichnet sind, bei denen also zahlreiche Personen in den Wirkungsbereich einer Maßnahme einbezogen werden, die in keiner Beziehung zu einem konkreten Fehlverhalten stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben, weisen grundsätzlich eine hohe Eingriffsintensität auf. Jeder Einzelne ist bei einem verdachtslosen Eingriff in seiner grundrechtlichen Freiheit umso intensiver betroffen, je weniger er selbst für einen staatlichen Eingriff Anlass gegeben hat. Dies hat schon das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur polizeirechtlichen Rasterfahndung festgestellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.04.2006, Az.: 1 BvR 518/02). Die Funkzellenabfrage begründet für die Personen, in deren Grundrechte sie eingreift, zudem ein erhöhtes Risiko, Ziel weiterer behördlicher Ermittlungsverfahren zu werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung ausdrücklich darauf hingewiesen: „Von Gewicht ist hierbei auch, dass unabhängig von einer wie auch immer geregelten Ausgestaltung der Datenverwendung das Risiko von Bürgern erheblich steigt, weiteren Ermittlungen ausgesetzt zu werden, ohne selbst Anlass dazu gegeben zu haben. Es reicht etwa aus, zu einem ungünstigen Zeitpunkt in einer bestimmten Funkzelle gewesen oder von einer bestimmten Person kontaktiert worden zu sein, um in weitem Umfang Ermittlungen ausgesetzt zu werden und unter Erklärungsdruck zu geraten.“ (vgl. BVerfG, Urteil vom 02.03.2010, Az.: 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08 und 1 BvR 586/08).
Das Bundesverfassungsgericht spricht damit neben dem Risiko, weiteren Ermittlungen ausgesetzt zu sein, auch den Gesichtspunkt an, dass die Betroffenen unter „Erklärungsdruck“ geraten. Es wird also praktisch Sache der Betroffenen, sich zu rechtfertigen, ob und weshalb sie sich an einem bestimmten Ort aufgehalten haben. Von solchen Eingriffen können Einschüchterungseffekte ausgehen, die zur Beeinträchtigung bei der Ausübung von Grundrechten führen. Ein solcher einschüchternder Effekt geht bereits von der Möglichkeit aus, Objekt staatlicher Eingriffe und Überwachung zu werden.
Die massenhafte, verdachtsunabhängige Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten im Rahmen einer Funkzellenabfrage sei daher entschieden abzulehnen.