Wilhelm Fraenger

Wilhelm Fraenger

1919-1922 – Eine Erinnerung in Zitaten aus Anlass des 50. Todestages von Wilhelm Fraenger am 19. Februar 2014, ausgewählt von Wolfgang Hempel
Ein Freundeskreis lässt sich in Namen fassen: Carlo Mierendorff und Theodor Haubach aus Darmstadt, der Rheinpfälzer Carl Zuckmayer, Egon von Ranshofen-Wertheimer, Wolfgang Petzet, Henry Goverts, der Dichter Hans Schiebelhuth, Emil Henk, Percy Gothein und Wolfgang Frommel, …

Die Aktivitäten, deren Epizentrum zweifellos Fraenger selbst war, beschränkten sich nicht auf Lesungen, Privatseminare und Lichtbildervorträge, wenngleich auch diese gelegentlich ‚Eventcharakter’ hatten und den akademischen Lehrbetrieb konterkarierten. Fraenger drängte mit Verve nach draußen, ins Freie, ins Feld der künstlerischen Expedition. Legendär waren die Aufführungen beim Wolfsbrunnen in Schlierbach, zu denen ein jugendliches Publikum strömte. Dort trat der Psychiater Hans Prinzhorn mit einer jungen Sängerin auf, den altfranzösischen Text „Aucassin und Nicolette“ vortragend, dort kam eine von Zuckmayer zusammengestellte, lockere Szenenfolge mit Liedern und Texten des schwedischen Barockpoeten Carl Michael Bellman zu Aufführung. Entsprechend gestaltete das Programm der ‚Gemeinschaft’ jene kunstvoll inszenierten Begegnungen mit avantgardistischer Kunst. Diese fanden häufig in szenisch arrangiertem Naturambiente statt, wodurch die Wirkung von Vortrag, Gesang und Darstellung mit wandervogelhaftem Naturerleben kombiniert wurde.

Das erste öffentliche Auftreten der ‚Gemeinschaft’ fand am 23. Februar 1919 statt, als Fraenger in der Heilggeistkirche eine Totenfeier für die gefallenen Studenten der Heidelberger Universität durchführte, bei der Fraenger eine Rede hielt. Die Veranstaltung war zugleich dem Andenken an den im Krieg gefallenen Maler Max Zachmann (1892-1917) gewidmet. Das Ausmaß der Provokation, den diese Feier darstellte, mag man sich vorstellen im direkten Vergleich mit der offiziellen Feier zur Ehrung der „Heldentoten des Krieges“, den die Universität im Frühjahr veranstaltete. …

Ein Höhepunkt der ‚Gemeinschaft’ war die sommernächtliche Kokoschka-Feier in einer Waldlichtung nahe dem Speyerhof-Krankenhaus am 23. Juli 1920, bei der der „Brennende Dornbusch“ und „Die träumenden Knaben“  unter maßgeblicher Mitwirkung von Prinzhorn und Goverts aufgeführt wurden. In ungebremster Aktivität reihten sich Ausflüge nach Bad Wimpfen und ins Kloster Maulbronn, nach Schwetzingen, Worms und Frankfurt, zur Mannheimer Kunsthalle, auf den Dilsberg und zur Karlsruher Künstlergruppe ‚Rih’, benannt nach dem Pferd von Kara Ben Nemsi (Karl May), in der sich u.a. die Maler Rudolf Schlichter, Walter Becker; Oskar Fischer und Wladimir Zabotin zusammengeschlossen hatten. Gäste der ‚Gemeinschaft’ waren die Dichter Klabund und Theodor Däubler, die Schriftsteller Otto Flake und Graf Keyserling, über den Friedrich Gundolf schüttelreimte „Als Gottes Atem leiser ging, schuf er den Grafen Keyserling“ und auch Franz Werfel war Gast, und als er auf dem Podium stolperte, rief Fraenger „Der Werfel ist gefallen“.

Paul Hindemith provozierte mit Konzerten und Otto Kokoschka begeisterte als Maler und Dramatiker.

Kämpferisch verteidigte die ‚Gemeinschaft’ die Avantgarde gegen das rückständische Publikum, das in Heidelberg Hindemith Kompositionen und in Frankfurt Kokoschkas frühe Theaterexperimente nicht goutieren mochte.2)

Petra Weckel hat in ihrer Fraenger-Biografie dem Kreis ‚Die Gemeinschaft’ ein ausführliches Kapitel gewidmet:

Ihm – Fraenger – liegt an einer praktischen Umsetzung der – von seinem Lehrer  Karl Lamprecht – proklamierten kulturstiftenden Gemeinschaft. Er gründet 1919 einen Verein mit dem programmatischen Namen ‚Die  Gemeinchaft’, einen Kreis, der sich mit moderner Kunst, insbesondere dem Expressionismus, moderner Literatur, Philosophie, Musik, Theater und ihren gesellschaftspolitischen Bezügen beschäftigt, und er opponiert damit bewusst gegen die im Heidelberger Universitätsmilieu zusehends an Einfluß gewinnenden völkischen Kreise …

Durch ‚Die Gemeinschaft’ findet Carl Zuckmayer den Weg zu Fraenger und sein Eindruck ist nachhhaltig: „Ungewöhnlich wie sein Geist und seine sprühende Phantasie war seine Erscheinung, die sich von allen anderen Gestalten der akademischen Welt aufs originellste abhob und unterschied. (…) Kam er auf der Strasse daher, (…) so dachte man weder an einen modernen Gelehrten noch an einen zeitgenössischen Bohemien, aber erst recht nicht an eine Spitzweg-Figur oder einen ‚Stillen im Lande“; eher an einen Alchemisten und Goldmacher, einen Geheimbündler der Steinmetzzunft, an einen spitzzüngigen Erzschelm, einen aus der Kutte entsprungenen Mönch, Reformator oder Wiedertäufer, vielleicht auch einen Baalspfaffen, Mystagogen und Laster-Abbé, dem man die Zelebration der Satansmesse zutraute. (…) In den Kreisen der traditionsgetreuen Akademiker galt er als der reine Teufel oder wenigstens dessen mephistophelischer und, was noch ärger war, bolschewistischer Abgesandter.“5)
Zuckmayer führte auch seine Freunde aus der Redaktion der linksradikalen Zeitschrift „Das Tribunal“, Carlo Mierendorff und Theodor Haubach bei ihm ein, die Fraenger mit Freude begrüßte. 7)

Über „die Studenten der ‚Gemeinschaft’ schreibt Giovannini:

Die sozialistischen Studenten in der ‚Gemeinschaft’ stellten die Kontaktgruppe dar zu jenen Mitgliedern des universitären Lehrkörpers, auf die Fraengers scharfes Verdikt über die akademische Welt … nicht zutraf:

dem Psychiater und Philosophen Karl Jaspers, bei dem Haubach promvierte,
dem Nationalökonomen und Soziologen Max Weber, dem Mierendorff und Haubach 1920 nach München folgten,
dem von der Jugendbewegung geprägten Kulturwissenschaftler, Soziologen und Ökonomen Alfred Weber,
dem Soziologen Karl Mannheim und dem Staats- und Strafrechtler Gustav Radbruch.

Sie ergänzten den akademischen Vorstandszirkel der ‚Gemeinschaft’ (Hans Ehrenberg, der Psychiater Karl Wilmanns, der Rechtshistoriker Hans Fehr, Marie Luise Gothein Ehefrau des Nationalökonomen und Wirtschaftshistorikers Eberhard Gothein und Mutter von Percy Gothein, der dem Kreis um Stefan George nahe stand, der Philologe Gustav Neckel und der Psychiater Hans Prinzhorn) …

Ich möchte mich auf drei Studenten aus diesem Kreis konzentrieren: die dem Kreisauer Kreis zuzurechnenden sozialdemokratischen Politiker und Widerstandskämpfer
Theodor Haubach, der am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee von der Nazijustiz hingerichtet wurde,
Carlo Mierendorff, der von 1933 bis 1938 in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert war, sich später dem Kreisauer Kreis anschloss und am 4. Dezember 1943 bei einem Luftangriff auf Leipzig ums Leben kam und den Schriftsteller Carl Zuckmayer, der 1938 aus Österreich über die Schweiz in die USA emigrierte.

Peter Zimmermann beschreibt in seiner Dissertation des Jahres 2002 „Theodor Haubach (1896-1945). Eine politische Biographie“ 3) über die Heidelberger Zeit von Haubach und Mierendorff:

Den überwiegenden Teil seiner Studienzeit verbrachte Theo Haubach wie sein Freund Carlo Mierendorff – bei je einem Semester in München und Frankfurt/M. – in Heidelberg. Dieser Studienort muss aus verschiedenen Gründen einen große Anziehungskraft auf die beiden Darmstädter besessen haben …

Der Kunst- und Kulturhistoriker Wilhelm Fraenger gründete mit der ‚Gemeinschaft’ einen losen Zusammenschluss von Kunstinteressierten, zu dessen Kern vorwiegend Studenten gehörten. Die Gründung erfolgte – wie bereits erwähnt – am 23. Februar 1919; durch den Bund sollte der ‚Zusammenschluß aller geistig Gerichteten’ erreicht werden, und zwar ausdrücklich bezogen auf die Menschen ‚in Stadt und Universität’.
.

Zuckmayer hatte Carlo Mierendorff Anfang 1919 in Frankfurt am Main kennen gelernt. In seinen Erinnerungen berichtet er:

Zu Anfang des Jahres 1919 bekam ich die kurze Zuschrift von Carlo Mierendorff, über die Adresse des ‚Revolutionären Studentenrats der Universität Frankfurt’, dem ich angehörte. Er habe Arbeiten von mir in der ‚Aktion’gelesen und erfahren, dass ich in Frankfurt studierte wie er selbst …
Merkwürdigerweise verabredeten wir unser erstes Zusammentreffen nicht auf einer unserer Buden oder in irgendeinem Café … sondern bei einer Massenveranstaltung in dem riesigen Frankfurter ‚Saalbau’.
… Es war eines der erregendsten, wildesten Meetings, die Frankfurt in diesem Jahr gesehen hat. Der damals noch kommunistische (später sozialdemokratische) Abgeordnete Paul Levi aus Berlin sprach über die Ermordung Liebknechts und Rosa Luxemburgs, die nur wenige Tage zurücklag. …
Ich hatte bisher unter den Frankfurter Studenten nur kümmerliche Gestalten kennen gelernt …
Jetzt, das wusstet ich mit einem Blick, hatte ich den Mann gefunden, den ich brauchte. …
Die Versammlung ging unter Krach und Gebrüll zu Ende, die Polizei kehrte den Saal aus, die Massen verliefen sich – wir blieben zusammen, blieben die ganze Nacht zusammen, unter brennenden Debatten und Gesprächen. Es regnete, es war nasskalt und neblig, unsere Zimmer waren ungeheizt, alle Kneipen waren geschlossen, wir brachen unsere letzte,  knastige Zigarette (Roth-Händle, zwei Stück für einen Pfennig) in der Mitte durch und begleiteten uns immer wieder gegenseitig nach Hause, stundenlang, … hin und her, … da es immer wieder etwas zu sagen und zu entgegnen gab, da wir miteinander einfach nicht fertig werden konnten.5) (S. 230-232)

Noch im gleichen Jahr zogen Mierendorff und Zuckmayer nach Heidelberg.
Richard Albrecht schreibt in dem Kapitel seiner Mierendorff-Biografie, das er „1918 bis 1923. Die Blauen Jahre“ nennt:

Im Heidelberg jener ersten Nachkriegsjahre galt Carlo Mierendorff als „Vielgeschrei“
ein Spitz- und Rufname im Freundeskreis um Theodor Haubach, Henry Goverts, Wolfgang Petzet, Egon Wertheimer, Carl Zuckmayer und andere Mitglieder der Sozialistischen Studentengruppe, den Mierendorff ironisch selbst benutzte und unter dem er auch gelegentlich Glossen publizierte.
Die Heidelberger Jahre sind später von verschiedenen Zeitzeugen ausführlich erinnert und beschrieben worden: als lebensfroher studentischer Kreis um den damaligen Universitätsdozenten für Kunstgeschichte, Wilhelm Fraenger, … den Carl Zuckmayer in seinen Erinnerungen gleichsam als den intellektuellen Motor und Mierendorff selbst in einer Widmung 1920 als „alter Lehrmeister, Komplize und Diebsgesicht“ bezeichnete. Es war dies ein vom Sichausleben, Trinkgelagen und Männerfreundschaften, aber auch kulturellen Interessen und politischen Veranstaltungen bestimmter Kreis junger engagierter Männer, die sich selbstbewusst gegen die breite Masse der kulturell desinteressierten und politisch rechtsgerichteten Studenten als Minderheit, „gegen die Masse ein lächerlich kleiner Schwarm“, abhob und mit Ausnahme Theodor Haubachs, der Verbindungen zu Kreisen um den Dichter Stefan George hielt und insofern auch vom von Mierendorff kritisierten George-Kult berührt wurde, als eigenständige, von der Jugendbewegung der Vorkriegszeit geprägte, kleine Gruppe lebte. 4)

Carl Zuckmayer hat später mehrfach versucht, das Lebensgefühl dieser kleinen studentischen Gruppe um den „originellen, genialischen Kunstgelehrten Wilhelm Fraenger und den etwas älteren Freund Emil Henk, später um die Soziologieprofessoren Alfred Weber und Emil Lederer anzusprechen; kennzeichnend für diesen Kreis war dabei einerseits seine Minderheitenrolle, andererseits aber auch die subjektive Überzeugung ihrer besonderen, gegen Mittelmäßigkeit und Durchschnittlichkeit gerichteten Sendung und Begabung, die jeweils auf ‚etwas Besonderes und Hervorragendes’ ausgerichtet war.

Dieser freundschaftliche Zusammenhang schloss Toleranz und Gemeinschaftlichkeit, Individualität und Organisiertheit nicht aus, sondern konstituierte sich vielmehr erst auf dieser Grundlage und der persönlichen Achtung. Charakteristisch war aber auch ein bewusster Hang zum Nonkonformismus und selbst auferlegte Skepsis gegen fertige Programme, Thesen, Meinungen, Haltungen, Ansichten: die Welt sollte selbständig angeeignet und produktiv verarbeitet werden.

Meine Freunde, sagte Zuckmayer in seinem Vortrag „Scholar zwischen gestern und morgen“ am 23. November 1967 in der Universität Heidelberg,
meine Freunde, auch soweit sie Sozialwissenschaft, Nationalökonomie studierten, waren keineswegs entschlossen, die Politik zu ihrem Lebensberuf zu machen, das war erst ein späterer und sehr harter Entschluss …
Wir waren links, wir waren zuerst sogar ultralinks …
Das äußerte sich so: in unserem ersten Semester zogen wir alles in Zweifel, was uns als Autoritäten angeboten wurde, die Nationalversammlung in Weimar, die aus ihr entstandene Regierung, die Reichswehr vor allem, in der wir eine gegen die Arbeiterschaft bewaffnete Soldateska sahen, zum Schutz eines Neureichtums oder Neokapitals, das sich am deutschen Unglück mästete …

Diese antiautoritäre Haltung wurde jedoch ab 1920 zunehmend aufgelöst durch Begegnungen und Diskussionen mit Heidelberger Hochschullehrern wie (die schon genannten) Alfred Weber, Emil Lederer und Karl Jaspers.4)

Was aus den drei Freunden Theodor Haubach, Carlo Mierendorff und Carl Zuckmayer dieses ganz besonderen Freundeskreises um Wilhelm Fraenger in Heidelberg vor neunzig Jahren geworden ist – daran wollen wir uns – obwohl wir vieles schon kennen – von Norbert Giovannini erzählen lassen und Sie können es auch noch einmal nachlesen in seinem schon genannten Beitrag für den Katalog der Heidelberger Fraenger-Ausstellung des Jahres 2004:

Werfen wir einen Blick auf die herausragenden Protagonisten des studentischen Fraenger-Kreises: Mierendorff, Haubach, Zuckmayer …
Bemerkenswerter Weise eint sie eine zentrale Erfahrung: der Krieg.
Als Kriegsfreiwillige gehören sie zur Generation der Frotstudenten, die aus dem Erlebnis des Schützengrabens, ebenso wie der 1916/17 in Heidelberg aktive Ernst Toller, eine Konsequenz zogen, die zum mehrheitlichen Reaktionsmuster ihrer Kommilitonen diametral entgegengsetzt war. „Die Generation der Unzerstörten“, wie sie Zuckmayer später konnotierte, hatte aus dem Kriegserlebnis die Entscheidung zu radikaler Kriegsgegnerschaft gezogen. …

Carlo Mierendorff, 1897 geboren in Großenhain, Sachsen, 1914 Abitur am humanistischen Gymnasium in Darmstadt, war als Kriegsfreiwilliger an der Ostfront eingesetzt, nach schwerer Erkrankung erneut an die Front geschickt und mit hohen militärischen Auszeichnungen dekoriert worden. Schon während des Krieges schrieb er für literarische Zeitschrift „Die Dachstube“ in Darmstadt.
Mierendorff immatrikulierte sich zunächst 1916 parallel zum Militärdienst in Heidelberg für Jura und Volkswirtschaft, begann sein eigentliches Studium aber erst im Wintersemester 1918/19 in Frankfurt am Main, wo er mit Carl Zuckmayer zusammentraf.
Wir hörten schon davon.

Im Sommersemester 1920 folgte er Max Weber nach München, ging nach dessen Tod ein Semester nach Freiburg und kehrte im Mai 1921 nach Heidelberg zurück. In dieser zweiten Phase seiner Heidelberger Aktivität schloss er eine Promotion zur Wirtschaftspolitik der KPD bei Emil Lederer ab und profilierte sich mit überbordendem Engagement als Versammlungsredner und Parteiaktivist. …
Um 1920 hatte sich Mierendorff zur politischen Wende entschlossen und sich als jungsozialistischer Theoretiker und Aktivist in die Sozialdemokratische Partei eingebunden.

Am 27. Juni 1922 leitete Mierendorff einen Zug Arbeiter und Studenten zum Physikalischen Institut des exponierten Antisemiten und Nobelpreisträgers Philipp Lenard, der sich am Tag der Beerdigung des ermordeten Außenministers Walter Rathenau geweigert hatte, die staatlich angeordnete Trauerbeflaggung an seinem Institut vorzunehmen …
Mierendorff wurde danach wegen Landfriedensbruch strafrechtlich verurteilt. Im akademischen Disziplinarverfahren unter Federführung liberaler und republikanisch gesonnener Professoren dagegen freigesprochen …
1923 Sekretär des Transportarbeiterverbandes in Berlin, Redakteur des Hessischen Volksfreunds in Darmstadt, jüngstes Mitglied im Reichstag 1930 und dort Kontrahent seines Kommilitonen Joseph Goebbels,
über den Friedrich Gundolf, als er darauf angesprochen wurde, dass Goebbels ‚zu seinen Füßen gesessen habe’, gesagt haben soll: „Weiter ist er aber auch nicht gekommen“.

In der Endphase der Weimarer Republik war Mierendorff Pressereferent des hessischen Innenministers Wilhelm Leuschner.

Dass die Nationalsozialisten diesen ‚Feind’ sofort nach der Machtergreifung kalt stellen würden, war zu erwarten. So wurde Mierendorff
Von 1933 bis 1937 in den Konzentrationslagern Osthofen, Dachau, Börgermoos, Lichtenburg und Buchenwald inhaftiert.
Nach seiner Freilassung 1937 nahm Mierendorff die illegale politische Tätigkeit mit unverminderter Energie wieder auf und wirkte im Kreisauer Kreis bis er am 4.12.1943 in Leipzig ums Leben kam.

Norbert Giovannini nennt Theodor Haubach und Carlo Mierendorff
Ein Disokurenpaar extremer Gegensätzlichkeit bei aller politischen und emotionalen Gleichrichtung: Theodor Haubach, geboren am 15. September 1896 in Frankfurt, wie Mierendorff 1914 Abiturient am humanistischen Gymnasium in Darmstadt, Kriegsfreiwilliger und Offizier, mehrfach verwundet, mit höchsten Auszeichnungen dekoriert, stellte von Naturell und Persönlichkeit den Kontrapunkt zu Mierendorff dar. Im Auftreten soldatisch, streng und pflichtbestimmt, verkörpert er zugleich den sensiblen, skrupulösen und philosophisch bestimmten Intellektuellen.

Seit 1919 studierte Haubach Philosophie in Heidelberg und München. Wie sehr er Fraenger  auch privat nahe stand, zeigt sich 1920 an seiner trauzeugenden Schützenhilfe zu Fraengers unerwarteter Vermählung. 3)

Ein Absatz zu Gustel aus der Fraenger-Biografie, mit der Petra Weckel promoviert hat:

Gustel ist die stetige und stille Begleiterin Fraengers bis an sein Lebensende. Mancher hält sie für seine Haushälterin, und es ist eine große Überraschung, als er sie 1920 heiratet. Theodor Haubach ist ihr Trauzeuge. Haubach schildert seinem Freund E.(dwin) M.(aria) Landau, (mit Wolfgang Frommel) Begründer des ‚Runde-Verlages’, die Hochzeit als dramatisch: Auf dem Weg zum Standesamt bekommt Fraenger plötzlich Bedenken gegenüber der Ehe, entzieht seiner Verlobten den Arm und ehe man sich’s versieht, ist er verschwunden. Gustel und ihre Mutter brechen in Tränen aus, Haubach versorgt sie in einem nahe gelegenen Wirtshaus und macht sich auf die Suche nach dem Entflohenen. Erst eineinhalb Stunden später findet er ihn und erst ein zünftige Standpauke kann ihn dazu bewegen, die Hochzeit doch noch zu vollziehen. 6)

Haubach war intensiv engagiert in die Studentenpolitik und promovierte mit einer philosophischen Arbeit 1922 bei Karl Jaspers. Von 1919 bis 1920 standen Mierendorff und Haubach innerhalb der Sozialistischen Gruppe für die Bemühungen, mit unabhängigen und kommunistischen Studenten eine gemeinsame Organisation auf die Beine zu stellen.. Die zerstörerischen Grabenkämpfe der beiden proletarischen Parteien vor Augen, sollte an der Universität modellhaft und vorbildlich ‚gemeinsam Front’ gemacht werden. Das Projekt war – ebenso wie die revolutionären Studentenräte um 1918 – chancenlos angesichts der feindselig auseinander driftenden Parteiführungen …

1923 ist auch für Haubach das Stichdatum in die sozialdemokratisceh Parteiarbeit und der Abwendung von romantischen Sozialismusvisionen.
Beruflich wurde Haubach 1924 Redakteur beim sozialdemokratischen „Hamburger Echo“- Im Februar 1924 gehörte er zu den Gründern der republikanischen Schutzorganisation „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, wurde führender Redner, Organisator, Publizist des Reichsbanners und Redakteur der Bundeszeitung „Reichsbanner“. 1929 wird Haubach Pressereferent im preußischen Innenministerium.
Zwischen 1933 uns 1944 wird er mehrfach verhaftet, in ‚Sicherheitsverwahrung genommen, im Konzentrationslager Börgermoor inhaftiert, 1944 wegen seiner Beteiligung am Kreisauer Kreis und dem Widerstand des 20. Juli 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, am 23. Januar 1945 in Berlin hingerichtet.

Die Position Zuckmayers im Heidelberger Kontakt ist – nach Norbert Giovannini – schwieriger zu verorten. 1896 im rheinpfälzischen Nackenheim geboren, meldet er sich 1914 als Kriegsfreiwilliger zur Feldartillerie und wird durch Kriegserlebnisse zum bekennenden Kriegsgegner …
Beim Kriegsende wird Zuckmayer von seiner Truppe in den Soldatenrat gewählt, nimmt in Frankfurt Kontakt zu Carlo Mierendorff auf – und erprobt sich als expressionistischer Autor …
Seine Rolle in der sozialistischen Studentengruppe ist wenig fassbar, auch wenn er kurzzeitig deren 2. Vorsitzender gewesen ist …

Umso mehr sind seine erinnernden Texte chronistische Bürgschaften des einzigartigen Freundeskreises in Heidelberg. 2) …

… und deshalb noch einmal Carl Zuckmayer: 7)

Es war der <fünfte Lenz>, wie es in Brechts <Ballade vom toten Soldaten> heißt, der erste Frühling und Sommer nach vier Kriegsjahren, in denen wir frei und ungefährdet lebten. Wir wachten morgens auf und waren glücklich, dass heute nicht auf uns geschossen würde. Wir schliefen ein mit dem beruhigenden Bewusstsein, dass kein Alarm uns vom Lager reißen konnte. Der trübe, ungewisse Winter lag hinter uns …
Hier in Heidelberg, der fortschrittlichsten und geistig anspruchvollsten Universität Deutschlands, war für uns Rhodos, hier galt es zu springen – und wir taten es, teils ungelenk und tapsig wie junge Böcke, teils mit mächtigem Anlauf wie die Athleten im Stadion.
Wenn der Kreis wirklich, wie ich vermute, ein magisches Zirkel war, so hatte er seinen Mittelpunkt und seine zentripetale Kraft in einem ebenso singulären wie sonderlichen, veritablen Magus, der uns allen an universalem Wissen, geistiger Frequenz und geformter Persönlichkeit um viele Spannungen überlegen war: dem Doktor Wilhelm Fraenger unvergänglichen Angedenkens.

Völlig gelungen, und unter den Heidelberger Kunstfreunden dieser Semester legendär, war – trotz wilder Improvisation – ein Bellman-Abend, zu dem ich, mit angedeuteten Dialogen, gemeinsam mit Fraenger eine lose Szenenfolge verfasst habe.
Carl Michael Bellman, der Anakreon des nordischen Rokoko, Dichter, Komponist, Musikant, Lieblingsautor des Königs Gustav des Dritten und früh verstorbenen Saufgenie, ist in Schweden heute noch jedem Menschen bekannt. Ich hatte ihn schon früher für mich entdeckt, und durch Fraenger, der seine <Gesänge> und <Episteln> meisterlich zur Laute vortrug, war er unserem Kreis vertraut und unentbehrlich geworden. Den ersten ´Takt seiner schönsten Melodie, „Weile an dieser Quelle“, hatten wir zu unserem Stammpfiff gemacht, mit der wir uns zu jeder Tages- und Nachtzeit aus unseren Buden herauslocken und noch jahrelang, wo immer wir uns trafen, auf Distanz kenntlich machen konnten.
Jetzt stellten wir den in Deutschland fast unbekannten Dichter, in Form einer dramatischen Stationsreihe aus seinem Leben, dem Publikum der <Gemeinschaft> vor …

Sah man bei Fraenger  (HD, Hauptstraße Ecke Fischarkt) in der Nacht noch Licht, konnten seine engeren Freunde sich von der Straße aus durch unseren Bellman-Pfiff anmelden und – falls es ihm gelegen kam – noch ein paar Stunden bei ihm verbringen. Es störte ihn nicht, wenn er mitten in der Arbeit an einem seiner Vorträge oder Aufsätze war, Besuch zu empfangen. Er saß dann en seinem langgestreckten Refektorientisch, der über und über mit den von seiner schönen Handschrift bedeckten Quartseiten behäuft war – den Teekessel und einen Spirituskocher zu seiner Rechten auf dem Tisch, den Pot de chambre zu seiner Linken darunter, denn er trank bei der Arbeit immense Mengen von Tee, und der Weg zum Lokus war ihm zu zeitraubend. Oft las er uns aus den soeben niedergeschriebenen Seiten vor und ließ uns an den Problemen seiner Stilisierung teilnehmen …

Ein Höhepunkt dieses in Hülle und Fülle strotzenden Sommers: die von Fraenger inspirierte Frankfurter Kokoschka-Matinee, die unter Mitwirkung von Heinrich George … und anderen Schauspielern an einem Sonntagvormittag im <Neuen Theater> stattfand. Fraenger sprach vor Beginn der Matinee im verdunkelten Zuschauerraum aus einer Loge, auf die nur ein Schweinwerferstrahl gerichtet war, mit feierlicher Prädikantenstimme, im hochgeschlossenen schwarzen Rock, über Oskar Kokoschka und sein Werk.
Das Publikum verhielt sich zuerst abwartend und schien leise beklommen.
Erst bei der Präsentation des Dramas <Hiob> brach der Skandal los. Kokoschka schreibt vor, dass <Das Leben> in Gestalt einer nackten jungen Frau dem lamentierenden Hiob gegenübertrete, und dies wurde, unter George Einfluß, in der Frankfurter Inszenierung wörtlich genommen.
Da sich keine Schauspielerin dafür gefunden hatte,  wohl weniger aus Prüderie, sondern weil es keine <Rolle> war, sie hatte nur einen kurzen Satz, war eine wohlgestaltete Dame aus dem Frankfurter <Milieu> gewonnen worden, das es schon damals gab.
Den Satz:
„Guten Tag, mein Freund, das Leben lacht dich an“,
den man ihr mühsam eingetrichtert hatte,
brachte sie nicht zu Ende.
Empörte Zwischendrufe:
<Vorhang runter! Aufhören! Schweinerei!> und so weiter – unterbrachen ihren rhetorischen Versuch.
Nur mit Mühe und unter vielen Störungen konnte die Matinee zu Ende gehen, und am Schluß prügelten wir uns für Kokoschka und das Theater mit entrüsteten Mannen, die die Bühne stürmten und die Schauspieler verdreschen wollten.
Höchst befriedigt, nach einem künstlerischen Kampf-Erlebnis, kehrten wir aus dem unkundigen Böotien in das arkadische Heidelberg zurück. …

Jan. 2014 | Heidelberg, Allgemein, Essay, Feuilleton, Junge Rundschau | Kommentieren