Wann immer ich – egal welche – Zeitungen lese, nehme ich an einem Geschichtsunterricht teil, lerne sowohl von dem, was geschrieben steht, als auch von dem, was – wenn ichs denn merke – verschwiegen wird.
Ist es vielleicht deshalb so, dass das Schweigen oft mehr aussagt als Worte – und dass Worte, sind sie verlogen, eben dann und drum, und ungewollt von den Schreibern natürlich, die Wahrheit zu sagen in der Lage sind?
„Ich kann allem widerstehen, nur der Versuchung nicht“, sagte Oscar Wilde. Nun, ich muss gestehen, dass ich der Versuchung erlag, einige Episoden des menschlichen Abenteuers auf der Erde nachzuerzählen – und zwar aus der Sicht derer, die auf keinem Bild zu sehen sind. Sagen wir einmal, es handelt sich um wenig bekannte Sachverhalte. Hier fasse ich nun einige zusammen, verschwindend wenige im Vergleich dazu, was ist …
Als sie aus dem Paradies vertrieben wurden, zogen Adam und Eva nach Afrika – und nicht nach Paris. Etwas später, als ihre Kinder sich über die ganze Welt verbreitet hatten, wurde die Schrift erfunden. Im Irak, nicht in Texas. Auch die Algebra ist an den Ufern des Euphrat erfunden worden. Mohamed Al-Jwarizmi hat sie vor 1.200 Jahren begründet. Begriffe wie Algorithmus sind von seinem Namen abgeleitet.
Die drei Neuerungen, denen die europäische Renaissance zu verdanken ist – der Kompass, das Schießpulver und der Buchdruck – hat China hervorgebracht, wo übrigens fast alles herkommt, was Europa noch einmal „erfunden“ hat – das haben wir zu bedenken, wenn wir von Produktpiraterie sprechen.
Und dann, lange nicht zu guter Letzt, waren es die Hindus, die als aller Erste wussten, dass die Erde rund ist – die römisch-katholische Kirche hat das immerhin vor etwa zwei Jahrzehnten auch eingeräumt. Bravo, Klerus, der Du bist; und so weiter …
Während das 18. Jahrhundert heranreifte, unterschrieb Philipp V., der erste der Bourbonen in Spanien, bei Antritt seiner Regentschaft einen Vertrag mit seinem Cousin, dem König von Frankreich, damit die Compagnie de Guinée schwarze Sklaven nach Nordamerika verkaufen durfte. Jeder Monarch war mit 25 Prozent am Gewinn beteiligt. Die Schiffe der Sklavenhändler trugen Namen wie: Voltaire, Rousseau, Jesus, Hoffnung, Gleichheit und so weiter. Zwei der Gründungsväter der USA, die leider im Nebel der offiziellen Geschichtsschreibung verschwanden, hatten später damit zu tun. Niemand erinnert sich an Robert Carter oder Gouverneur Morris. Mit Amnesie fanden sich ihre Taten belohnt. Dabei war Carter der einzige Freiheitskämpfer, der seine Sklaven befreit hatte. Und Morris widersetzte sich als Redakteur der amerikanischen Verfassung der Bestimmung, dass ein Sklave drei Fünftel einer Person Wert sei.
Die Entstehung einer Nation, die erste Großproduktion aus Hollywood, wurde im Jahr 1915 im Weißen Haus uraufgeführt. Präsident Woodrow Wilson feierte sie mit stehenden Ovationen. Er war der Autor der Filmtexte, eine rassistische Ode an den Ku Klux Klan. Zuvor hatte übrigens 1886 das Oberste Gericht der USA die Menschenrechte auch auf Unternehmen ausgedehnt, was bis heute gilt. Wenige Jahre später überrannten und besetzten die USA zehn Länder – eben in Verteidigung der Menschenrechte, die der Konzerne freilich. Damals schlug Mark Twain als Sprecher der Antiimperialistischen Liga eine neue Fahne vor, mit Totenköpfen statt Sternen. Und ein anderer Schriftsteller, Ambrose Bierce, meinte: „Der Krieg ist der Weg, den Gott ausgesucht hat, um uns Geographie zu lehren.“
Tausende Jahre, bevor 2003 der Irak überfallen wurde, um dem Land die Zivilisation zu bringen, war in diesem Teil der Erde das erste Liebesgedicht der Menschheitsgeschichte entstanden. In sumerischer Sprache, auf Lehm geschrieben, erzählte es vom Treffen einer Göttin mit einem Hirten. Inanna, die Göttin liebte in jener Nacht als wäre sie sterblich- und hat sich am Ende dann auch wie eine Sterbliche verhalten:
»Von dem »Großen Oben« auf das »Große Unten« richtete sie ihren Sinn, …
Inanna verließ Himmel und Erde, …
In die Unterwelt stieg sie hinab. …
Da sie das siebente Tor betrat,
Das Pala-Gewand der Herrscherin wurde ihr von den Gliedern genommen.
Tief gebeugt, wurde sie nackt vor Ereschkigal gebracht.
Die reine Ereschkigal setzte sich auf ihren Thron,
Die Anunnaki, die sieben Richter, sprechen Recht vor ihr,
Sie richtete ihren Blick auf sie, ihren Todesblick,
Sprach das Wort gegen sie, das Zorneswort,
Stieß den Schrei gegen sie aus, den Schrei der Verdammnis.
Die kranke Frau wurde zum Leichnam,
Der Leichnam wurde an einen Nagel gehängt. …
Inanna wurde mit Hilfe der Götter wieder zum Leben erweckt und befreit, musste jedoch einen anderen Gott an ihrer Stelle in die Unterwelt schicken. Sie ging den Hirten Dumuzi zu treffen:
Dumuzi legte ein edel Gewand an, er saß hoch auf einem Sitz.
Die Dämonen packten ihn bei den Schenkeln …
Danach richtete sie (Inanna) den Blick auf ihn, den Todesblick,
Sprach das Wort gegen ihn, das Zorneswort,
Stieß den Schrei gegen ihn aus, den Schrei der Verdammnis:
»Ihn schleppt davon!«
Die reine Inanna gab den Hirten Dumuzi in ihre Hände.
Der Hirte war unsterblich, solange die Nacht anhielt – und er davon geschleppt wurde auf ihr Geheiß …