Ein taz-Redakteur wirft der Süddeutschen Zeitung vor, bei Beilagen konsequent Werbung und Redaktion vermischt zu haben. In England erhebt ein Ex-Mitarbeiter schwere Vorwürfe gegen die Zeitung The Telegraph. Sie habe die Interessen von Anzeigenkunden über jene der Leser gestellt. Die Geschichten gleichen sich und sind doch verschieden. Sie berühren beide einen wunden Punkt der Medien: die berühmte Glaubwürdigkeit.
Hierzulande hat der frühere SZ-Mitarbeiter und taz-Redakteur Sebastian Heiser die Medienbranche in Wallung gebracht. Auf seinem privaten Blog erhebt er schwere Vorwürfe gegen die große Zeitung aus München, die einiges auf ihre journalistischen Standards hält. In der Beilagen-Redaktion der SZ hätten Anzeigenkunden Themen diktiert, es sei Schleichwerbung für Steuerhinterziehung gemacht worden, um Anzeigen von ausländischen Finanzinstituten zu bekommen, Texte hätten von der Anzeigenabteilung abgenommen werden müssen. So lauten zusammengefasst die Vorwürfe Heisers, die von der Chefredaktion der SZ bestritten werden.
Fast zeitgleich hat in Großbritannien Peter Oborne für mediale Aufregung gesorgt. Der politische Chef-Kommentator der Tageszeitung Daily Telegraph hat seinen Job hingeschmissen und dies in einem langen Text bei Opendemocracy damit begründet, dass die Zeitung die Interessen von Anzeigenkunden über die der Leser stellen würde. Oborne spricht vollmundig von “Betrug am Leser”.
Beim Telegraph geht es vor allem darum, dass Oborne kritisiert, die Zeitung habe die Londoner Großbank HSBC geschützt, um einen lukrativen Anzeigenauftrag zurückzugewinnen. 2013 recherchierte der Telegraph über HSBC-Konten auf der Kanal-Insel Jersey. Dies habe dazu geführt, dass die Band ihre Anzeigen bei der Zeitung zurückgezogen habe. Oborne zitiert einen Telegraph-Manager in seinem Text mit den Worten, HSBC sei “der Anzeigenkunde, bei dem man es sich nicht leisten kann, ihn zu verärgern.” Aktuell steht HSBC wieder im Fokus der Medienkritik, weil die Bank in der Schweiz Schützenhilfe zur Steuerhinterziehung geleistet haben soll. Oborne kritisiert, im Telegraph müsse man Berichte hierzu mit dem Mikroskop suchen.
Oborne nennt noch einige weitere Beispiele für Telegraph-Berichterstattung, bei denen er Gefälligkeiten vermutet, etwa einen Bericht über den Kreuzfahrtanbieter Cunard oder einen Kommentar über die Unruhen in Hong Kong, der sehr China-freundlich ausgefallen war. Der Telegraph hat die Anschuldigungen seines Ex-Mitarbeiters kategorisch zurückgewiesen.
Zweimal haben wie hier einen Ex-Mitarbeiter, der seinem früheren Arbeitgeber unsaubere Praktiken nachsagt. Im Falle der Süddeutschen stehen die Anschuldigen Sebastian Heiser auf zumindest wackeligen Füßen. Sein zentraler Vorwurf der Schleichwerbung für Steuerhinterziehung lässt sich nur mit einigem guten (oder bösem) Willen in die von ihm kritisierte Berichterstattung hineininterpretieren. Außerdem liegen die Vorfälle, die Heiser beschreibt Jahre zurück.
Im Falle des Telegraph hat ein führendes Mitglied der Redaktion wegen aktueller Vorgänge hingeschmissen. Hier geht es auch nicht um redaktionelle Beilagen, die ohnehin in erster Linie als Anzeigen-Umfeld funktionieren (aber trotzdem natürlich journalistisch “sauber” sein sollten), sondern um das Herz der Zeitung: die Berichterstattung über Politik, Wirtschaft und Kommentare. Die Fallhöhe beim Telegraph ist um einiges höher.
Diese Geschichten tauchen auf in einer Zeit, in der Print-Medien und gerade Tageszeitungen unter immer größerem wirtschaftlichem Druck stehen. Neue Werbe-Modelle wie Native Advertising halten Einzug selbst bei seriösen Journalismus-Bastionen wie der New York Times. Unter Native Advertising versteht man von Unternehmen bezahlte Inhalte in redaktioneller Aufmachung, die allerdings durch (kleine) Hinweise als bezahlter Inhalt gekennzeichnet sind und die in den meisten Fällen auch nicht von der Redaktion erstellt werden.
Gleichzeitig bekommen Anhänger von Verschwörungstheorien im Internet eine immer größere Bühne, auf der hemmungslos über eine vermeintliche Gleichschaltung von Mainstreammedien debattiert wird.
Vorwürfe, wie sie hier erhoben werden, sind Wasser auf die Mühlen der Medienkritiker. Sie zielen auf das höchste Gut der Zeitungen, ihre Glaubwürdigkeit. Mal ganz abgesehen von den Wirrköpfen, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit “Lügenpresse” rufen: Sobald Leser das Gefühl bekommen, Zeitungen schreiben Anzeigenkunden nach dem Mund, gibt es keinen Grund mehr für teure Abos.
In den Chefredaktionen und Verlags-Etagen scheint die Gefahr, die von dieser Gemengelage ausgeht noch nicht recht angekommen zu sein. Anwürfe, wie aktuell die von Sebastian Heiser oder Peter Oborne werden in der Regel mit knappen Statements kategorisch zurückgewiesen. Ende der Durchsage, weiter im Tagesgeschäft. Medien waren in der Regel schon immer eher schlecht, was Kommunikation, erst recht Krisenkommunikation, in eigener Sache betrifft. Möglich, dass dies heute nicht mehr reicht. Medien sollten sich viel stärker um das Bild, das sie in einer komplizierter gewordenen Öffentlichkeit abgeben kümmern.
Damit ist aber natürlich nicht die Flucht in PR-Phrasen gemeint. Zeitungen, die sich solchen Vorwürfen ausgesetzt sehen, wie jetzt die Süddeutsche und der Telegraph, sollten entschlossen, ausführlich und konkret Stellung beziehen und ihre Arbeitsweisen möglichst transparent machen. Bezeichnend ist zum Beispiel auch, dass die Süddeutsche gar keinen eigenen Pressesprecher mehr hat. Eine gute Idee wäre es auch, Kritiker einzuladen zu einer öffentlichen Diskussion. Ja – shocking! – dies womöglich auch noch im eigenen Blatt, auf der eigenen Website zum Thema machen. Auf diese Weise kann Glaubwürdigkeit sogar noch gestärkt werden. Eine solche Strategie des offenen Visiers und der Transparenz funktioniert aber natürlich nur, wenn die Medien tatsächlich nichts zu verbergen haben. Karl Kraus