German-philosopher-Juergen-Habermas-speaks-during-a-press-confere-1Jürgen Habermas ist unbestrittenen einer der führenden geistigen Köpfe in Europa. Seit mehr als 50 Jahren ist er an wichtigen Debatten in Deutschland beteiligt. Seien es die Studentenrevolten der 60er-Jahre, die Wiedervereinigung, die deutsche Kriegsschuld oder der Irak-Krieg. Nun nimmt er sich das Vorgehen der Bundesregierung in der aktuellen Griechenland-Krise vor. Angesichts des Marathon-Gipfels in Brüssel vom vergangenen Sonntag sagte er dem britischen „Guardian“: „Ich fürchte, die deutsche Regierung, inklusive der Sozialdemokraten, hat in einer Nacht all das politische Kapital verspielt, das ein besseres Deutschland in einem halben Jahrhundert angesammelt hat.“ Frühere deutsche Regierungen hätten mehr politische Sensibilität und post-nationales Denken gezeigt.

Aus Sicht des Soziologen habe Deutschland durch seine Verhandlungsführung und die Grexit-Drohungen sich unverhohlen als „Europas Chef-Zuchtmeister“ gezeigt und sich erstmals öffentlich zu Europas Hegemon ausgerufen.

Die beschlossenen Reformen werden laut Habermas mit „einer giftigen Mischung aus nötigen Strukturreformen und neoliberalen Zumutungen“ die griechische Bevölkerung erschöpfen und jeden Wachstumsimpuls abtöten.“Es ist schwer vorstellbar, wie noch größerer Schaden hätte angerichtet können“ – im Gespräch mit Philip Oltermann (Guardian) stellt Jürgen Habermas der Bundesregierung für die Verhandlungen in der Griechenlandkrise ein vernichtendes Zeugnis aus. „Die deutsche Regierung hat erstmals einen Anspruch auf die Vorherrschaft in Europa erhoben – so wurde es jedenfalls im Rest Europas aufgefasst, und diese Wahrnehmung bestimmt die Wirklichkeit, die zählt. Ich fürchte, dass die Bundesregierung in einer einzigen Nacht das gesamte politische Kapital verspielt hat, das sich ein besseres Deutschland in einem halben Jahrhundert erworben hatte – und mit ‚besser‘ meine ich ein Deutschland, das von größerer politischer Sensibilität und postnationaler Mentalität geprägt war.“

Cool Germania – das war mal, grämt sich auch Stefan Ulrich in der SZ, der hässliche Deutsche ist wieder wer in Europa: „In Spanien erregt sich fast die ganze Presse über deutsche Härte gegenüber dem darbenden Griechenland. In Frankreich ruft der Musiker und Filmemacher Jean-Jacques Birgé in seinem Blog zum Boykott deutscher Produkte auf.“

In der Welt betrachtet auch Wolf Lepenies bekümmert das Zerbrechen der entente cordiale zwischen Frankreich und Deutschland: „Die deutsche Politik mag sich damit trösten, Länder wie Slowenien und Litauen auf ihrer Seite zu wissen – der Süden Europas schmiedet eine Koalition gegen das als arrogant empfundene Berlin.“

Juli 2015 | Allgemein | Kommentieren