[1]Was sagt man über einen Musiker, über den schon alles gesagt wurde? Jemand, der sämtliche bedeutenden Preise der Musikwelt abgeräumt hat? Einer, über den Musikkritiker ausschließlich in Superlativen sprechen? Am besten, man lässt ihn selbst zu Wort kommen. Und wenn Keith Jarrett, der heute, am 8. Mai 2015 seinen 70. Geburtstag feiert, über Musik redet, dann wird klar: Er ist Musiker mit Seele, Geist – und seinem ganzen Körper.
„Wenn ich da draußen auf der Bühne stehe, nur ich und der Flügel, ist es, als ob mein Körper ganz genau wisse, was zu tun ist“, sagte Jarrett 2014 anlässlich seiner Ehrung mit dem „NEA Jazz Masters Award“, der wohl höchsten Auszeichnung der US-amerikanischen Jazzwelt. „Als ob meine linke Hand wisse, was sie spielen soll. Wenn ich ihr aber sage, was sie spielen soll, dann stoppe ich ihr Spiel. Nicht nur das, ich hindere sie sogar daran, etwas Besseres zu spielen als das, was ich mir je ausdenken könnte.“ Jarrett ist dafür bekannt, extrem empfindlich zu reagieren, wenn während seiner Konzerte ein Handy klingelt – oder auch wenn jemand einfach nur hustet. Denn die geballte Konzentration seines Publikums ist die Voraussetzung für das, was er tut. Dafür fühlt er sich vom Publikum oft gehasst.
„In Wirklichkeit brauche ich das Publikum mehr als fast jeder andere Künstler“, sagt der Pianist, der vor allem für seine virtuose Improvisationskunst (Keith Jarret als junger Wilder: 2`53 Free Jazz [2] vom Feinsten) bekannt ist. Einer, der allein eine Bühne betritt und sie dann mit der Musik, die aus seinem Innersten strömt, füllt. Musik, die er in dem Moment, in dem er sie spielt, komponiert. Die er zum ersten und einzigen Mal performt. Die basiert auf seinem ganzen Wissen über klassische Musik, denn Jarrett ist nicht nur Jazzpianist, sondern spielt auch immer wieder aufsehenerregende Alben klassischer Musik ein, etwa Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ oder die „Goldberg Variationen“.
Glücklicherweise werden alle dieser Solokonzerte mitgeschnitten und erscheinen beim Label ECM. Der deutsche, preisgekrönte Musikproduzent Manfred Eicher sorgt seit Jahrzehnten dafür. „Ich hatte das Gefühl, wir wollen dasselbe“, sagte er in der Doku „Keith Jarrett – The Art of Improvisation“ von Mike Dibb über die Zusammenarbeit mit Keith Jarrett. „Er als Musiker, der etwas kreiert, und ich als die Person, die diese Kreation festhält und entwickelt.“
Das wohl populärste Solokonzert des Keith Jarrett wurde 1975 unter dem Titel „The Köln Concert“ [3] mit mehr als dreieinhalb Millionen verkauften Exemplaren zum meist verkauften Jazz-Solo-Album aller Zeiten. „Beim ‚Köln Concert‘ hatten wir einen miesen Flügel gemietet. Ich konnte davor zwei Tage nicht schlafen“, erinnerte sich Jarrett 2007 in einem ZDF-Interview. „Natürlich möchtest du immer dein Bestes geben, aber wenn du solche Probleme hast wie damals in Köln, denkst du beim Spielen nicht mehr daran, was du tust. Das ist eines der Geheimnisse der Improvisation.“
„Musik ist unbeschreiblich“
Immer wieder fragen ihn Leute, warum er beim Spielen diese seltsamen Grimassen und Geräusche macht. Darauf antwortete Jarrett anlässlich der „NEA Jazz Masters Awards“: „Jeder, der noch ganz bei Trost ist, sucht sich doch ein Ventil. Wenn etwas wirklich geschieht, übernimmt eben die Leidenschaft.“ Was da wirklich geschieht, dort auf der Bühne, das lässt sich seiner Ansicht nach überhaupt nicht in Worte fassen. „Musik kann nicht mit Worten beschrieben werden“, versucht er sich dennoch an einer Formulierung. Oder auch: „Musik ist das Ergebnis des Prozesses, durch den ein Musiker geht, besonders dann, wenn er sie spontan kreiert“, so Jarrett etwa in der Doku von Mike Dibb.
Ein Prozess, der dem Künstler Jarrett enorm viel abfordert, in jeder Hinsicht. 1996 erkrankte der 53-Jährige an einer lebensbedrohlichen Krankheit, der Pianist war zwei Jahre lang gezwungen, nichts zu tun. Nicht leicht für jemanden, der anlässlich seiner Ehrung mit dem „Polar Music Prize“ sagte, Musik sei für ihn wie Essen, seit seinem dritten Lebensjahr gehöre die Musik so essenziell zu seinem Leben wie die Nahrung, die er zu sich nimmt.