Ohne Preis kein Fleiß? Ohne Preis keine Kultur! Ohne Preis keine Kultur? Und Heidelberg? Der Brentanopreis! Und der Literaturbetrieb?
![Nein, das ist nicht der diesjährige Preisträger des Brentano-Preises der Stadt Heidelberg. Das i s t Clemens von Brentano](http://rundschau-hd.de/wp-content/uploads/2014/07/01692838_400-300x221.jpg)
Nein, das ist nicht der diesjährige Preisträger des Brentano-Preises der Stadt Heidelberg. Das i s t Clemens von Brentano
Es war einmal ein Schriftsteller, der es für gar sehr verwerflich hielt, Literaturpreise anzunehmen. Sein Kollege Dada hingegen fand überhaupt nichts dabei. Wenn du dich, meinte der es für verwerflich haltende Schriftsteller – nennen wir ihn A.- mit dem Literaturbetrieb gemein machst, stärkst du ihn, derweil Dada aber dafür hielt, dass er eben diesen Betrieb gerade in der Weise schwäche, indem er ihm nämlich Geld entziehe. „Indem du aber einen Preis annimmst, gibst du zu verstehen, welches dein Preis ist“ hilt A. dagegen, dem von Dada mit der Erwiderung begegnet wurde: „Indem ich jedweden Preis annehme, ganz gleich, wie hoch er datiert ist, signalisiere ich, wie gleichgültig mir der jeweilige Preis und das damit verbundene Geld ist“. „Indem du aber“, wurde ihm erwidert, „zulässt, dass dein guter Name mit so etwas Fragwürdigem in Verbindung gebracht werden darf, wie es ein Literaturpreis nunmal ist, schwächst du bei jenen Jüngeren, die zu dir aufblicken, den Sinn für Richtig und Falsch und damit ihren Widerstand gegen den Literaturbetrieb.“.
„Indem ich ein schlechtes Beispiel gebe, schwäche ich lediglich die Bereitschaft, zu jemandem aufzublicken“, versetzte Dada, „damit aber stärke ich ihren Eigensinn, die wichtigste Voraussetzung dafür, überhaupt jedwedem Betrieb Widerstand entgegenzusetzen.“
Was will uns wer damit sagen?
Die taktische List jener beiden Denker mag gerechtfertigt sein. Der schreibende Schriftsteller aber ist durch keinerlei Taktik und List zu rechtfertigen. Wenn wir wieder ernst machen wollen mit der Literatur, die kein bekanntes, vermessenes und aufgeteiltes Land ist, sondern ein unbekanntes, in das wir gehen können, dann bleibt uns nur jene bewußte, langsame und unumkehrbare Fluchtbewegung, die ein Entlaufen ist: Desertieren vom großen literarischen Haufen mit seinen Fahnen, Kommandos und eingedrillten Bewegungen. Unsere literarische Feldpolizei hat die Welt mit ihren Begriffen vollgestellt. Es wird reglementiert, diszipliniert, moderiert, getalkt bis hin zu jenen Express-Shows, in denen schnell-lesende Autoren sich von noch schneller urteilenden Kritikern bepunkten und mit Geldpreisen versorgen lassen. Dies ist nun der letzte Ausdruck einer auf den Hund gekommenen Literaturanalytik, die gar nicht mehr zu merken in der Lage ist, daß sie genau dort sitzt, wo sonst den Hund die Flöhe beißen.
Aber natürlich hat auch Heidelberg seinen Preis
Berlin, klar doch, unser aller Hauptstadt, hat nicht nur einen Kulturpreis, sondern mehrere angeschlossene Preise. Hamburg dasselbe, Bremen desgleichen. Frankfurt hat einen Goethepreis und viele andere große und kleine Preise und auch einen Friedenspreis. Mannheim hat seinen Preis Schillers wegen, Stuttgart hat einen und Köln und Düsseldorf. München hat einen, den sie alsbald dem Hochhuth gegeben haben, der sich nun endlich anerkannt fühlen durfte. Darmstadt hingegen hat den Hochhut nicht anerkannt, weil Darmstadt den Georg Büchner Preis besitzt und einmal im Herbst vorzeigt.
Es gibt Weinpreise und Bierpreise und Biblis hat auch seinen Preis und es gibt einen Preis für Desinformation. Endlich gibt es den Suhrkamppreis, den Rowohltpreis, den Fischerpreis, den Bertelsmannpreis, weil halt jeder Verlag eine deutsche Kultur ist. Auch die Gewerkschaft hat Preise, die gibt sie am liebsten an Kollektive weg, denn die sind immerhin juristische Personen. Die Arbeitgeber haben Preise, damit beschenken die die wirklichen Dichter, denn mit denen läßt sich auskommen auf einem so hohen Niveau, daß es keinen graust davor – auf den Bergen wohnt noch die Freiheit. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hatte keinen Preis, da schuf sich die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ einen. Das ZDF schuf sich einen Kulturpreis und vergab ihn. Nur die ARD – von den „Privaten“ zu schweigen – hat noch keinen Kulturpreis, doch das muß sich bald ändern.
Brocken vom Tisch des Herrn
Ohne Preis fühlen sich die Kommunen und Sender und Redaktionen so nackt und kulturlos, daß sie sich schleunigst bedecken. Auch – derzeit zumal – wissen sie: Dichter, Künstler und Theater haben immer zu wenig Geld oder gar keins, und man weiß, es fielen schon immer mal Brocken ab vom Tisch der Herrn. Und so haben wir denn auch in Heidelberg den im Jahr 1992 aus der Taufe gehobenen Brentano-Preis. Das mit 20.000 Mark dotierte Stipendium unterscheidet sich (wohltuend) in mehrfacher Hinsicht von geläufigen Literaturpreisen etwa insofern, als es ausdrücklich Autoren vorbehalten ist, die noch keine Preise und Förderungen erhalten haben. Auch über die Vergabe hat die Stadt in bislang beispiellosem Verfahren in Zusammenarbeit mit dem Germanistischen Seminar der Ruperto Carola ein wiewohl langwieriges, so doch kompetentes Konzept entwickelt.
In der Regel: Greisenhafte Greise
Bezeichnenderweise ist heutige Literatur wie ihre Kritik immer weniger ein Ort der Jugend, immer greisenhaftere Greise werfen einander die Bälle zu und drücken sich in den Hirarchien weiter nach vorn und oben. Insofern ist tatsächlich die literarische Qualität verlorengegangen, und das ist die Qualität der Sinnlichkeit, der Freundlichkeit und des Lebens in seiner Fülle. Statt dessen erleben wir aufbrechenden Provinzialismus allerorten, von dort kamen denn auch jene kulturellen Erfahrungswerte, die in ständigen Emanzipationsbewegungen stets neu errungen werden müssen.
Ora et labora
Literatur als Manifestationen eines subjektiven Rationalismus, der Werte verwirft und schafft, neue Formen sucht, neue Inhalte entdeckt, sich weder auf die gesellschaftskritische noch auf die existentielle Ebene ganz einläßt, sie beide aber und andere dazu ständig mit nutzt, Literatur als dennoch progressive Bewegung hin zu einer neuen subjektiven Moral, das findet nicht mehr statt. Was heute an kritischen Gedanken noch überlebt, ist der Nachlaß der letzten Denker, den man freilich geneigt ist als eine Anzahl von Gebets- und Gesangbüchern mißzuverstehen. Es wird hineingeblickt und nachgesungen, nachgebetet und nachgeplappert. Die Kunst aber zu schreiben ist die Kunst zu lieben und zu hassen, die Kunst zu denken, zu verwerfen und zu entwerfen. Hierzulande aber herrscht die Misanthropie derer vor, die das angehäufte bürgerliche Bildungsgut verwalten und jede Lebensäußerung und ungeplante Kreation mit der gequälten Unduldsamkeit beamteter Schriftgelehrter verwerfen. Dies alles darf uns Heidelberger stolz darauf sein lassen, daß die Stadt den Brentanopreis vergibt. Und darauf, wie sie das tut.
Preisverdächtig? Verdächtig!
Bei Tucholsky gibt es drei Stufen: Sprechen – Schreiben – Schweigen. Unsere Kultur hat das Sprechen zum ewig gleichen Geschwätz verkommen lassen. Da kann der schreibende Schriftsteller, bevor er dem Schweigen verfällt, sich nur schreibend abwenden und beiseite gehen. Zu seinen Lesern. Das Wortgesäusel der kulturellen Elite verschafft ihm Ohrensausen, die Formeln der Literaturvermessungsingenieure bereiten ihm Übelkeit. Er erkennt das ganze als faulen Zauber, denn er weiß, käme Georg Büchner in die Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung, er erhielte statt des nach ihm benannten Preises die rote Karte: Du bist aus dem Spiel, Junge. Langhaariger Politextremist, Häuserzerstörer (Krieg den Palästen), vierundzwanzigjähriger Nicht-trocken-hinter-den-Ohren.
Ruhe ist die erste Bürgerpflicht
Offizialkultur ist stets zu einem jedenfalls großen Teil Verwaltung vergangener Zeiten. Kein verstorbenes Genie bleibt davon unbetroffen. Ob man in Darmstadt den toten Büchner fleddert oder ob Nachlaßverwalter Nietzsche, Döblin, Brecht, Tucholsky zensieren und begradigen, stets soll beschönigt, verharmlost, beruhigt und offizialisiert werden. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Besonders bei der Literaturkritik und ihrer alten welken Schwester mit Namen Literaturwissenschaft. Die im Gegensatz zur Offizialkultur stehenden Kulturstreiker sind jedoch inzwischen in bunter Vielzahl anzutreffen: Seltsame Spaßmacher lernen wir da kennen, oratorische Komiker, akrobatische Zungenschläger, welche unsere Stadtkultur bereichern und vorherrschende Einfalt aufmöbeln.
Fernsehen, das hat was:
Gleichwie das Fernsehen erst eine Volksbewegung der Hinwendung zur Glotze erbrachte, so bringt es jetzt beträchtliche Minderheiten zur gemeinsamen Abwendung, und daraus ergeben sich neue Verhaltensformen bei einzelnen und in Gruppen. Man unterhält sich wieder, unterhält einander, spielt, diskutiert, streitet. Sogar gelesen wird wieder während der genormten Fernsehzeit. Wenn das nicht ein Kulturstreik ist? Jedenfalls als Abwendung von der vorherrschenden Offizialkultur. Gegenüber dem Fernsehen wird Lesen geradezu zum individuellen Widerstandsakt. Einer der liest, bestreikt jenes Theater, das eine ganze Stadt auf Volksempfang trimmt. Gegenüber der am Abend von der Fernsehgesellschaft eingenommenen Haltung ist die des einzelnen Buchlesers abweisendes Dandytum, ein Aus- und Aufbruch von irrwitzigstem Individualismus. Eine ungeheure Hoffnung also.
Polemik?
Alles, was bisher hier geschrieben wurde, darf als beleidigende Polemik mißverstanden werden von – und von denen zumal – jenen Dummköpfen, denen gegenüber sie es auch ist! Indessen geht es mehr um die Klärung jener fatalen (west)deutschen Nachkriegsverhältnisse, deren Tendenz viele Schriftsteller dazu zwang, stellvertretend für politische Freiheitsbewegungen aufzutreten. Die Einmischung westdeutscher Schriftsteller in die Politik war notwendig, solange ein Bürgertum, das aus dem Krieg dümmer herauasgekommen ist, als es hineingegangen war, den Ton angab.
Nach Auschwitz waren Gedichte durchaus möglich, aber unter Globke ließ sich nicht ruhigen Gewissens dichten. Auschwitz war Hitlers Erbe. Globke ein Kenn-Name für die Gefahr, daß Auschwitz übergriffe auf die Bundesrepublik. Zur Ehre der westdeutschen Nachkriegsliteratur darf gesagt werden, daß sie sich überall dort einmischte, wo die Gefahr bestand, daß die Politik rückfällig würde. Allerdings schuf die Notwendigkeit, das zu tun, auch erstarrte Fronten.
Dieser Stammtisch sei dem diesjährigen Brentanopreisträger sowohl gewidmet, wie auch der den Preis vergebenden Stadt. Der Text sei aber auch Aufforderung zur Rückkehr in die situationistische Literatur: Mensch, nimm dich selbst, dein Leben, deine Erfahrungen, deine Schmerzen und Freuden. Das wäre dann aber, weiß Jürgen Gottschling, keine Rückkehr. Das heißt weit nach vorn gehen und verdammt allein sein. Allein verdammt. Pass – Maximilian – auf Dich auf, meint tno