Über die Frage, seit wann es Staaten gibt und wo ihre Ursprünge liegen gibt es viele konträre Meinungen. Ist die Entstehung des Staates allein ein Konstrukt der Neuzeit, wie Vertreter des öffentlichen Rechts behaupten, oder gab es bereits weit in der Vergangenheit zurückliegend erste Staatsformen, wie sie Ethnologen, Archäologen, Historiker und Soziologen zu erkennen glauben? Der Diskurs wird von jeder der Disziplinen isoliert geführt – eine schlechte Voraussetzung für die Findung einer umfassenden Theorie. Stefan Breuer führt in »Der charismatische Staat. Ursprünge und Frühformen staatlicher Herrschaft« nach 25 Jahren intensiver Forschungsarbeit  die Erkenntnisse der verschiedenen Fachrichtungen zu einem klaren Bild zusammen.  Sein Buch erscheint im August bei der WBG.

Stefan Breuer  Der charismatische Staat  Ursprünge und Frühformen staatlicher Herrschaft  2014 WBG. Etwa 320 S. mit 7 Karten,  Reg., geb., € 49,95 [D]  ISBN 978-3-534-26459-9  Erscheint: August 2014

Stefan Breuer
Der charismatische Staat
Ursprünge und Frühformen staatlicher Herrschaft
2014 WBG. Etwa 320 S. mit 7 Karten,
Reg., geb., € 49,95 [D]
ISBN 978-3-534-26459-9
Erscheint: August 2014

Bereits bei der Begriffsbestimmung des »Staates« scheiden sich die Geister. Einen umfassenden Ansatz, der sich zwar am modernen Staatswesen orientiert, dabei aber in seinen Merkmalen auch vormoderne Formen nicht ausschließt, hat bereits Max Weber geliefert. Bei ihm definiert sich ein Staat durch ein »Monopol des Zwanges«, durch den eine Ordnung durchgesetzt werden kann. Der Zwang muss dabei nicht allein physischer, sondern kann auch psychischer Natur sein. Das dadurch entstehende Herrschaftsverhältnis gewinnt jedoch erst dann Geltung und wird stabil, wenn es als verbindlich anerkannt wird. An dem dafür nötigen »Glauben« der Untertanen an die Legitimität der Ordnung setzt Stefan Breuer bei der Suche nach Ursprüngen und Frühformen staatlicher Herrschaft an. Dazu untersucht er empirische Beispiele aus der vormodernen Vergangenheit.

Die Herrschaft des Charisma: Von der Religion zur Institution

In frühesten Stammesgesellschaften existierten noch egalitäre Verwandtschaftsstrukturen. Durch den Ahnenkult hob sich jedoch bald ein Klan mit einem Häuptling heraus, der die Gemeinschaft bei Ritualen gegenüber den Göttern vertrat. Dieses Verhältnis verkehrte sich jedoch, als der Häuptling als eine Art König für sich beanspruchte, ein Vertreter der Götter vor der Gemeinschaft zu sein. Damit war die erste Herrschaftsordnung, basierend auf Gläubigkeit, geboren. Mit einer weiteren demographischen, territorialen und politischen Ausdehnung, die nicht zuletzt auch stark von den gegebenen Umweltbedingungen abhing, entwickelten sich aus diesen Gemeinwesen schließlich erste Typen eines urbanen Territorialstaates. Dabei zog sich die Landbevölkerung zunehmend hinter die gesicherten Mauern des Herrschaftszentrums zurück. Grund dafür war vor allem der Kampf um Prestigegüter, der zu kriegerischen Auseinandersetzungen und schließlich zur Unterwerfung von anderen Stadtstaaten führte.  Mit einer zunehmenden Institutionalisierung des Charismas in Form von Erbfolgen und Ritualen, bei denen persönliche Eigenschaften nicht mehr ausschlaggebend für den Herrschaftsanspruch waren, entstand schließlich der Patrimonialstaat.

Über das Buch:

Von der grauen Theorie zur Empirie: Stefan Breuer vergleicht die Entwicklung von Herrschaftsstrukturen in Ozeanien, Südamerika, China, Mesopotamien, Ägypten und der Ägäis. Dabei entdeckt er erstaunliche Parallelen, aber auch Unterschiede und weist auf, wie das magische Charisma von einst den Weg zur Institution fand.

  Über den Autor:

Stefan Breuer, geb. 1948, ist Professor für Soziologie in Hamburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Max Weber, die politische Rechte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die – (prä)historischen – Ursprünge von Herrschaft und Staatlichkeit.

Bei der WBG erschien von ihm unter anderem ›Ordnungen der Ungleichheit. Die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871 – 1945‹ (2001), ›Nationalismus und Faschismus. Frankreich, Italien und Deutschland im Vergleich‹ (2005) und zuletzt „Die Völkischen in Deutschland“ (2. Aufl. 2010).

Juli 2014 | Allgemein, Buchempfehlungen, Feuilleton | Kommentieren