Das Gehirn ist unsere hoch sensible Schaltzentrale. In seinen 125 Milliarden Nervenzellen laufen alle Informationen aus Umwelt und Körper zusammen, werden zu Reaktionen verarbeitet. Schon im Ruhezustand verbraucht das Gehirn (ca. 1,5 kg) ein Viertel des gesamten Energiebedarfs unseres Körpers. Ernährung kann seine Leistungsfähigkeit beeinflussen.Mit modernsten Mess- und Analysemethoden gelingt es immer besser, dem Gehirn beim Denken zuzuschauen. Über neue Erkenntnisse zur Physiologie des Gehirns, über Möglichkeiten und Grenzen der Hirnforschung spricht der Neurophysiologe Professor Dr. Andreas Draguhn bei Medizin am Abend am 17. Juni 2015.
Das Gehirn gibt seine Geheimnisse nur sehr langsam preis – zu komplex ist das Zusammenspiel der Millionen Nervenzellen. „Die Hirnforschung erklärt uns zwar schon vieles über uns, unser Verhalten und unsere Denkleistungen, stellt uns aber nach wie vor vor unzählige ungelöste Fragen“, sagt Professor Dr. Andreas Draguhn, Direktor der Abteilung für Neuro- und Sinnesphysiologie am Institut für Physiologie und Pathophysiologie des Universitätsklinikums Heidelberg. Wie neue Erkenntnisse der Neurowissenschaften helfen, die Vorgänge in unserem Denkorgan besser zu verstehen, was man mit diesem Wissen anfangen oder auch nicht anfangen kann, erklärt der renommierte Neurophysiologe in seinem Vortrag bei Medizin am Abend am Mittwoch, 17. Juni 2015. Der Vortrag beginnt um 19 Uhr im Hörsaal der Kopfklinik, Im Neuenheimer Feld 400. Universitätsklinikum und RNZ laden alle Interessierten herzlich ein.
Erfolge in der Hirnforschung erfahren immer wieder große Aufmerksamkeit sowohl in Wissenschaftskreisen als auch der medialen Öffentlichkeit: So ging der Nobelpreis für Physiologie und Medizin 2014 an die Entdecker des inneren Navigationssystems, dem Sitz des Orientierungssinns im Hirn. Doch hilft dieses Wissen Menschen, die sich schlecht orientieren können? „Nein“, so der Experte, „davon sind wir noch weit entfernt. Momentan versuchen die Neurowissenschaften Denkvorgänge mit Aktivitätsmustern im Gehirn in Einklang zu bringen. Also z.B. zu klären, wie das Gehirn Erinnerungen abspeichert, was passiert, wenn diese abgerufen werden und wir etwas wiedererkennen. Im Fall der örtlichen Erinnerung weiß man das nun.“
Kann das Wissen um Hirnentwicklung und -rhythmen das Lernen erleichtern?
Neue Erkenntnisse über Lernen und Gedächtnis lassen aber dennoch hoffen, irgendwann Strategien entwickeln zu können, die das Lernen hirngerechter gestalten und damit auch für Menschen mit Lernschwierigkeiten leichter machen. Ein erster Schritt in diese Richtung ist die sogenannte Neurodidaktik, die Erkenntnisse zur Hirnreifung bei Kindern und Jugendlichen, zu Wahrnehmungsspannen, Lernen unter Stress sowie Schlaf-Wachrhythmen einbezieht. Zwischen den experimentellen Fragestellungen der Hirnfroscher und der komplexen Realität des Schulunterrichts klafft aber immer noch eine große Lücke. Deshalb tragen die Erkenntnisse der Neurobiologie bis heute nur wenig Konkretes zur Pädagogik bei.
Anders sieht es bei angeborenen Sinnesstörungen, wie Schielen oder Taubheit, aus. Hier gibt das aktuelle Wissen um die kindliche Hirnentwicklung ein klares Zeitfenster für die Behandlung vor. Wird dieses nicht eingehalten, verkümmern die entsprechenden Hirnareale. Im Fall des Schielens wird der Sinneseindruck eines Auges vom Gehirn mit der Zeit unterdrückt, das Auge, obwohl gesund und funktionsfähig, bleibt dann lebenslang blind. Dazu kommt es in den westlichen Industrienationen dank entsprechender Beratung und Behandlungsmöglichkeiten kaum noch. Inzwischen ist die Medizin sogar noch einen Schritt weiter: So können speziell entwickelte Videospiele mit dreidimensionaler Optik die behandelbare Phase verlängern, indem sie zur Nutzung des unterdrückten Auges anregen und Vernetzungen im Gehirn stärken.
Neurodegenerativen Erkrankungen: Therapeutische Hoffnungen bisher nicht erfüllt
In der Therapie psychiatrischer und neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer ist man so weit noch nicht. Auf diesen Gebieten forschen Mediziner intensiv daran, Veränderungen in der Hirnfunktion zu verstehen, Krankheitsmechanismen zu entschlüsseln, Ansatzpunkte für Therapien zu finden oder, wie im Fall psychiatrischer Erkrankungen, herauszufinden, wie sich bereits etablierte Therapien auf Hirnfunktionen auswirken. „Die Einblicke in die Funktion des Hirns haben bei machen Syndromen schon sehr effektive Therapien auf den Weg gebracht, zum Beispiel bei der Parkinson-Erkrankung. „Dennoch wurden die großen Hoffnungen in grundlegend neue Therapien zur Wiederherstellung verlorener Hirnfunktionen noch nicht eingelöst“, so Draguhn.
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