Das Bedürfnis der Guten – und das sind immer die, die von sich sagen, dass sie es wären: „gut“ – also deren Bedürfnis gegen die „Bösen“ zu argumentieren oder zu kämpfen, das kennen wir über alle Zeiten hinweg und es ist geblieben, so wie es immer war. Wo es sich aber austobt, wird jede Sachauseinandersetzung mit Moralin aufgeladen. Wir müssen uns gewundert haben dürfen darüber, wie Mitglieder der Generation-hd in aller Öffentlichkeit mit Mitgliedern von Generation Vielfalt und mit Waseem Butt umgegangen sind und meinen zum Hinterfragen ja nachgerade aufgefordert worden zu sein darüber, was es mit alledem wirklich auf sich hat. Und tun ebendies: Zumindest einmal hätte aufgefallen sein müssen, womit all Jene, die ein Mitschwimmen der beiden gewählten Vielfaltigen mit der GAL wollten und mithin gerne verhindert hätten, dass sich Wasseem Butt dem widersetzt und stattdessen lieber zur CDU abgeschwenkt ist, womit und mit welchen „Argumenten“ da Andersdenkende beworfen wurden. Und werden … Gespräche „mit vielen Fraktionen wie unter anderem mit der GAL“ waren eben auch mit der CDU geführt worden. Die Basis der Generation HD aber – so die Lesmeinung – sprach sich gegen eine Zusammenarbeit mit der CDU und für eine Zusammenarbeit mit der GAL aus. Ja, und? Das musste doch aber dann nicht in jenem Automatismus enden, der zu schlechter Letzt darauf hinausgelaufen wäre, dass die Basis der Einen, nämlich die der Generation.hd zu Wort und zum Zug kommen würde, wohingegen die Basis der „Liste Vielfalt“ dazu – mit bitte was für einem Demokratieverständnis werden da die Einen von den Anderen abgebügelt – gar nichts hätte zu sagen gehabt haben sollte. Das war – stelle ich jetzt mal in den Raum – den lautstärkeren offenbar völlig schnuppe. Dem Waseem Butt war es das aber nicht. Und er hat nicht getan, was ihm oft angeraten wurde, „einer Schamfrist wegen nämlich eine zeitlang bei der GAL oder wenigstens einer anderen Gruppierung im gleichen Lager“ mitzutun. Spätestens da haben wir es wieder, das böse Wort: „Lager“! Wird doch sonst nicht nur der Öffentlichkeit gegenüber penibel vermieden, auch nur den Anschein eines Lagerdenkens oder etwa gar eines Lagerverhaltens zu zeigen. Im (siehe unten) Rundschau-Gespräch meinte Butt nota bene zu alledem nicht nur, dass keiner jener Journalisten und Journalistinnen, die je über ihn geschrieben haben, auch nur einmal mit ihm geredet haben, sondern konkret zu diesem Vorschlag, dass, hätte er sich so verhalten, wie ihm angeraten wurde, er sich genau dessen schuldig gemacht hätte, was man ihm jetzt vorwirft, nämlich: „Lüge!“, „Wortbruch“!, „Wählerbetrug!“, „Wählertäuschung!“ – sogar „Verrat!“; all diese Vokabeln aus dem (un)geistigen Bürgerkrieg blieben ihm nicht erspart. Die kleine Heidelberger Welt war mit einem Mal wieder einmal mehr nicht mehr in Ordnung,, war „out of joint“, aus den Fugen. Ja, wo simmer denn? Wir sind mal wieder nicht nur in „der Stadt, an Ehren reich“ („Alt Heidelberg, Du Feine“) sondern auch (Ernst Bloch) „im Mekka des Geschwätzes!“ Aber, bislang, soweit jedenfalls ich mich erinnern kann, hat niemand so ungeniert und mit so gutem Gewissen Sachdebatten moralisiert, den politischen Wettbewerb so moralisch aufgeladen, wie – von“ Kauft nicht bei Butt – das ist noch einmal eine ganz andere Kategorie) mal abgesehen, die „Kritiker“ des butt’schen Verhaltens. Allenfalls würden hier rationale Argumente gefragt sein, nicht aber ein moralisches Verdikt. Natürlich ist es bei politischen Ränkespielen nicht gerade einfach und auch nicht immer angesagt, die Moral ganz aus solchem Spiel herauszulassen, denn unsere Sprache unterscheidet nicht zwischen Benennung und Bewertung. Verben wie „schaden“, „nützen“, „helfen“, „hindern“ oder Adjektive wie „korrekt“ oder „seriös“ – „unseriös“, sie alle haben eine moralische „Konnotation“, einen moralischen Beigeschmack. Politisches (politisches!) Handeln soll ja auch dem Postulat der Gerechtigkeit entsprechen. Dennoch und trotz alledem: Sachdebatten können sehr wohl so geführt werden, dass niemand auch nur auf die Idee kommen kann, hier kämpften die Guten gegen die (den) Bösen. Wer diesen Dualismus dann aber nur lange genug gepflegt hat, kommt – was Wunder – leicht in Versuchung, sich selbst zu glauben, womit sich dann (was wir in Heidelberg gerade mal wieder erleben) etwas Entscheidendes ereignet: Die Moral wird genau da weggewischt, wo sie hingehört. Bei den Mitteln nämlich. Wer aber lange genug mit moralischer Diskriminierung (nennen wir das mal trotzdem so:) „Politik“ gemacht hat, neigt leicht dazu, auch unmoralische Mittel („Kauft nicht bei Butt“) zu rechtfertigen. Moral an der falschen Stelle produziert Unmoral schlussendlich sogar da, wo Moral und Gesetz sich decken. Wir erleben Moralisierung als Anfang der Unmoral. Moralin war und ist der schlimmste Feind der Moral! Schon die Scholastiker wussten, dass die summa moralis die summa immoralitas erzeugt. Ist es nicht aber zudem so, dass jeder Moral auch eine Dialektik innewohnt? ‚ Darüber, auch darüber, oder besser: darüber jedenfalls – ließe sich noch lange in dieser unseren Stadt zielführender als gerade jetzt trefflich streiten. Und darüber, ob ein Stadtrat gewählt wird, auf dass er die Schwarmintelligenz der Basis anzapfe, um dann so zu handeln oder abzustimmen, wie der Schwarm zickzackig in verschiedener Zusammenstellung herumfliegt oder herumschwimmt, oder muss er oder sie davon ausgehen dürfen, dass er oder sie gewählt worden sind, weil sie – egal wie – ticken wie sie ticken? Von letzterem geht aus: Jürgen Gottschling Und das muss noch gesagt werden dürfen: in alledem finde ich unschwer die Freudsche These aus Massenpsychologie und Ichanalyse verlängert, dass Weiterungen von Autorität im Umgang mit anderen nicht nur subjektiv den Charakter des Lieb- und Beziehungslosen, sondern – in diesem „Fall“ zumal – nachgerade den der Unverfrorenheit, der Kälte und vielfach auch der Verlogenheit in sich tragen. Venceremos? So?

Okt. 2014 | Heidelberg, Allgemein, Feuilleton, Theater | 1 Kommentar