… woraus er unseretwegen (wie schließlich andere Konfessionen auch), das Recht zur freien Religionsausübung ableiten können soll, auf angemessene Gebetsstätten und unseren ganzen Respekt. Dies allerdings dezidiert unter der Bedingung,
dass auch diese Religion die republikanischen und laizistischen Regeln beachtet, keinen extraterritorialen Status für sich beansprucht, der anderen Religionen verweigert wird, und keine Sonderrechte und Ausnahmen wie etwa bei Schwimmen und Sport für Frauen und Geschlechtertrennung im Unterricht oder andere Vorrechte fordert. Dieses Problem steht in einem spannungsreichen internationalen Kontext: Eine Welle des Fundamentalismus brandet gegen Europa, ein Versuch, die der Laschheit beschuldigten muslimischen Gemeinden zu reislamisieren und zuletzt den ganzen Kontinent der Ungläubigen unter das Gesetz des Propheten zu stellen. Diese Bewegung wird von unterschiedlichen revanchistischen Gruppen getragen, den saudischen Wahabiten, der Muslimbruderschaft, den Salafisten, die untereinander selbst um die radikalste Position wetteifern. Umso wichtiger ist es, klar zu machen, dass wir die Entstehung eines aufgeklärten europäischen Islam bevorzugen, der als Modell für Muslime in der ganzen Welt dienen kann.

Wir haben in dieser Hinsicht die Wahl zwischen zwei Richtungen. Die eine ist eher angelsächsischer Prägung und beharrt auf einem strikten Differentialismus, der auf dem Respekt vor den Konfessionen und der Religionszugehörigkeit beruht – ein Modell, für welches das multikulturelle Kanada das Vorbild bleibt. Die andere ist die eher französisch inspirierte, die auf der strikten Trennung von Kirche und Staat beruht und den Glauben dem Zivilrecht unterordnet. Auch wenn, wie Timothy Garton Ash zurecht feststellt, beide Modelle in der Krise sind, scheint mir, dass das laizistische französische Modell in jeder Hinsicht den besseren Kompaß abgibt.

FreiheitWeil das moderne Frankreich (auch) gegen die katholische Kirche entstanden ist, hat es sich eine große Empfindlichkeit für jeden religiösen Fanatismus bewahrt. Wir meinen, dass Frankreichs Regierung im Recht war, als sie dem Parlament ein Gesetz zum Verbot religiöser Symbole in der Schule und den Behörden vorschlug. Diese Initiative war erfolgreich,  sie hat die Streitpunkte auf ein Minimum reduziert. Eine Mehrheit der französischen Muslime haben ihm, auf ihre Emanzipation bedacht, zugestimmt.

“Im Streit zwischen Schwachen und Starken hilft die Freiheit, die Schwachen zu unterdrücken, während das Gesetz sie schützt”, sagte der Abbe Gregoire während der Revolution. Das ist so wahr, daß eine Reihe veranwortungsvoller Politiker in Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland, schockiert von den unter islamischer Flagge verübten Exzessen, nun ihrerseits (ohnehin längst fällige) Gesetze gegen religiöse Symbole im öffentlichen Raum erlassen wollen. Die Trennung zwischen dem Spirituellen und dem Weltlichen muss strikt bleiben (es dringend wieder werden) und der Glaube muss sich auf den Privatbereich beschränken.

Es genügt nicht, den Terrorismus zu verurteilen. Zugleich muss sich die Religion, die ihm Nahrung gibt und auf die er sich zu Recht oder zu Unrecht beruft, verändern. Kann man die Inquisition, die Hexenverbrennungen, die Kreuzzüge, die Verurteilung der Häretiker verstehen, ohne sich auf die römische Theologie zu beziehen? Dem Islam muss gelingen, was das Christentum seit dem 15. Jahrhundert geschafft hat: Er muss sich der Moderne fügen und sich der heutigen Mentalitäten anpassen. (Merkel vs. Grüne)

Letzten Samstag in Heidelberg. Providenzturm im Hintergrund

An einem Samstag in Heidelberg. „Festgemauert in der Erde“ der Providenzturm im Hintergrund

Schließlich hat Rom vor wenigen Jahrzehnten immerhin eingeräumt, die Vorladung Galileis durch den Vatikan vor die Inquisition nach Rom werde heute so gehandelt, dass, hätte er nicht nur das ptolemäische Weltbild als falsch, sondern darüber hinaus sein eigenes als das einzig richtige bezeichnete (was nicht stimmt, wie wir spätestens seit Einstein wissen), wurde die – sagen wir mal –  “Toleranz der Kirche” ernsthaft auf die Probe gestellt. Die Zurücknahme der kirchlichen Schritte gegen Galilei erfolgte 1992 (1992!) durch Papst Johannes Paul II.

Es scheint in Vergessenheit geraten, dass der Kampf in Europa gegen die Kirche mit sektiererischem Eifer und – von beiden Seiten – mit unerhörter Brutalität geführt wurde, dass („Auge um Auge, Zahn um Zahn“) die Kathedralen brannten, Priester, Bischöfe und Nonnen aufgeknüpft und guillotiniert worden sind und Kircheneigentum eingezogen wurde. Aber letztlich hat uns diese Schlacht aus der Bevormundung durch die Kirche befreit und Rom sowie die verschiedenen Richtungen des Protestantismus zu radikalen Einschränkungen ihres Anspruchs geführt, die Gesellschaftsordnung zu bestimmen, die Bewusstsein und die Körper zu administrieren. Es gibt keinen Grund, dass der Islam, da er in den demokratischen Raum des Westens eintritt, dieser Säkularisierungsbewegung entgehen und Sonderrechte sollte genießen dürfen, die anderen Konfessionen verwehrt blieben.

Da es jedoch christliche und jüdische Krankenhäuser gibt, oder die Frage für Musliminnen reservierter Strände, da es doch Strände für Nudisten gibt, also alles eine Frage des Geschmacks ist, hat Necla Kelek die treffende Antwort gefunden:Bodenpersonal

Wehret den Anfängen!

Wehret den Anfängen!

„Es ist die Absicht der Islamisten, im ganzen sozialen Raum eine vertikale Segregation zwischen Männern und Frauen zu installieren, im Bereich der Medizin wie der Freizeit und der Bildung, und also im Inneren der offenen Gesellschaften ein freiwilliges Apartheidregime zu errichten“. Man sieht, was hinter dieser Verteidigung des Multikulturalismus im Namen der Toleranz steckt: sie endet mit der Abschaffung der gemeinsamen Welt. Vom Recht auf die Differenz gelangt man rasch zur Differenz der Rechte, mit der man die Gläubigen vor der Verschmutzung mit gottlosen und also unreinen Ideen und Verhaltensweisen bewahren will.

Auf dem Spiel steht die Chance, dass der Islam sich früher oder später, wie Rom mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil,  einer wirklichen Aktualisierung unterzieht, klarsichtig sein Verhältnis zur Gewalt und zur Weltherrschaft befragt und kritisch die vierzehn Jahrhunderte seiner Geschichte analysiert. Der Kampf gegen den Fundamentalismus ist nicht möglich ohne die Muslime, da sie die wirklichen Opfer sind. Die hellsichtigsten, die moderatesten unter ihnen beschwören uns nicht zuletzt im Hinblick auf die Pariser Morde, ihnen zu helfen. Die Angelegenheit ist  ernst. Wir müssen uns für die richtigen Methoden und die richtigen Verbündeten entscheiden. got

Jan 2015 | Allgemein, In vino veritas, Kirche & Bodenpersonal | Kommentieren