5,w=985,c=0.bildEs war ja und es ist ja nicht nur das Land gespalten, es zieht sich der Spalt auch durch die Hirne der Bewohner und derweil auch hierzulande die große Politik Kurs auf Europa nahm, kam das Wort „Vaterland“ wieder in Mode. Politiker, gewohnt noch den letzten Abfall in Energie für ihre Ziele umzusetzen, begannen immer beschwörender vom „Europa der Vaterländer“ zu schwadronieren. Womit sich der anwachsende neue Nationalismus zwar bagatellisieren, nicht aber bereits benutzen ließ.

Und, wer ihn zu benutzen sucht, wird doch schon von ihm genutzt. Statt nämlich eines Bekenntnisses zu Europa als, sagen wir mal, Vorstufe realisierbaren Weltbürgertums kam allenfalls eine Bestärkung nationalstaatlicher Eigenbrötelei heraus. Im Rückwärtsgang.
Nutznießer, das sind die Rechten. Von gefühlsduseligem Nationalstolz führte und führt dieser deutsche Kurzschluss geradewegs zu rassistischer Überheblichkeit.
Und, während die alphabetisierten Barbarengruppen ihren Vandalismus mit dem Bekenntnis des stolz Seins auf Deutschland thematisieren, treten akademische Beschwichtigter auf, die von „allemal legitimer Heimatliebe“ reden, auf dass die geschwollene Vaterlandsliebe nichts mehr weiter zu sein scheint, als die Summe aller Heimatlieben, welchen, wie ja überhaupt niemandem es verboten ist, etwa die Straße, in der er wohnt zu lieben, oder den versauerten Wald hinterem Haus, gar den Brunnen vor dem Tore, dessen Wasser zu trinken auch eine noch so große Zuneigung nicht nahelegen sollte.
Es muss die Frage, wo Liebe zur Perversion wird, gar nicht gestellt werden, es wäre denn, die Naivität sei gewollt, gleichwie hierzulande Heimat- und Vaterlandsliebe traditionsgemäß schon immer auch zu menschenfeindlichen Zwecken ausgenutzt wurde.

Natürlich muss Karrikatur überteiben dürfen, hier persifliert sie sich selber und weist eben damit dem Betrachter den Weg

Natürlich muss Karrikatur überteiben dürfen, hier persifliert sie sich selber und weist dem Betrachter den Weg

Eine wirklich aufgeklärte Liebe zur Heimat hingegen hätte sich zum Schutz von Natur und Bewohnern vor Vergiftung und Zerstörung zu bewähren, womit nämlich Liebe nicht blind machte, sondern scharfsichtig. Wo sie dies nicht wenigstens versucht, ist sie nur der erneute Aus- und Aufbruch in die Feindschaft gegen „die anderen“ und das sind immer die zu Feinden erklärten Fremden und Andersdenkenden.
Wie sehr sich der neue, pegidale Nationalismus dem hierzulande vorangegangenen annähert, lassen wir mal sich ergeben aus der Lektüre der Weltbühne aus der Zeit der Weimarer Republik. Einen nicht unwesentlichen Teil ihres militanten Pazifismus richteten Redaktion und Mitarbeiter des tapferen kleinen Blattes gegen die Blut-und-Boden-Romantik der Nationalen, dieser Naziwurzel.

Die Textsammlung von Kurt Tucholsky mit Montagen von John Heartfield erschien 1929. Vier Jahre vor Adolf Hitlers Ermächtigung veröffentlichte Tucholsky seinen »politischen Baedeker« zu Deutschland, ein »Bilderbuch« zur Lage von Staat und Nation.

Die Textsammlung von Kurt Tucholsky mit Montagen von John Heartfield erschien 1929. Vier Jahre vor Adolf Hitlers Ermächtigung veröffentlichte Tucholsky seinen »politischen Baedeker« zu Deutschland, ein »Bilderbuch« zur Lage von Staat und Nation.

Tucholsky sah sich schließlich veranlasst, sehr deutlich zu werden: „Ja, wir lieben dieses Land … Wir pfeifen auf die Fahnen – aber wir lieben dieses Land … Wir haben das Recht, Deutschland zu hassen, weil wir es lieben. Man hat uns zu berücksichtigen, wenn man von Deutschland spricht, uns: Kommunisten, junge Sozialisten, Pazifisten, Freiheitsliebende aller Grade … Wie einfach, so zu tun, als bestehe Deutschland nur aus den nationalen Verbänden. Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir.“
So lässt Tucholsky seinen Satireband „Deutschland, Deutschland über alles“ enden. Und den Titel legitimierte er mit den Worten: „Aus Scherz hat dies Buch den Titel bekommen – jenen törichten Vers eines großmäuligen Gedichts. Nein, Deutschlands steht nicht über allem …“
Genau aber diese Worte des Deutschlandliedes, was Wunder der ersten Strophe, werden von den Neonazis wieder gesungen, wobei vorhersehbar war, dass die dritte Strophe automatisch zur ersten zurückführen würde.

B62R4n2CYAAMm1i.jpg-largeNoch ist Opposition möglich, die deutsche Lage ist nicht ganz aussichtslos, insgesamt – denken und hoffen wir – ist „der Deutsche“ besser als sein allüberall schlechter Ruf und das Volk (nicht die „wir sind das Volk“) aufrechter als seine jeweilige Regierung, wobei es den Unheilspropheten immer mal wieder einen großen Teil der Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen, auf dass Panik zu drohen scheint. Nicht alle aber lassen sich auf Ewigkeit erniedrigen und oder verblöden von etwa solchen Gruppierungen wie den vornehmlich  im Osten der Republik erstarkten Pegidaisten. Widerstand ist denkbar, Demonstrationen gegen dies „das Volk“ beweisen uns das!
Und, nicht zuletzt leben Millionen Ausländer im Land, auf die, wer noch bei Verstand ist, hoffen darf – Pegida jedenfalls hat den Zenit überschritten, lassen wir sie, bis die das auch gemerkt haben, in ihrer eigenen schmutzigen Brühe schmoren, leisten wir wie auch immer Widerstand. Die Nationalen und Völkischen werden nicht wie Anno 1933 siegen, wollen und schreiben wir mit der Macht der Metapher, die aber noch lange nicht aus einer Ohnmacht resultiert.

So voller Menschen (klicken Sie aufs Bild) war der Uniplatz schon lange nicht mehr. Heidelberger demonstrieren mit „NOGIDA“ gegen Pegida und gedenken der Opfer der Terroranschläge in Frankreich. Foto: Rothe

So voller Menschen (bitte klicken Sie aufs Bild) war der Uniplatz schon lange nicht mehr. Heidelberger demonstrieren mit „NOGIDA“ gegen Pegida und gedenken der Opfer der Terroranschläge in Frankreich. Foto: Philipp Rothe

"Dem lebendigen Geist". Foto: Philipp Rothe

Im Hintergrund: „Dem lebendigen Geist“. Foto: Philipp Rothe

Mag den Hohlköpfen, die wir meinen, Metapher als literarische Übertreibung erscheinen. Hier aber ist leider nichts übertrieben, die Zustände eskalieren längst ins verbal nicht Übertreibbare. Wer vor Jahren die  derzeit zu erlebenden Brandschatzungen und Morde voraussagte, wurde beschimpft oder ausgelacht. Indessen erlaubten und erreichten auch unsere Politiker die Realisierung nazistischer Idiotien, denen beizeiten nicht widerstehen zu können offenbar zur Voraussetzung politischer Karrieren in Deutschland immer noch und immer mal wieder gehört.
Wolfgang Niedecken singt seit 1982 sein Lied „Et riech nach Kristallnaach“. Und als der Tübinger Philosophieprofessor Manfred Frank am 9. November 1992 in der Frankfurter Paulskirche die Parallele zur „Kristallnacht“ 1938 auch nur andeutete, erregte sich die CDU wochenlang und die SPD erging sich in peinlichen Entschuldigungen. Alfred Andersch wurde kurz vor seinem Tod eines Gedichts wegen deutschlandweit beschimpft, weil er Gasgeruch verspürte. Seit Jahren sang sich die Rockband „Störkraft“ mit dem Lied „Blut und Ehre“ ungestört von Jugendgruppe zu Jugendgruppe: „Einst hatten wir ein großes Reich, doch es ist langsam ausgebleicht, Wachet auf und lasst es nicht zu, dass dein Land zerschellt wird immerzu.“

„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“
Wehret den Anfängen? Die währen doch schon überlange. Wehren wir uns denn also da-gegen!

Jürgen Gottschling

Jan 2015 | Allgemein, Junge Rundschau, Kirche & Bodenpersonal, Politik, Sapere aude | Kommentieren