Zensur, Festnahmen, Durchsuchungen: Seit Monaten geht der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hart gegen regierungskritische Medien vor. Das hat auch die größte Tageszeitung des Landes, die liberalkonservative „Zaman“ in Istanbul, getroffen. Aber auch die deutsche Ausgabe spürt den Druck.

Der Chefredakteur der Zeitung Zaman, Ekrem Dumanli (l.), während einer Polizei-Aktion am 14. Dezember 2015 Bild: Selahattin Sevi
Fahrt zur Zentrale der „Zaman“-Redaktion in Istanbul. Der Taxifahrer redet unterbrochen. Er schimpft über Staatspräsident Erdogan, über die ganzen Korruptionsaffären. Die regierende AKP kümmere sich nicht um die Armen – Erdogan denke nur an sich und seine Söhne. Mehmet Özcan, der als Journalist für die deutschsprachige Ausgabe der Tageszeitung „Zaman“ in der Düsseldorfer Landesredaktion arbeitet, übersetzt freundlicherweise. Heute will er der Zentrale in Istanbul einen Besuch abstatten. In der Einfangshalle, einem eleganten Stahl-Glas-Bau im Istanbuler Stadtteil Yenibosna, hängt über mehrere Stockwerke eine riesige Türkeifahne.
„Die Fahne muss auf jeden Fall dabei sein, weil ja die Regierung behauptet, das sind Türkeigegner, türkische Feinde, und deswegen präsentiert man das so stolz.“
Als Türkeigegner will sich der Verlag nicht abstempeln lassen; kritisch berichten aber schon.
Ausweis- und Taschenkontrollen sind obligatorisch. Erst wenn alles geprüft ist öffnet sich das Drehkreuz am Eingang. Und erst dann erkennt der Besucher, links neben der Türkeifahne, eine große Fotowand, auf der dutzende Mitarbeiter mit Protest-Plakaten zu sehen sind.
„Da steht: Wenn alle nicht reden, aber ‚Zaman‘ wird weiter reden. Daneben steht hier: Das ist die Zeit um der Zeitung ‚Zaman‘ Rückendeckung zu geben.“
Journalisten immer häufiger angeklagt und verurteilt
Aufgenommen wurde das Foto im vergangenen Dezember, einige Tage nachdem ein großes Polizeiaufgebot in die Redaktionsräume eingedrungen war und den Chefredakteur Ekrem Dumanli festgenommen hatte.
„Er war in seinem Büro ganz oben. Hier war es voll mit Menschen gewesen, die hier protestiert haben, Polizisten neben ihm, der Staatsanwalt neben ihm. So sind sie hier runtergekommen, und seitdem steht das hier.“
Der Vorwurf: Dumanli würde ein terroristisches Netzwerk betreiben. Als Beweis wurden ihm vor Gericht zwei Kommentare und ein Artikel aus dem Jahr 2009 vorgelegt.
„Nach vier Tagen ist er wieder freigelassen worden, aber es wird noch gegen ihn ermittelt.“
Für viele ist die Zeitung „Zaman“, übersetzt „Zeit“, die wichtigste liberalkonservative Stimme in der Türkei. Für Staatspräsident Erdogan aber ist sie ein Dorn im Auge. Dem Verlag werden enge Verbindungen zu dem moslemischen Prediger Fethullah Gülen nachgesagt. Im vergangenen Jahr hat Erdogan seinem ehemaligen politischen Weggefährten Gülen und seiner ganzen Bewegung öffentlich den Kampf angesagt, und diesen Kampf zu einer der Prioritäten des Staates erklärt.
Mehmet ist froh, dass er einen deutschen Pass hat.
Der schützt ihn und seine Familie, sagt er. Denn in letzter Zeit wurden Journalistenkollegen immer häufiger wegen angeblicher „Beleidigung des Staates“ oder wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung angeklagt und verurteilt.
„Man wird wegen irgendwelcher absurden Sachen beschuldigt. Aber man sagt nicht offen: Du hast die Regierung kritisiert, deswegen wird gegen Dich ermittelt. Das sagen sie nicht. Also Erdogan möchte auf keinen FAll, dass man ihn kritisiert.“
Ökonomisch erdrosseln
Und das – erzählt Mehmet – bekommt auch die in Deutschland erscheinende Ausgabe zu spüren.
„Weil (zum Beispiel) in Deutschland ganz viele türkische Firmen Angst haben, uns Werbeanzeigen zu geben. Die haben ja auch Investitionen in der Türkei. Die bekommen ja direkt Anrufe von Regierungsbehörden.“
„Wenn erstmals ein Inserent wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt wird, wird es niemand mehr wagen, dort zu inserieren“, erleuterte der britische Türkei-Experte Gareth Jenkins kürzlich. Jenkins glaubt, dass Erdogan auch Zaman – die von ihm so ungeliebte Zeitung – langsam, aber sicher ökonomisch erdrosseln will. Und so gleicht es fast einem Wunder, dass Zaman noch täglich erscheinen kann.
„Aber auf der anderen Seite werden unsere Journalisten zu Regierungspressekonferenzen nicht eingeladen, in öffentliche Gebäude dürfen wir nicht mehr rein, unsere Journalisten dürfen da nicht rein.“
Sollte Erdogan und seine regierende AKP bei den Parlamentswahlen im Juni die Zweidrittelmehrheit erlangen, kommen noch schwerere Zeiten auf den Verlag zu. Das befürchtet auch Baha Güngör, langjähriger Leiter der türkischen Redaktion der Deutschen Welle.
„Erdogan wird auf jeden Fall, wenn er auch noch das Präsidialsystem durchsetzen kann, ein sehr, sehr starker Mann sein, hart an der Grenze zum Diktator.“
Hier lesen Sie (wir sind so frei, uns an erster Stelle zu Wort kommen zu lassen!), weshalb wir von der Neuen Rundschau Heidelberg immer mal wieder (trotz alledem und jetzt erst recht) f ü r einen Beitritt der Türkei in die EU plädieren!
Der Völkermord an den Armeniern – Erschossen, ertränkt, erschlagen, an Kreuze genagelt
(Deutschlandradio Kultur, Religionen, 19.04.2015)
Türkei – Behörden sperren Twitter und YouTube
(Deutschlandfunk, Aktuell, 06.04.2015)
Türkei – Erdogan überzieht Kritiker mit Klagen
(Deutschlandfunk, Europa heute, 02.04.2015)
Selahattin Demirtaş – Erdoğans einziger Gegner
(Deutschlandradio Kultur, Studio 9, 30.03.2015)
Neues Sicherheitsgesetz in der Türkei – „Willkommen im Zeitalter des Putsches“
(Deutschlandfunk, Kommentar, 27.03.2015)
24.Apr..2015, 10:28
Ich denke, es war eine gute und früh richtige Entscheidung der deutschen Kanzlerin, die Türkei, was die Aufnahme in die EU angeht, auf Distanz zu halten. Auch wenn wir zurzeit ebenfalls nicht gerade „toll“ sind.
Und was Armenien vor und zu Beginn des 1. Weltkriegs angeht, so genügt es, bei Franz Werfel nachzublättern: die letzten Tage des Musa Dagh. Das ist nicht nur ein Roman. Deutschland hat damals beflissen zugesehen, ja diplomatisch gedrängt, und die Türkei hat „osmanisch“ gemordet. Sie hat einen Völkermord begangen. Wir kennen das!
Dieser Tage hat hier in Heidelberg der Pianist Fazil Say sehr einfühlsam und virtuos Beethoven, Janacek und Gezi-Park, seine eigene Komposition, gespielt. Dazu noch Lieder auf Türkisch mit einer türkischen Sängerin.
Da wehte dieser Hauch von Menschlichkeit, Selbstbewusstsein und gutem Türkentum herein, den man den Zwanghaften und Eitlen vor Ort entgegen pusten muss. Mitunter auch als Sturm, nicht nur als Hauch.
Beste Grüße
Fritz Feder